Nachruf auf Historiker:Ernst Nolte, der exzentrische "Geschichtsdenker"

Ernst Nolte

Zeitgeschichte als Herausforderung: Historiker Ernst Nolte

(Foto: AFP)

Mit drei rhetorischen Fragen zur Einordnung des Holocaust löste Ernst Nolte den Historikerstreit aus. Revidiert hat er seine Thesen nie. Nun ist der Zeitgeschichtsforscher gestorben.

Nachruf von Johannes Willms

Für Ernst Nolte, der am 11. Januar 1923 in Witten an der Ruhr als Sohn eines katholischen Lehrers geboren wurde, war die Zeitgeschichte, die sich mit seiner Biografie überschnitt, eine Herausforderung, mit der er sich sein ganzes Leben lang auseinandersetzte. Nolte arbeitete in den Nachkriegsjahren zunächst als Gymnasiallehrer. Später lehrte und forschte er an der Universität in Köln und in Marburg, von wo er 1973 an die Freie Universität Berlin wechselte. Dort war er bis zu seiner Emeritierung 1991 tätig.

Ergebnis seiner langjährigen Auseinandersetzung mit dem Nationalsozialismus war das 1963 veröffentlichte und schnell als Standardwerk anerkannte Buch "Der Faschismus in seiner Epoche", das 1964 von der Universität Köln als Habilitationsschrift angenommen wurde. Nolte stellte in diesem Werk den Faschismus, der von der damals gängigen Totalitarismustheorie wegen gewisser Übereinstimmungen in Herrschaftstechnik und politischem System mit dem gleichzeitigen Bolschewismus über einen Leisten geschlagen wurde, als ein eigenständiges Phänomen dar.

Seine Deutung sollte, wie Nolte in einem "Rückblick nach fünfzehn Jahren" 1978 klarstellte, "die Totalitarismustheorie differenzieren, historisieren und bis zu einem gewissen Grade auch entemotionalisieren", sie aber "weder überwinden noch verdrängen". In seinem 1974 veröffentlichten Werk "Deutschland und der Kalte Krieg" verengte Nolte diese Sicht auf die These, der von Hitler verkörperte Nationalsozialismus sei als eine Reaktion auf den Sowjetkommunismus zu verstehen, den der Nationalsozialismus als totalitärer "Antibolschewismus" zunächst imitiert habe, um ihn dann mittels eines Weltanschauungs- und Vernichtungskriegs zu zerstören.

Wie der Holocaust an Aufmerksamkeit gewann

Auch diese, derart zugespitzte Deutung wurde zunächst widerspruchslos akzeptiert, weil sie im Einklang mit dem damaligen Erkenntnisstand der zeitgeschichtlichen Forschung stand, dem, so erstaunlich sich das in heutiger Sicht auch ausnehmen mag, der massenmörderische Antisemitismus noch keineswegs als das entscheidende Merkmal des Nationalsozialismus galt.

Das änderte sich erst in den 1980er Jahren, als sowohl in der Wahrnehmung der breiten Öffentlichkeit wie in der zeitgeschichtlichen Forschung der "Holocaust", also die von den Nationalsozialisten 1941 begonnene systematische Ermordung der europäischen Juden, für die der Hitlersche Angriffskrieg auf die Sowjetunion den Paravent bildete, eine immer größere Aufmerksamkeit fand.

Entscheidenden Anstoß dafür lieferte zum einen die Fernsehausstrahlung des vierteiligen amerikanischen Fernsehfilms "Holocaust - Die Geschichte der Familie Weiss" von Marvin J. Chomsky im Januar 1979. Zum anderen war zumal für die Zeitgeschichtsforschung die 1982 um mehr als zwei Jahrzehnte verzögerte deutsche Übersetzung von Raul Hilbergs Standardwerk "Die Vernichtung der europäischen Juden" von herausragender Bedeutung.

Drei rhetorische Fragen - Anlass für Debatten

Das monumentale Werk Hilbergs lieferte der Forschung entscheidende Anstöße, die den damals angesagten, auf "Normalisierung" und "Historisierung" abzielenden geschichtspolitischen Absichten diametral zuwiderliefen. Vor diesem Hintergrund drohte die Ausbreitung der "Hilbergschen Synkope" eine zutiefst verstörende Wirkung zu entfalten, wie auch Ernst Nolte erkannte, der sich weniger als Historiker, denn als "Geschichtsdenker" begriff.

Das veranlasste ihn dazu, nach dem Vorbild Friedrich Nietzsches über Nutzen und Nachteil der Historie für das Leben zu reflektieren. Seine Folgerungen legte er der breiten Öffentlichkeit in einem Aufsatz dar, der in der in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung im Juni 1986 erschien.

Ernst Nolte formulierte in diesem Aufsatz drei rhetorische Fragen, die darauf abstellten, die Behauptung der Singularität der vom Nazi-Regime betriebenen "Endlösung" durch dessen Zuordnung auf vermeintliche historische Vorbilder zu relativieren: "Vollbrachten die Nationalsozialisten, vollbrachte Hitler eine 'asiatische' Tat (das heißt den Holocaust) vielleicht nur deshalb, weil sie sich und ihresgleichen als potentielle oder wirkliche Opfer einer 'asiatischen' Tat betrachteten? War nicht der 'Archipel GULag' ursprünglicher als Auschwitz? War nicht der 'Klassenmord' der Bolschewiki das logische und faktische Prius des 'Rassenmords' der Nationalsozialisten?"

Vor allem diese in Frageform gekleideten Thesen, mit denen Nolte versuchte, jene als "Richtschwert" identifizierte Singularität der von Hitler ins Werk gesetzten "Endlösung" dadurch zu entschärfen, dass er deren Einmaligkeit durch Verweis auf das angebliche Vorbild der Untaten Stalins bestritt, löste einen über ein Jahr dauernden und teilweise mit großer Erbitterung ausgetragenen Historikerstreit aus.

Noltes Verdienste

Den Anstoß zu dieser Kontroverse gab die Replik von Jürgen Habermas, der Ernst Nolte und anderen konservativ gesinnten Zeithistorikern den Vorwurf machte, sie versuchten, dem Nationalbewusstsein der zwischen Ost und West geteilten Deutschen eine von Schuld weitgehend entsorgte Identität einzustiften.

Auch wenn der seitherige Fortgang der zeitgeschichtlichen Forschung eine Fülle wesentlicher Beiträge erbracht hat, die Thesen Ernst Noltes zu widerlegen, sah sich der gleichwohl nie dazu veranlasste, diese zu revidieren, sondern allenfalls nur zu differenzieren. Das machte ihn zunehmend zu einem sektiererischen Einzelgänger, der sich in seinen Publikationen immer deutlicher als exzentrischer und monokausal fixierter "Geschichtsdenker" zu erkennen gab.

Gleichwohl hat sich Ernst Nolte, der nun im Alter von 93 Jahren gestorben ist, um die Erforschung der Zeitgeschichte bleibende Verdienste erworben. Zum einen mit seinem Werk "Der Faschismus in seiner Epoche", das zum Thema einen noch heute gültigen Standard setzte; zum anderen aber auch und gerade mit jenen Thesen, an denen sich der Historikerstreit entzündete. Denn gerade indem sie erhebliche Kritik hervorriefen, trugen sie mit dazu bei, den Holocaust von der Peripherie ins Zentrum zeitgeschichtlicher Forschung zu rücken.

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