Nachfolge von Kim Jong II:Nordkorea fürchtet das politische Vakuum

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Kim Jong Un soll das Abbild Kim Jong IIs sein. Der Erbe übernimmt jedoch ein anderes Land als sein Vater: Nordkoreas prekäre Stabilität könnte jederzeit brechen, und das wäre für die ganze Region gefährlich. Um die eigene Macht zu erhalten, wird die herrschende Klasse des Landes ihn als Staatschef akzeptieren müssen - doch das Gerangel um Einfluß hat bereits begonnen.

Christoph Neidhart

Für Kim Jong Il kam als Nachfolger nur einer in Frage: sein jüngster Sohn Kim Jong Un. Sein ältester Sohn Jong Nam hatte das Vertrauen des Vaters verspielt, weil er am Tokioter Flughafen Narita mit einem falschen Pass erwischt worden war. Vom mittleren heißt es, er sei "wie ein Mädchen". Der jüngste, Jong Un, dagegen sei "ein Abbild des Vaters". Voriges Jahr ließ Kim den Sohn zum General ernennen, seit Januar publiziert die Staatspropaganda Elogen. Den "großen Nachfolger" nennt die staatliche Nachrichtenagentur KCNA den jungen Kim. "Zehn Millionen Soldaten und das ganze Volk hat eine unbeschreibliche Trauer erfasst", berichtet KCNA. Aber jetzt sei "Glaube, Optimismus und ein Wille zum Sieg" gefragt. Unter der Führung von Jong Un sollen die Nordkoreaner "Trauer in Stärke und Mut umwandeln".

Nordkoreas Armee und das ganze Volk hätten dem Endzwanziger Kim Jong Un demnach ihre Gefolgschaft zugesichert. Schon kurz nach Kims Todesmeldung folgte die Ankündigung, "alle Kompetenzen" des Vaters würden auf den Sohn übertragen, dazu der Vorsitz der Beerdigungskommission. Letzteres ist ein untrügliches Indiz, dass man sich in Pjöngjang seit Samstagabend, als die koreanische Arbeiterpartei informiert wurde, geeinigt hatte, dem unerfahrenen Jüngling die Macht zu überlassen, wie es sein Vater wünschte.

Über Kim Jong Un ist wenig bekannt. Bis vor zwei Jahren gab es nicht einmal Bilder von ihm. Er besuchte inkognito eine Schule bei Bern in der Schweiz, soll Englisch, Deutsch, Schweizerdeutsch und Französisch sprechen, sei Basketball-Fan und höre Pop-Musik, erzählen ehemalige Klassenkameraden. Von 2002 bis 2007 studierte er an der Kim-Il-Sung-Universität in Pjöngjang.

Fragile Weiterführung des Status quo

Die rasche Inthronisierung des Sohnes mag überraschen, zumal Nordkorea-Beobachter in Seoul meinen, die keineswegs homogene Elite in Pjöngjang wolle keine Fortsetzung der Kim-Dynastie. Größer jedoch als die Abneigung gegen die Familie dürfte in Pjöngjang die Angst vor einem politischen Vakuum sein, und noch größer die Furcht, in einem Machtgerangel zu unterliegen. So einigte man sich vorerst auf Kim Jong Un. Mit Unterstützung der Armee steht Jong Un für eine fragile Weiterführung des Status quo, aber das Gerangel um Einfluss hat schon begonnen. Wenn Nordkoreas Elite um Kim Jong Il trauert, dann auch, weil die rivalisierenden Gruppen der Elite fürchten, Privilegien zu verlieren.

Als Kim Jong Il 1994 die Macht vom verstorbenen Kim Il Sung übernahm, zementierte er den Status quo symbolisch, indem er seinen Vater zum "ewigen Staatspräsidenten" kürte. So gelang es ihm, die innenpolitischen Verhältnisse 17 Jahre lang zu erhalten - bis zu seinem Tod. Sollte Kim Jong Un den Trick übernehmen, wird Nordkorea künftig zwei tote Staatsoberhäupter haben.

Allerdings ist Nordkorea heute nicht das Land von 1994. Als Kim Jong Il an die Macht kam, war das nominell kommunistische Land - eher eine faschistische Diktatur mit Gottkönig - eine verarmte, verlotterte Diktatur; aber es konnte seine Bevölkerung noch ernähren. Und die Grenzen waren dicht. Seither hat Nordkorea Hungersnöte durchgemacht, die Versorgung ist zusammengebrochen, und die Grenzen sind durchlässig. Filme aus Südkorea sind im Norden heute weit verbreitet - und damit auch Kenntnisse über das Leben im Bruderland. Die Infrastruktur kollabiert, die Zerstörung der Gesellschaft schreitet fort. Die prekäre Stabilität könnte jederzeit brechen, das würde die Kim-Familie wegspülen und Nordkorea in ein Chaos stürzen.

Nordkoreas Armee und das ganze Volk sollen Kim Jong Un, dem jüngsten Sohn Kim Jong IIs, ihre Gefolgschaft zugesichert haben. (Foto: AP)

Das Patt im Innern Nordkoreas, das Kim Jong Un übers Wochenende in die großen Schuhe seines Vaters hob, hat sein Pendant in der Außenpolitik. Nordkorea ist der letzte große Preis Ostasiens. Wenn es einem Nachbarland gelingt, den Norden unter seine Fittiche zu nehmen und schrittweise und geordnet zu modernisieren, profitiert die Wirtschaft dieses Landes enorm. Nordkorea bietet billige Arbeitskräfte, Rohstoffe und muss neu aufgebaut werden. In den 1990er Jahren schien Japan in den Startlöchern zu sein, um dieser Pate Nordkoreas zu werden. Im vorigen Jahrzehnt war es Südkorea, nun China. Gelingt eine solche Erneuerung nicht schrittweise und geordnet, weil Nordkorea zusammenbricht oder in einen Bürgerkrieg versinkt, dann wird das besonders für Südkorea sehr teuer. Und für die ganze Region gefährlich.

Die Nachbarn pokern bereits

Weder China noch die USA, Japan, Russland oder Südkorea wollen einen Kollaps des Nordens. Nicht nur, weil sie Unruhen und Flüchtlingsströme fürchten, sondern ebenso sehr, weil sie befürchten, die jeweils andere Seite könnte gewinnen. Die USA würden kein chinesisches Protektorat im Norden dulden, und auch kein neutrales wiedervereinigtes Korea. Präsident Obamas Ankündigung, das US-Engagement im Pazifik zu verstärken, richtet sich auch auf Nordkorea. Die Chinesen andererseits würden kein wiedervereinigtes Korea unter US-Einfluss akzeptieren.

Auch wenn niemand Kim Jong Il eine Träne nachweint, dürften Washington und Peking insgeheim der absurden Stabilität nachtrauern, für die er stand. Man kannte seine Tricks, wusste, wie er alle gegeneinander ausspielte, dass er provozierte - Washington wusste aber auch, wie misstrauisch er nach Peking blickte. Die Nachbarn jedenfalls pokern bereits: Nach anfänglicher Skepsis hat Peking Kim Jong Un als Nachfolger akzeptiert - um der Stabilität willen. In Seoul zerbrach man sich am Montag den Kopf, ob und wie Südkorea dem Norden kondolieren sollte.

© SZ vom 20.12.2011 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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