Nach Wulff-Rücktritt:Staatsoberhaupt Seehofer

Er gilt als sprunghaft und sorgt mit seinen Alleingängen regelmäßig für Verstörung: Ausgerechnet Horst Seehofer vertritt den zurückgetretenen Bundespräsidenten. Dass er sich als große Integrationsfigur hervortun wird, erwartet kaum jemand. Doch Seehofer hatte Zeit, sich auf den Rücktritt Wulffs und die große Bühne vorzubereiten - und so birgt die neue Aufgabe für ihn eine wichtige Chance.

Frank Müller und Mike Szymanski

Vor der Bayerischen Staatskanzlei wehen deutsche und bayerische Fahnen einträchtig nebeneinander. Mit ein wenig Phantasie kann man sich aus den Seitenflügeln des langgestreckten Baus durchaus ein Schloss ersinnen, auch wenn die grüne Oase auf der Rückseite nicht Schlosspark, sondern Hofgarten heißt. Alles ist wie immer an diesem Freitag am Franz-Josef-Strauß-Ring 1, mit dem kleinen Unterschied, dass hier jetzt das amtierende Staatsoberhaupt residiert: Ministerpräsident Horst Seehofer (CSU) übernimmt in seiner Eigenschaft als Bundesratspräsident für maximal einen Monat die Amtsgeschäfte von Christian Wulff.

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Als sprunghaft und unberechenbar beschreiben die Koalitionspartner den bayerischen Ministerpräsidenten. Für Seehofer ist die Zeit als Ersatz-Staatsoberhaupt eine wichtige Chance.

(Foto: PublicAd)

Artikel 57 des Grundgesetzes hat aus dem 62-jährigen Seehofer, der nach traditioneller Lesart der CSU als Regierungschef von Bayern zwar schon das "schönste Amt der Welt" bekleidet, nun auch noch übergangsweise den ersten Mann im Staat gemacht.

Etwas verdruckst heißt es im Grundgesetz über den Vertretungsfall: "Die Befugnisse des Bundespräsidenten werden im Falle seiner Verhinderung oder bei vorzeitiger Erledigung des Amtes durch den Präsidenten des Bundesrates wahrgenommen."

Nun hat sich Wulff im Zuge seiner Kreditaffäre und der Kumpanei mit spendablen Unternehmern erledigt. Und der amtierende Bundesratspräsident, Horst Seehofer, kommt noch einmal in "Wahrnehmung der Befugnisse nach Artikel 57" zu einer unerwartet großen Ehre: für bis zu 30 Tage - in dieser Zeit muss die Bundesversammlung zusammenkommen, um ein neues Staatsoberhaupt zu wählen.

Zeit genug hatte Seehofer, sich auf einen Rücktritt Wulffs und den Übergangsposten vorzubereiten - und dabei doch stets diesen Eindruck vermieden. Es gebe keinen Plan B in den Schubladen der Staatskanzlei für den Ernstfall, beteuerten Seehofers Leute immer und immer wieder. Auch der Ministerpräsident selbst, ansonsten durchaus redselig, unterließ jeden Hauch von Andeutung über die auf ihn zurollende Herausforderung. "Nichts" sage er zum Thema Wulff, sagte Seehofer ein ums andere Mal, "wirklich gar nichts".

Die ganz große Bühne

Zurückhaltung regiert auch am Freitag. Genau für den Zeitpunkt von Wulffs Rücktritt, für 11 Uhr, hat er die Spitzen seines bayerischen CSU-FDP-Bündnisses zum Arbeitstreffen geladen. Der Termin stand schon länger fest, Seehofer behält ihn bei. Er will offenbar gar nicht erst den Eindruck erwecken, dass sich sein politisches Leben im größeren Stil verändert. So lässt er über Bayerns Staatshaushalt diskutieren und bittet lediglich um Verständnis dafür, dass er das Treffen verkürzen muss: Der CSU-Chef muss aus gegebenem Anlass nach Berlin. Den Journalisten vor der Staatskanzlei geht er bei der Abfahrt aus dem Weg.

Die ganz große Bühne wird der Mann aus Bayern in den nächsten 30 Tage trotzdem noch bekommen. Das hätte sich Seehofer sicher nicht träumen lassen. Was muss das nur für ein Gefühl sein? Als junger Gesundheitsminister im Kabinett Kohl als Kanzlerkandidat gehandelt, Rückzug als Gesundheitspolitiker 2004, weil er sich im Streit um die Kopfpauschale gegen CDU-Chefin Angela Merkel und CSU-Chef Edmund Stoiber auflehnte, kleines Comeback in Berlin als Landwirtschaftsminister und großes als CSU-Retter nach der verlorenen Landtagswahl 2008 in Bayern. Und 2012 nun Kurzzeit-Staatsoberhaupt.

Seehofers große Chance

Ausgerechnet Seehofer. Er gilt seinen Koalitionspartnern CDU und FDP als der große Unberechenbare aus München, der mit seinen Alleingängen verstört. Als Seehofer sich im Oktober bei den Steuersenkungsplänen von CDU und FDP übergangen fühlte, versetzte er kurzerhand Kanzlerin Angela Merkel. So viel nimmt er sich heraus. Merkel und Seehofer trauen sich nicht wirklich über den Weg. Jetzt liegt es an Seehofer, die schönen Gesetze zu unterzeichnen.

Zuletzt durfte Bremens Bürgermeister Jens Böhrnsen (SPD) nach Artikel 57 Übergangs-Bundespräsident sein. Er sprang im Frühsommer 2010 ein, als Horst Köhler seinen Rücktritt mit sofortiger Wirkung erklärt hatte. Der 62-jährige Sozialdemokrat machte nicht viel Aufhebens um seinen neuen Job - er erledigte still die Aktenarbeit, die anfiel. Er fertige Gesetze aus, empfing Botschafter, händigte Urkunden aus.

Böhrnsen hatte von Anfang an klargemacht, dass er Gast im Schloss Bellevue sei, nicht Hausherr. Es war nur ein Monat, aber der verwandelte den Mann von der Weser in einen bundesweit geschätzten Politiker.

Auch für Seehofer birgt die neue Aufgabe Chancen. Ihm mangelt es zwar nicht an bundesweiter Bekanntheit. Dafür ist er zu lange im Geschäft. Sein Problem ist, dass viele ihn für einen sprunghaften Politiker halten, der er zweifelsohne auch ist.

Bei der Landtagswahl 2013 fordert ihn Münchens Oberbürgermeister Christian Ude (SPD) heraus. Ude ist bei den Leuten beliebter als Seehofer, nach all den Jahren ist Ude wirklich einmal eine ernstzunehmende Bedrohung für die CSU. Sie kann sich nicht mehr sicher sein, 2013 an der Macht zu bleiben. Gebrauchen könnte Seehofer einen Crashkurs als Bundespräsidenten-Vertreter daher ganz gut. Nun hat er Gelegenheit, 30 Tage lang.

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