Süddeutsche Zeitung

Nach Wahldebakel:Aderlass zum Neuanfang der FDP

Alles aus und alles offen bei den Freien Demokraten: Mit dem Ausscheiden aus dem Bundestag gehen nicht nur Stellen verloren, sondern auch ein Großteil der Infrastruktur, der Mittel und der bekanntesten Gesichter der Partei. Immerhin gibt es in all der Trübsal einen Lichtblick.

Von Stefan Braun, Berlin

Die Betroffenen wollen nicht mehr drüber reden. Kein Wort mehr. Und man kann es verstehen. Seit die FDP am Sonntag aus dem Bundestag geflogen ist, gibt es im Windschatten der historischen Niederlage Hunderte, die ihren Job verlieren werden. Die Rede ist nicht von der FDP-Spitze, auch nicht von den 93 Bundestagsabgeordneten, die sich eine neue Aufgabe suchen müssen. Es geht um deren Mitarbeiter, die der Absturz der Liberalen zum Teil in schwere Nöte gebracht hat.

Schlimmer noch als das ist derzeit allerdings die Tatsache, dass diese Noch-Mitarbeiter Mails, Briefe, auch Anrufe erhalten, in denen schadenfrohe Menschen ihre Häme über die Verlierer ausschütten. So jedenfalls berichten es manche, die das parlamentarische Ende der Freien Demokraten hautnah miterleben. Und weil daneben seit Montag auch noch zahlreiche Reporter und Fernsehteams durch die Flure des Bundestags streifen, um Betroffene zu finden, hat sich bei denen das Gefühl breitgemacht, sie seien nicht nur Leidtragende, sondern zum Freiwild geworden. Deshalb: kein Wort mehr. Und keine Bilder.

Immerhin gibt es mittlerweile jemanden, der sich um sie kümmert: die Bundesanstalt für Arbeit hat eine Anlaufstelle eingerichtet. Neben diesen Schicksalen hat der Absturz der Liberalen freilich noch ganz andere Folgen. Die Partei verliert einen Großteil ihrer Infrastruktur, die überlebenswichtig ist, um im Wettstreit mit den anderen Parteien zu bestehen. Der Aderlass ist gewaltig - an Menschen, an Wissenschaftlern, an Beratern und sonstigen Helfern. Das ist nicht nur im Bundestag zu beobachten. Auch die Parteizentrale, das Thomas-Dehler-Haus, wird nicht verschont werden. Bereits in den ersten Tagen hat es im Parlament und in der Parteizentrale Versammlungen gegeben, in denen klar wurde, dass Stellen wegfallen, weil die Mittel massiv schrumpfen.

Schon am heutigen Donnerstag, so hieß es, wird der FDP-Bundesgeschäftsführer Jörg Paschedag zum designierten neuen Parteichef Christian Lindner nach Düsseldorf fahren, um über die finanziellen Folgen der Niederlage zu sprechen. Derzeit sind etwa drei Dutzend Menschen im Dehler-Haus beschäftigt. Das aber dürfte nicht mehr lange so bleiben.

Es geht um die dauerhafte Überlebensfähigkeit der FDP

Zwei Drittel der bisherigen Wahlkampfkostenerstattung wird wegfallen, weil die FDP von 14,6 Prozent der Stimmen im Jahr 2009 auf 4,8 Prozent im Jahr 2013 abgestürzt ist. Nach vorläufigen Berechnungen muss die Bundespartei künftig Jahr für Jahr auf gut 3,5 Millionen Euro verzichten. Und dabei ist nicht mit einberechnet, dass auch die Beiträge der Mandatsträger (derzeit immerhin gut drei Millionen Euro im Jahr) sinken werden, weil die Gelder der 93 Bundestagsabgeordneten wegfallen. Es bedarf keiner großen Phantasie, um zu ahnen, was das auch für kommende Wahlkämpfe bedeuten dürfte. Bislang hatte die Bundespartei jährliche Einnahmen von etwa 17 Millionen Euro. Ein Drittel davon könnte wegfallen.

Damit wird klar, wie groß die Herausforderung für die neue Führung werden dürfte. Es geht nicht nur um das Auswechseln der Spitze. Es geht um die dauerhafte Überlebensfähigkeit als Partei. Zumal viele Gesichter, die zuletzt die FDP geprägt haben, in den Hintergrund treten werden. Das gilt nicht nur für Parteichef Philipp Rösler und Fraktionschef Rainer Brüderle. Es gilt auch für den Generalsekretär Patrick Döring und die meisten Bundesminister. Sie alle sind öffentlich aufgetreten, sind in Talkshows gesessen, haben Interviews gegeben, sind auf Marktplätzen für ihre Partei eingetreten. Ob Guido Westerwelle oder Daniel Bahr oder auch Dirk Niebel so etwas überhaupt noch machen werden, ist offen.

Mit Christian Lindner wird die Partei also nicht nur einen neuen Parteichef bekommen. Beinahe die komplette Führung wird aus neuen Gesichtern bestehen. Und dazu wird es eine Mannschaft sein, die als außerparlamentarische Opposition nur noch wenige Truppen um sich herum hat. Da kann es nicht verwundern, dass sich bislang nicht so furchtbar viele mit Ansprüchen gemeldet haben. Neben Lindner ist das nur der Landeschef aus Schleswig-Holstein, Wolfgang Kubicki. Er möchte Stellvertreter Lindners werden und unterstreicht das bereits wortreich. Zum Beispiel, in dem er große Analysen liefert, was alles falsch lief. Ebenfalls in der Führung bleiben wird der Sachse Holger Zastrow. Er ist inzwischen der Einzige, der einem Landesverband mit Regierungsverantwortung vorsteht.

Und sonst? Alles offen. Insbesondere die Frage, wer in der bald ziemlich verwaisten Parteizentrale das Ruder übernehmen, wer also neuer Generalsekretär werden könnte. Dieser Job wird kein angenehmer sein und vor allem dazu dienen müssen, die Parteimitglieder in den Ländern und Kommunen wieder aufzurichten. Außerdem müsste es ein neues Gesicht sein. Nicht ausgeschlossen, dass Lindner dafür am liebsten eine Frau hätte. Sollte sie dazu bereit sein, könnte die Wahl auf die Hamburger Fraktionschefin Katja Suding fallen. Sie hat Lindner am Montag direkt ihre Unterstützung angeboten.

Bei all der Trübsal gibt es für die Liberalen einen kleinen Lichtblick. Seit Sonntag sind 300 Menschen neu eingetreten. Das kompensiert nicht nur die Austritte (30). Die Zahl an Neuen ist offenbar so groß wie noch nie in einer einzigen Woche. Und die ist nicht mal zu Ende.

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SZ vom 26.09.2013/sebi
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