Nach Verurteilung wegen Amtsmissbrauchs:Timoschenko soll erneut vor Gericht

Zu sieben Jahren Haft wurde Julia Timoschenko in dieser Woche bereits verurteilt - nun droht ihr der nächste Prozess: Die frühere ukrainische Regierungschefin soll sich wegen Betrugs und Unterschlagung verantworten. Die Haftstrafe gegen Timoschenko sorgt weiter für Streit. Staatspräsident Janukowitsch deutet nun einen Weg an, wie das Urteil rückwirkend aufgehoben werden könnte.

Thomas Urban, Kiew

Der wegen angeblichen Amtsmissbrauchs zu einer Gefängnisstrafe von sieben Jahren verurteilten ukrainischen Oppositionsführerin Julia Timoschenko droht ein weiteres Strafverfahren. Ein Sprecher des ukrainischen Geheimdienstes SBU teilte am Donnerstag mit, gegen sie werde wegen Betrugs und Unterschlagung während ihrer Zeit als Vorstandsvorsitzende des Konzerns Vereinigte Energiesysteme ermittelt.

Julia Timoschenko

Von der Justiz bedroht: Gegen Julia Timoschenko wird erneut ermittelt, weil sie sich als Gasmanagerin bereichert haben soll.

(Foto: dpa)

Staatspräsident Viktor Janukowitsch deutete unterdessen an, dass der Paragraph, der dem Urteil vom Anfang der Woche zugrunde liegt, vom Parlament geändert werden könnte. In diesem Falle würde das Urteil rückwirkend aufgehoben und die frühere Premierministerin käme frei. Nicht nur Timoschenko, sondern auch westliche Regierungen halten Janukowitsch vor, hinter dem Prozess gegen sie zu stehen.

Die Vorwürfe, sie habe an der Spitze des größten ukrainischen Energiekonzerns gemeinsam mit korrupten russischen Generälen in den neunziger Jahren das Verteidigungsministerium in Moskau um Summen in dreistelliger Millionenhöhe betrogen, ist nicht neu. Vor zehn Jahren war sie in der Amtszeit des damaligen Präsidenten Leonid Kutschma deshalb sechs Wochen in Untersuchungshaft. Damals mussten die Behörden in Kiew das Verfahren einstellen, da die Vorwürfe nicht nachgewiesen werden konnten. Auch die russische Justiz hatte die Ermittlungen eingestellt.

Nun aber erklärte der SBU-Sprecher, Russland habe noch Anspruch auf Zahlungen in Höhe von umgerechnet 405 Millionen Dollar. Überdies habe Timoschenko, als sie 2005 nach der Orangefarbenen Revolution an die Regierungsspitze trat, ihrem früheren Konzern Millionen aus dem Staatshaushalt zugeschanzt, damit dieser andere Schulden begleichen könne.

In Moskau reagierten weder Regierungsstellen noch die Medien zunächst auf die neuen Anschuldigungen. Stattdessen zeigten die russischen Nachrichtenkanäle immer wieder den einen Satz, mit dem Premierminister Wladimir Putin die Verurteilung seiner früheren Amtskollegin kommentierte: "Ehrlich gesagt, verstehe ich nicht ganz, wofür sie diese sieben Jahre bekommen hat."

Putin hatte mit Timoschenko im Januar 2009 die Gasverträge ausgehandelt, die nach Meinung des Kiewer Gerichtes den ukrainischen Staat zu Mehrausgaben von umgerechnet 135 Millionen Euro gezwungen haben. Zuvor hatte das Außenministerium in Moskau allerdings bekräftigt, dass das Abkommen sehr wohl "nach den Maßstäben des internationalen Rechts" zustande gekommen sei.

Das Urteil war in den vergangenen Tagen das wichtigste Thema der russischen Medien. Ohne Ausnahme kritisierten sie die Haftstrafe für Timoschenko. Viele Kommentatoren stellten die Frage, wie es grundsätzlich um die russisch-ukrainischen Beziehungen bestellt sei. Der populäre Fernsehmoderator Nikolai Swanidse erklärte, die Russen müssten endlich akzeptieren, dass ukrainische Politiker ukrainische Interessen verfolgten, die in vielen Punkten anders seien als die russischen.

In Swanidses Sendung erklärten Moskauer Politologen, dass die Russen nach wie vor der Illusion anhingen, die russischsprachige Bevölkerung im Industriegebiet Donbass, der Heimatregion des ukrainischen Präsidenten Viktor Janukowitsch, und in der Hafenstadt Odessa strebe die Wiedervereinigung mit Moskau an. In Wirklichkeit hätten dort die Wirtschaftseliten und die gut ausgebildete junge Generation die EU fest im Blick.

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