Süddeutsche Zeitung

Nach US-Sanktionen:Wladimir der Großherzige

  • Moskau wirft den USA Einmischung in innere Angelegenheiten vor. Die USA glaubt überall, die Handschrift Russlands zu erkennen.
  • Beweise für ihre Anschuldigungen wollen beide nicht veröffentlichen.
  • Nach der Ausweisung von russischen Diplomaten aus den USA pöbelt Maria Sacharowa, Sprecherin des russischen Außenministeriums, auf Facebook gegen die "außenpolitischen Versager" aus der US-Regierung.
  • Wladimir Putin hingegen lässt sich Zeit mit einer Reaktion.

Von Julian Hans

Es ist eine kühle Frühlingsnacht in der russischen Hauptstadt, als ein Taxi vor der Großen Dewjatinskij Gasse Nummer 8 hält. Ein Mann steigt aus und geht eilig auf die amerikanische Botschaft zu. Da springt die Tür des Wachhäuschens vor dem Gebäude auf, ein russischer Uniformierter stürzt heraus und reißt den Mann zu Boden.

Einige Sekunden ringen die beiden auf den Stufen, bis es dem Besucher gelingt, in den Eingang der diplomatischen Vertretung zu robben, unter den Schutz seines Staates. Eine Überwachungskamera nimmt die Szene am 6. Juni dieses Jahres auf. Als das russische Staatsfernsehen sie ausstrahlt, wird das heftige Gerangel, das zwischen Geheimdiensten und Diplomaten beider Staaten im Verborgenen im Gange ist, für einen Augenblick der Öffentlichkeit sichtbar. Ein US-Diplomat bestätigt später der Washington Post, was die Russen von Anfang an behauptet hatten: Der Mann aus dem Taxi gehörte zum US-Geheimdienst CIA.

Moskau wirft USA Einmischung vor

Solche Feindseligkeiten gibt es seit Monaten. Mit der Ausweisung von 35 Diplomaten hat US-Präsident Barack Obama nun die Karten in einem Spiel auf den Tisch gelegt, dessen Widersprüche zuletzt immer deutlicher zum Vorschein kamen. Vordergründig diplomatische Bemühungen, Suche nach pragmatischen Lösungen, selbst wenn die Positionen zu zentralen Fragen weit auseinanderliegen.

Zweimal war US-Außenminister John Kerry 2016 in Russland, blieb mehrere Tage, um mit Wladimir Putin und Außenminister Sergej Lawrow zu sprechen. Die beiden trafen sich zudem fast im Wochenrhythmus auf Gipfeln und zu den Syrien-Gesprächen in Genf.

Aber gleichzeitig trugen Vertreter beider Staaten im Hintergrund einen erbitterten Konflikt aus. Seit den Massenprotesten gegen gefälschte Parlaments- und Präsidentschaftswahlen in Russland 2011 und 2012 wirft Moskau den Amerikanern Einmischung in die inneren Angelegenheiten vor. Im Kreml glaubt man, einen roten Faden zu erkennen von den Revolutionen in Ex-Sowjet-Republiken über den Arabischen Frühling bis zum Kiewer Maidan. Dieser Faden werde in Washington gesponnen, und letztes Ziel sei Moskau.

Diplomaten im Dilemma

Umgekehrt bekommt das Weiße Haus von seinen Diensten immer mehr Berichte, die überall die Hand Moskaus zu erkennen meinen: Bei den Schüssen auf dem Maidan, hinter den sogenannten Separatisten in der Ostukraine und zuletzt bei den Hacker-Angriffen auf Computer der Demokraten im US-Wahlkampf. "Was ihr könnt, können wir auch", scheinen die Russen damit zu sagen.

Das Spiel von Lügen, Täuschung und Maskerade bringt die Diplomatie in ein Dilemma: Wer es öffentlich anspricht, müsste Beweise vorlegen. Das ist schwer, ohne die eigenen Quellen zu gefährden. Und es würde die diplomatischen Bemühungen endgültig untergraben. Aber bei ihren Treffen hinter verschlossenen Türen sagen sich Kerry und Lawrow deutlich die Meinung. Und auch Obama fordert Putin am Telefon dazu auf, die Attacken zu stoppen. Ausweisungen und neue Sanktionen erfolgten "nach wiederholten persönlichen und öffentlichen Warnungen, die wir der russischen Regierung ausgesprochen haben", sagt er bei der Bekanntgabe der Entscheidung am Donnerstag.

Welche Regeln für Diplomaten gelten

Spionagezentralen ausfindig zu machen, ist oft verblüffend einfach. In aller Regel befinden sie sich in bester Lage. In Deutschland unterhält Russland so eine Zentrale Unter den Linden, ganz in der Nähe von Bundestag und Kanzleramt. Mit einem "besonders hohen Personalstand" betreibe Russland in seinen Botschaften und Konsulaten in Deutschland "Legalresidenturen", heißt es im jüngsten Verfassungsschutzbericht. Solche Residenturen gehören zum internationalen Geschäft, in dem Staaten - mitunter auch befreundete - einander nun einmal ausspähen. Die im Wiener Übereinkommen über diplomatische Beziehungen verankerte Exterritorialität von Botschaften und die Immunität von Diplomaten machen die Vertretungen zu idealen Standorten für nachrichtendienstliche Quartiere. Regierungen und Parlamente werden von dort aus sowohl mit technischen Mitteln als auch traditioneller Agentenarbeit ausspioniert. Zwar sind Diplomaten verpflichtet, die Gesetze des Gastlandes zu beachten und sich nicht in innere Angelegenheiten einzumischen. Doch in der Praxis müssen sie nur eine Strafe fürchten: die Ausweisung. Daniel Brössler

Trotzdem wartete Obama erst die US-Wahl ab, obwohl alle US-Sicherheitsbehörden zu dem gleichen Schluss kommen: Die Hacker-Angriffe und der Versuch, mit der Veröffentlichung kompromittierender Interna aus dem Clinton-Lager die Wahl zu beeinflussen, das alles trägt die Handschrift alter KGB-Schule.

"Obama's Coming Out" überschreibt Maria Sacharowa ihre erste Stellungnahme auf Facebook. Die Sprecherin des russischen Außenministeriums hat mit der Verbindung von sowjetischer Diplomatie und dem pöbelnden Ton von Internet-Kommentatoren ein eigenes Genre geschaffen. "Das ist keine Regierung, das ist eine Gruppe boshafter und kurzsichtiger außenpolitischer Versager", höhnt sie. Von diesen "Spoilern" tue ihr nur John Kerry leid, der habe sich wenigstens bemüht. "Amerika und das amerikanische Volk wurden von ihrem eigenen Präsidenten erniedrigt".

Schon ist die Rede davon, als Antwort auf Washingtons Entscheidung werde die Anglo American School geschlossen. Der US-Sender CNN will das von einem Insider erfahren haben. In einem modernen Gebäudekomplex in einem Wäldchen nahe der russischen Hauptstadt lernen fast 1500 Kinder. Ihre Eltern arbeiten bei den diplomatischen Vertretungen der USA, Großbritanniens, Kanadas und anderer Staaten. Viele ausländische Manager in Moskau schicken ihre Kinder dorthin, damit sie den Anschluss an das westliche Bildungssystem nicht verlieren, auch wohlhabende Russen. "Das ist eine Lüge" teilt Sacharowa am Freitag mit.

Wladimir Putin lässt sich Zeit mit einer Reaktion. Erst dürfen Minister und Abgeordnete poltern. Sergej Lawrow kann das am besten. "Die scheidende Regierung von Barack Obama beschuldigt Russland aller Todsünden", spottet er. Am Scheitern ihrer Außenpolitik solle Moskau ebenso schuld sein wie an der Niederlage der Demokraten bei den Wahlen.

An den Vorwürfen, Hacker hätten sich in russischem Auftrag in den US-Wahlkampf eingemischt, sei nichts dran, sagt Lawrow. Aus Anlagen, in denen die Kinder russischer Diplomaten ihre Weihnachtsferien verbringen wollten, machten die Amerikaner "ein Spionagenest". Weil nach den Gepflogenheiten der Diplomatie "dieser Unfug nicht unbeantwortet bleiben kann", schlägt der Außenminister vor, ebenfalls 35 US-Diplomaten auszuweisen. Sein Ministerium habe schon entsprechende Mitarbeiter der US-Vertretungen ausgesucht.

In das gleiche Horn stößt Leonid Sluzkij von der Partei des Rechtspopulisten Wladimir Schirinowskij, der seit dem Herbst den Auswärtigen Ausschuss der Staatsduma leitet. 35 amerikanische Diplomaten zu unerwünschten Personen zu erklären sei "eine absolut adäquate Antwort auf das aggressive und schwer erklärbare Vorgehen der USA gegenüber Russland".

Putin schickt Neujahrsgrüße

Damit ist die Vorlage geschaffen für den Auftritt des Präsidenten. Die "unfreundlichen Schritte der scheidenden US-Regierung" seien leicht als "Provokation" zu durchschauen, sagt Wladimir Putin. Dahinter stecke die Absicht, die russisch-amerikanischen Beziehungen dauerhaft zu beschädigen. "Aber auf dieses Niveau verantwortungsloser Küchen-Diplomatie wollen wir uns nicht herablassen", sagt er. Politik werde künftig mit Donald Trump gemacht.

Die amerikanischen Diplomaten dürfen bleiben, ihre Kinder sind zum großen Neujahrsfest im Kreml eingeladen. "Schade, dass Obamas Regierung ihre Arbeit auf diese Weise beendet", sagt Putin. "Aber trotzdem wünsche ich ihm und seiner Familie alles Gute zum Neuen Jahr. Und ich gratuliere dem gewählten Präsidenten Trump und dem ganzen amerikanischen Volk". Der Punkt ist gemacht. Soll der Verlierer ruhig wüten.

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SZ vom 31.12.2016/lkr
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