Süddeutsche Zeitung

Nach tödlicher Messerattacke:Rechte ziehen durch Chemnitz - Übergriffe auf Migranten

Lesezeit: 2 min

Der spontane Aufmarsch Hunderter Rechtsradikaler nach dem gewaltsamen Tod eines 35-Jährigen in Chemnitz beschäftigt am Montag Polizei und Stadt. Ein Stadtsprecher sagte, die Geschehnisse vom Sonntag müssten ausgewertet werden. Die gesamte Nacht über waren verstärkt Einsatzkräfte im Stadtgebiet unterwegs. "Es war ruhig. Es gab keine besonderen Ereignisse in der Nacht", sagte ein Sprecher der Polizei.

Der Polizei zufolge hatte es am Sonntag mehrere Aufrufe im Internet gegeben, sich in der Innenstadt einzufinden. Den Angaben nach hatten sich daraufhin zunächst gegen 15 Uhr etwa 100 Menschen versammelt. Dies sei störungsfrei verlaufen. Diese Versammlung ging auf einen Aufruf der Alternative für Deutschland (AfD) zurück. Dem folgte eine weitere Versammlung um 16.30 Uhr. Zu dieser Versammlung hatte dem MDR zufolge die rechte Ultra-Fußballvereinigung Kaotic Chemnitz aufgerufen. Dem Aufruf waren nach Polizeiangaben etwa 800 Personen gefolgt.

"Die Personengruppe reagierte nicht auf die Ansprache durch die Polizei und zeigte keine Kooperationsbereitschaft", teilten die Beamten mit. Die Gruppierung habe sich plötzlich in Bewegung gesetzt. Die Polizei sei zunächst nur mit geringen Kräften vor Ort gewesen, hieß es weiter. Weitere Einsatzkräfte kamen zu diesem Zeitpunkt aus Dresden und Leipzig. Die Ansammlungen hatten sich am Abend nach und nach aufgelöst.

Medienberichten zufolge war die Stimmung aufgeheizt, Migranten wurden bedroht und angegriffen. So berichtet der MDR, eine Gruppe Demonstranten sei durch den Stadthallenpark gerannt und habe "Kanakenklatschen" gerufen. Daraufhin habe eine Gruppe von Migranten die Flucht ergriffen. Ein junger Mann, der dabei hinfiel, sei danach geschlagen und getreten worden. Die Polizei, so heißt es in dem Bericht, habe weitere Ausschreitungen in dem Fall verhindert.

Auf einem Video, das auf Twitter kursiert, ist zu sehen, wie eine Gruppe Männer auf einer großen Straße einige Jugendliche bedrängt, die offenbar ausländische Wurzeln haben. Rufe wie "haut ab" und "ihr seid hier nicht willkommen", sind zu hören. Am rechten Bildrand taucht plötzlich ein Mann auf, der gezielt auf einen der Jugendlichen zurennt und ihn förmlich über die Straße jagt.

Die Stadt beendete aus Sicherheitsbedenken vorzeitig ihr Stadtfest. Derzeit würden vier Anzeigen bearbeitet, darunter seien zwei wegen Körperverletzung, eine wegen Bedrohung sowie eine wegen Widerstands gegen Vollstreckungsbeamte, teilte die Polizei mit.

"Wenn ich sehe, was sich in den Stunden am Sonntag hier entwickelt hat, dann bin ich entsetzt", sagte Oberbürgermeisterin Barbara Ludwig (SPD) dem MDR. "Dass es möglich ist, dass sich Leute verabreden, ansammeln und damit ein Stadtfest zum Abbruch bringen, durch die Stadt rennen und Menschen bedrohen - das ist schlimm."

Polizei widerspricht Gerüchten über das Motiv

Der 35-jährige Deutsche war in der Nacht zum Sonntag nach dem Chemnitzer Stadtfest bei einem Streit zwischen Menschen mehrerer Nationalitäten ums Leben gekommen. Die Gründe für die Auseinandersetzung sind bislang ungeklärt. Die Polizei widersprach via Twitter Gerüchten, wonach der Streit auf die sexuelle Belästigung einer Frau zurückzuführen sei. Dafür gebe es bislang keinerlei Anhaltspunkte, hieß es von den Beamten.

Die Polizei nahm zwei 22 und 23 Jahre alte Männer vorläufig fest, die sich vom Tatort entfernt hatten. Zu deren Nationalität wollten die Beamten zunächst keine Aussage machen, da noch geprüft werde, ob und wie diese in die Auseinandersetzung involviert gewesen seien. Staatsanwaltschaft und Polizei ermitteln wegen Totschlags.

Das schwer verletzte 35-jährige Opfer starb im Krankenhaus. Zwei weitere verletzte Männer im Alter von 33 und 38 Jahren wurden ebenfalls ins Krankenhaus gebracht. Am Sonntag wurden Zeugen vernommen, wie eine Sprecherin weiter sagte. Aus ermittlungstaktischen Gründen wollte die Polizei zunächst keine weiteren Angaben machen.

Bestens informiert mit SZ Plus – 4 Wochen kostenlos zur Probe lesen. Jetzt bestellen unter: www.sz.de/szplus-testen

URL:
www.sz.de/1.4106033
Copyright:
Süddeutsche Zeitung Digitale Medien GmbH / Süddeutsche Zeitung GmbH
Quelle:
SZ.de/dpa/fie/afp/jael
Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über Süddeutsche Zeitung Content. Bitte senden Sie Ihre Nutzungsanfrage an syndication@sueddeutsche.de.