Nach dem Tod Osama bin Ladens:"In Pakistan werden Köpfe rollen"

Barack Obama ist davon überzeugt, dass Osama bin Laden ein Helfernetzwerk hatte und kritisiert den Verbündeten Pakistan.

US-Präsident Barack Obama verstärkt den Druck auf Pakistan. Eine Woche nach dem tödlichen Angriff auf Osama bin Laden fordert Obama die Regierung in Islamabad in einem TV-Interview auf, die Helfer des Topterroristen zu ermitteln.

"Wir glauben, dass es ein Unterstützer-Netzwerk für Bin Laden in Pakistan gegeben hat", erklärte Obama in seinem ersten langen Fernsehinterview seit dem Einsatz einer US-Spezialeinheit gegen Bin Laden auf dessen Anwesen in der pakistanischen Stadt Abbottabad.

Unklar sei, ob Bin Ladens Helfer aus dem Kreis der pakistanischen Regierung stammten, sagte Obama am Sonntagabend dem Sender CBS. "Das ist etwas, was wir untersuchen müssen, und noch wichtiger: was die pakistanische Regierung untersuchen muss."

Islamabad habe signalisiert, an der Aufklärung ein starkes Interesse zu haben. Dies sei jedoch keine Frage von drei oder vier Tagen.

Am Montag will sich Pakistans Premier Yousuf Raza Gilani im Parlament in Islamabad zu dem US-Einsatz gegen Bin Laden äußern. Seine Regierung ist wegen des eigenmächtigen Vorgehens der USA auf pakistanischem Territorium unter innenpolitischen Druck geraten.

Gilani wird vorgeworfen, die Souveränität seines Landes nicht geschützt zu haben. Selbst aus der eigenen Volkspartei PPP gibt es Rücktrittsforderungen an ihn und Präsident Asif Ali Zardari.

Pakistans Botschafter in den USA, Husain Haqqani, kündigte bereits personelle Konsequenzen in seiner Heimat an. "Es werden Köpfe rollen, wenn die Untersuchung abgeschlossen ist", sagte Haqqani dem US-Sender CNN. "Und wenn - Gott bewahre! - jemandem Komplizenschaft nachgewiesen wird, gibt es auch dafür null Toleranz." Pakistan wolle sämtliche "Bedenken der Welt" über die Rolle des Landes im Fall Bin Laden ausräumen, ergänzte Haqqani. Demnach werden dazu die nach dem US-Spezialeinsatz vor einer Woche festgenommenen Menschen derzeit verhört, darunter auch drei Ehefrauen des getöteten Terrorchefs. Die USA forderten Zugang zu den drei in Pakistan festgehaltenen Witwen.

Von den Witwen erhoffen sich die USA Informationen darüber, ob Pakistan Bin Laden Unterschlupf geboten hat. Des weiteren könnten die Frauen Einblicke in den Alltag des Terroristen-Führers liefern sowie Hinweise auf seine Tätigkeit nach der Invasion in Afghanistan 2001 und die inneren Strukturen der al-Qaida.

Obama lobte in dem Interview die bisherige Zusammenarbeit mit den pakistanischen Behörden. "Wir haben nirgendwo so viele Terroristen getötet wie auf pakistanischem Boden, und das wäre ohne pakistanische Hilfe nicht möglich gewesen", erklärte er. Anhand des gefundenen Materials gehe er davon aus, dass die USA die Taliban im afghanisch-pakistanischen Grenzgebiet besiegen könnten.

"Die längsten 40 Minuten meines Lebens"

Die Tötung Bin Ladens sowie den Fund von Dokumenten in seinem Versteck bezeichnete Obama als Chance, dem Terrornetzwerk einen "fatalen Schlag" zu versetzen. "Dies bedeutet nicht, dass wir den Terrorismus besiegen werden", erklärte Obama. Al-Qaida habe auch in anderen Teilen der Welt "Metastasen" gebildet, die angegriffen werden müssten. "Doch es bedeutet, dass wir eine Chance haben, so denke ich, dieser Organisation einen wirklich fatalen Schlag zu versetzen, wenn wir in den nächsten Monaten aggressiv fortfahren", sagte Obama.

Barack Obama

 Barack Obama erwartet von Pakistan Antworten.

(Foto: AP)

Es werde aber "einige Zeit" dauern, bis das Material ausgewertet werde, das bei dem Kommandoeinsatz vergangenen Montag im Versteck Bin Ladens im nordpakistanischen Abbottabad mitgenommen worden war. Der US-Präsident sagte, es werde erwartet, dass die Daten zu anderen Terroristen führen, die schon lange gesucht werden. Zudem könnten die Ermittler Erkenntnisse über weitere Anschlagspläne gewinnen sowie verstehen lernen, wie al-Qaida operiert und kommuniziert.

Obama lobte auch die Spezialeinheit Navy Seals, die den Einsatz ausgeführt hatte. Diese habe bei dem nächtlichen Einsatz die "Geistesgegenwart" gehabt, einen "Schatz an Informationen" mitzunehmen.

Zum ersten Mal sprach Obama auch öffentlich über das, was er empfand, als er den Angriff auf das Bin Laden-Versteck per Bildschirm im Situation Room des Weißen Hauses verfolgte. Dort sei es sehr still und angespannt gewesen.

"Es waren die längsten 40 Minuten meines Lebens", gab Obama zu. Nur als seine kleine Tochter Sasha im Alter von drei Monaten Meningitis hatte, sei er ähnlich angespannt gewesen. Seine erste Sorge habe den Einsatzkräften der Navy Seals gegolten und der Frage: "Wenn ich sie reinschicke, wie kann ich sie auch wieder herausholen?" Die Erleichterung sei sehr groß gewesen, als die Einsatzkräfte aus dem Gebäude herauskamen und verkündeten: "Geronimo (so der Deckname sowohl für die Gefangennahme als auch die Tötung Bin Ladens) ist getötet worden."

Obama erklärte, nur die wenigsten Mitarbeiter des Weißen Hauses hätten von den Plänen gewusst - auch nicht seine Familie. Die Chance, den Einsatz erfolgreich zu beenden, habe 55 zu 45 gestanden. Es sei nicht sicher gewesen, dass Bin Laden sich zu dem Zeitpunkt in dem Haus aufhielt. "Es war es wert, das politische Risiko zu tragen und das Risiko für unsere Männer", sagte Obama.

Mit dem Vorwurf, dass bei der Aktion Menschen getötet worden seien, komme er klar. "So nervös ich während des ganzen Prozesses war: Die Tatsache, die mir am wenigsten den Schlaf geraubt hat, war die, dass wir Bin Laden ausgeschaltet haben."

Pakistanische Medien veröffentlichten unterdessen den Namen eines mutmaßlichen Mitarbeiters des US-Geheimdienstes CIA. Bei ihm soll es sich den Berichten zufolge um den Leiter des CIA-Büros in der Hauptstadt Islamabad handeln.

Es ist bereits das zweite Mal innerhalb von sechs Monaten, dass ein vermeintlicher CIA-Chef in Islamabad durch pakistanische Medien enttarnt wird. Im Dezember hatte die CIA den Mitarbeiter aus dem Land abgezogen. Der pakistanische Geheimdienst hatte später Vorwürfe zurückgewiesen, er sei für die Enttarnung verantwortlich.

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