Nach Sturm auf Baba Amr:Syrische Rebellen warnen vor Massaker

In der syrischen Stadt Homs soll es nach der Einnahme durch die Armee zu Exekutionen gekommen sein, Aktivisten berichten von Massenfestnahmen. Menschenrechtlern zufolge zeigen Satellitenbilder das "Ausmaß einer ungezügelten Brutalität". Ein Konvoi des Roten Kreuzes steht mit Hilfsgütern bereit - doch die syrischen Behörden blockieren die Zufahrt.

Nach dem Einmarsch syrischer Regierungstruppen in das umkämpfte Viertel Baba Amr in der Stadt Homs haben Oppositionelle vor einem Massaker gewarnt. Alle männlichen Personen im Alter zwischen 14 und 50 Jahren seien festgenommen worden, berichtete ein Aktivist. Laut dem Nachrichtensender al-Arabija steckt der syrische Geheimdienst hinter den Festnahmen. Den Angaben zufolge kamen die Angehörigen der "Sicherheitsbehörde" zusammen mit Soldaten der regulären Armee in das Viertel.

Die Berichte über Massenexekutionen alarmieren auch die Vereinten Nationen: Die Hinweise auf die Tötungen würden nun überprüft, sagte der Sprecher der UN-Menschenrechtskommissarin Navi Pillay, Rupert Colville. Das Kommissariat habe Berichte über "schreckliche Massenexekutionen" von 17 Menschen in Baba Amr erhalten.

Homs wurde wochenlang von syrischen Regierungstruppen belagert und beschossen. Nach Angaben von Menschenrechtlern belegen Satellitenfotos, dass es in Homs zu einem Blutbad gekommen sei: "Die neuen Bilder und Augenzeugenberichte zeigen, dass durch den Beschuss weite Teile zerstört wurden, Hunderte Menschen starben und unzählige verletzt wurden", teilte Human Rights Watch (HRW) mit. Die Organisation geht von 700 Toten in der Stadt seit Beginn der Offensive vor einem Monat aus.

Besonders betroffen: das Wohngebiet Baba Amro. "Die Satellitenbilder und die Zeugenaussagen zeigen das Ausmaß einer ungezügelten Brutalität in Baba Amro", sagte HRW-Nahostchefin Sarah Leah Whitson. Die Aufnahmen aus dem All, die aus einer zivilen Quelle stammten, zeigten 950 Krater von Granateneinschlägen in dem Viertel..

Die Regierungstruppen hatten das Viertel in Homs, das seit etwa drei Wochen belagert wird, am Donnerstag gestürmt. Die Aufständischen erklärten, sich aus taktischen Gründen aus dem Viertel zurückgezogen zu haben. Oppositionelle berichteten, Assad-treue Soldaten jagten und töteten Aufständische, die den Rückzug ihrer Kameraden decken wollten. Die Berichte konnten nicht von unabhängiger Seite bestätigt werden, da Syrien die meisten ausländischen Journalisten ausgewiesen hat.

Die Anführer des Aufstands aber sollen es rechtzeitig geschafft haben, sich in Sicherheit zu bringen. In den Onlineforen der Oppositionellen hieß es, Bürgerjournalisten, das medizinische Personal der Behelfsklinik des Viertels und die Deserteure hätten rechtzeitig fliehen können. Unter ihnen sei auch Oberstleutnant Abdul Rasak Tlass, der Kommandeur einer Brigade von Deserteuren.

Hilfskonvoi darf nicht in Baba Amr einfahren

Inzwischen steht ein Konvoi des Internationalen Komitees vom Roten Kreuz (IKRK) und des Syrisch-arabischen Roten Halbmonds mit Hilfslieferungen vor Baba Amr bereit. Allerdings blockieren die syrischen Behörden mit Verweis auf die Sicherheitslage die Zufahrt in das umkämpfte Stadtviertel. An Bord der sieben Lastwagen waren nach Angaben des Roten Halbmonds Nahrungsmittel, Medikamente, Decken und Babynahrung. Freiwillige Helfer hatten demnach bereitgestanden, um notleidende Menschen zu versorgen.

Der Präsident des Internationalen Komitees vom Roten Kreuz, Jakob Kellenberger, bezeichnete den verwehrten Zugang in einer Erklärung als inakzeptabel. Er hoffe, dass die dringend benötigten Hilfsgüter "in der sehr nahen Zukunft" nach Baba Amr gebracht werden können. Die syrische Regierung hatte am Donnerstag dem Roten Kreuz zugesagt, das zuvor von seinen Sicherheitskräften eroberte Baba Amr betreten zu dürfen.

Konvoi bringt Leichen getöteter Journalisten nach Damaskus

Auf dem Rückweg transportierte der Konvoi auch die Leichen von zwei in Homs getöteten Journalisten in Richtung Damaskus. Die Leichen der US-Journalistin Marie Colvin und des französischen Fotografens Remi Ochlik würden in die syrische Hauptstadt übergeführt, teilte IKRK-Sprecher Bijan Farnoudi mit. Colvin und Ochlik waren bei dem Angriff auf ein provisorisches Pressezentrum im Stadtteil Baba Amr ums Leben gekommen.

Die beiden französischen Journalisten, die nach Tagen des Bangens aus der syrischen Rebellenhochburg Homs gerettet werden konnten, sind zurück in Paris. Nach erster medizinischer Hilfe in der libanesischen Hauptstadt Beirut trafen die am Bein verletzte Edith Bouvier und William Daniels am frühen Abend in Frankreich ein.

Großbritannien fordert entschlossenes Vorgehen

Putin: "Wir müssen sicherstellen, dass sie sich nicht gegenseitig umbringen"

Die Staats- und Regierungschefs haben beim EU-Gipfel in Brüssel erneut über den Syrien-Konflikt und weitere Sanktionen beraten. Großbritaniens Premierminister David Cameron forderte mit scharfen Worten ein entschlossenes Vorgehen gegen die syrische Regierung. Das "kriminelle Regime" in Damaskus müsse wegen der "Verbrechen gegen das eigene Volk" zur Verantwortung gezogen werden. "Eines Tages, egal wie lange es dauert, wird es einen Tag der Abrechnung für dieses grausame Regime geben", sagte Cameron.

Frankreichs Präsident Nicolas Sarkozy kündigte an, dass das Land seine Botschaft in Damaskus schließen werde. Damit ist Assad international immer stärker isoliert: Am Vortag wurde bekannt, dass auch Großbritannien aus dem Land abzog, auch die Schweiz schloss ihre Botschaft.

EU-Ratspräsident Herman Van Rompuy kritisierte in ungewöhnlich deutlichen Worten die Syrien-Politik von China und Russland. Beide Länder verhindern im UN-Sicherheitsrat eine Resolution gegen das Assad-Regime. Es sei "nicht tragbar, die Dinge passieren zu lassen wie sie passieren", sagte der Belgier nach Abschluss des EU-Gipfels. Die Lage an Ort und Stelle werde den beiden Ländern schrittweise klar. Peking und Moskau würden auch erkennen, dass es für ihre Stellung in der arabischen Welt schwierig sei, weiter isoliert zu sein. "Es ist an ihnen, ihre Entscheidungen zu fällen", sagte Van Rompuy.

Putin: "Die Syrer müssen entscheiden, wer sie regieren soll"

Der russische Ministerpräsident Wladimir Putin äußerte sich über die Lage der Menschen in umkämpften Städten wie Homs besorgt. "Es ist Sache der Syrer zu entscheiden, wer sie regieren soll", sagte Putin der Londoner Zeitung Times. "Wir müssen sicherstellen, dass sie aufhören, sich gegenseitig umzubringen."

Nötig seien eine Waffenruhe und Verhandlungen zwischen den Parteien. Russland hatte zusammen mit China eine UN-Resolution blockiert, die einen Rückzug Assads von der Macht verlangt hatte. Am Donnerstag aber stimmte Russland für eine Stellungnahme, in der die Vereinten Nationen das syrische Einreiseverbot für die UN-Menschenrechtsbeauftragte Valerie Amos verurteilten.

In Syrien starben seit Beginn des Konflikts vor etwa einem Jahr nach UN-Schätzungen mehr als 7600 Menschen.

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