Nach Steuerkrach in der Koalition:Seehofer, der Unberechenbare

Ihm ist alles zuzutrauen. Horst Seehofer gibt sich im Steuerkrach so unberechenbar, wie ihn viele kennen - und fürchten. Weil der CSU-Chef sich bei der Steuerreform ausgegrenzt fühlte, hat die Koalition in Berlin stark gelitten. Und mancher fragt sich nun, wie weit Seehofer in seinem Zorn zu gehen bereit ist.

Stefan Braun und Mike Szymanski

Am Montag wird viel gerudert in Berlin. Angela Merkels Regierungssprecher Steffen Seibert rudert ziemlich viel, als er nach den Koalitionspannen der letzten Tage gefragt wird. Wenn es nicht so ernst wäre, könnte man sogar schmunzeln über Seiberts Versuche, sich bloß kein Wort zum Steuerstreit und seinen Nachwehen am Wochenende entlocken zu lassen.

German Chancellor Merkel talks to Bavarian Prime Minister Seehofer during CSU party convention in Nuremberg

CSU-Chef Horst Seehofer mit Bundeskanzlerin Angela Merkel: Ein Koalitionsbruch könnte wie ein Brandbeschleuniger wirken.

(Foto: REUTERS)

Quasi zum Ausgleich fürs große Schweigen redet er umso mehr darüber, dass niemand in der Koalition die schöne Atmosphäre am Freitagabend kritisiert habe. Hermann Gröhe, der CDU-Generalsekretär, rudert ähnlich. Auch er windet sich, um nicht konkret werden zu müssen. Immerhin sagt er zum Abschluss, er gehöre nicht zu denen, die ihre Manöverkritik auf einer Pressekonferenz ausbreiten würden.

Seibert und Gröhe zeigen auf besonders gute Weise, dass die CDU-Seite mittlerweile doch ziemlich gut verstanden hat, wie schwer der Streit die Koalition belastet. Horst Seehofer fühlt sich im Namen seiner ganzen Partei bewusst ignoriert - und hat es erkennbar schwer, zur Tagesordnung zurückzukehren. In seiner Wut ist Seehofer dabei für Feind wie Freund schwer einzuschätzen.

Als er am vergangenen Donnerstag Kanzlerin Merkel versetzte - aus Zorn darüber, dass sie die CSU bei ihren Steuersenkungsplänen übergangen hatte -, erkannten viele in der CSU jenen Unberechenbaren in Seehofer wieder, vor dem sie sich fürchten. Einen, dem alles zuzutrauen ist.

Seehofer war für Stunden abgetaucht, und niemand wusste so recht, was er ausheckte. Hatte er die Koalition in Berlin innerlich aufgekündigt? Wartet er jetzt nur darauf, dass er im Zuge der sich verschärfenden Euro-Krise den Notausgang nehmen kann? "Bis hierhin und nicht weiter" - das war seine unmissverständliche Botschaft zu den beschlossenen Euro-Hilfen, die schon wieder als von der Realität überholt gelten.

"Auf Bayern kommt es an"

"Der Gedanke ist bei ihm sicherlich da", sagt einer aus dem Parteivorstand. Seehofer schiebt Frust, weil er mit ansehen muss, wie seine Partei in den Abwärtsstrudel der Berliner Koalition gerissen wird. Seinen Parteitag Anfang Oktober stellte der CSU-Chef für alle deutlich sichtbar unter das Motto: "Auf Bayern kommt es an."

Als die Landesgruppe im Spätsommer zur Klausur im fränkischen Banz zusammenkam, schärfte er den Bundestagsabgeordneten ein, die Interessen des Freistaates stärker zu vertreten. Die "bayerische Karte" spielen, nannte Seehofer das. Und der Steuerkrach dürfte ihn nun darin bestärken, dass mit Schwarz-Gelb in Berlin aus seiner Sicht kaum ein Punkt zu machen ist. "Es ist schwer, mit der Koalition Erfolg zu haben", stöhnte er vergangene Woche.

In Münchner Parteikreisen spricht keiner einen kalkulierten Bruch der Koalition in Berlin offen an. "Im Moment stellt sich die Frage nicht", sagt ein anderes Vorstandsmitglied, erklärt aber sofort, wer Schuld an der Misere sei: "Die Probleme liegen bei der FDP und in Teilen der CDU." Insgeheim machen viele Spitzenfunktionäre die Rechnung auf, ob man allein nicht vielleicht doch besser da stünde. "Es sind theoretische Spielchen", sagt einer. Und: "Die Folgen sind einfach nicht abzuschätzen."

Riskantes Spiel

Es wäre also ein riskantes Spiel, auf das sich die CSU einlassen würde, einmal davon abgesehen, dass das bürgerliche Lager insgesamt am Ende wäre. Anders als in früheren Jahren, als sich die CSU noch auf eine absolute Mehrheit im Freistaat verlassen konnte, fehlt ihr heute die stabile Mehrheit und damit der Rückzugsraum, derartige Alleingänge wirklich durchzuhalten.

Seit der verheerenden Niederlage bei der Landtagswahl 2008 braucht die CSU auch im Freistaat einen Koalitionspartner, um regieren zu können. Erstmals seit Jahrzehnten hätte sogar ein Oppositionsbündnis unter Führung der SPD mit ihrem Spitzenkandidaten, dem Münchner Oberbürgermeister Christian Ude, rechnerisch die Chance, die Christsozialen abzulösen. Ein Scheitern im Bund - und das wäre ein Koalitionsbruch immer - könnte wie ein Brandbeschleuniger wirken und den Machtverlust in Bayern sogar noch beschleunigen.

Ein Ausstieg aus der Koalition in Berlin hätte zudem noch ganz andere, unberechenbare Folgen. So wäre völlig offen, ob ein derartiger Bruch innerhalb der Union noch zu kitten wäre. Was auch für die Fraktionsgemeinschaft im Bundestag nicht folgenlos bleiben würde.

Womit man bei der CSU-Landesgruppe wäre. Sie hat derzeit nicht die Stärke früherer Tage, nicht gegenüber der Münchner Parteispitze, nicht gegenüber den Koalitionspartnern.

Nicht nur die Koalitionsspitze hat Schaden genommen

Dass das Kanzleramt das Nein des CSU-Chefs ignorierte, lenkt den Blick auch auf die Schwäche der Christsozialen in Berlin. Selbst wenn Landesgruppenchefin Gerda Hasselfeldt in der Sache bei Merkel sein sollte - der Affront gegen ihre Parteispitze ist trotz aller Distanz zu Seehofer auch ein Affront gegen sie gewesen. Mag sein, dass sie von Seehofers Nein zu den Steuerplänen nichts wusste und deshalb nicht protestierte. Auch das aber würde ihre Rolle als wichtigste Vertreterin der CSU in Berlin keineswegs stärken.

Ungewollt hat deshalb nicht nur die Koalitionsspitze Schaden genommen. Auch die CSU-Abgeordneten aus Bayern haben verloren. Die Episode zeigt, dass sie weder gegenüber der Kanzlerin noch gegenüber Seehofer besonderes Gewicht besitzen. Am Montagabend wollten sie darüber beraten. Dabei gibt es kaum jemanden, der aus der Koalition aussteigen möchte. Zugleich wird die Zahl derer groß sein, denen es ganz und gar nicht gefallen kann, was da passiert ist.

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