Wenn es einem Menschen richtig dreckig geht, bekommt er oft zu hören: "Was dich nicht umbringt, macht dich stärker." Das baut den Menschen zwar nicht auf, doch der Spruch funktioniert - unter zwei Bedingungen: Der Betroffene muss erkennen, was ihn in die Lage gebracht hat. Und, noch wichtiger, er muss daraus lernen wollen. Dann kann sich aus dem Schrecken des Augenblicks die Kraft der Verzweiflung entwickeln.
Die katholische Kirche in Deutschland steckt in einer solchen Schreckenslage. Erst die Meldungen über Kindesmissbrauch, in Klöstern, in Schulen, in Internaten. Dann der Vorwurf an den Augsburger Bischof, er habe Kinder geschlagen. Es folgten seine Lüge und sein Rücktritt. Nun wird auch noch wegen des Verdachts auf Missbrauch Minderjähriger gegen ihn ermittelt. Drei Tage vor dem Ökumenischen Kirchentag in München steht die katholische Kirche vor großen Herausforderungen.
Genau jetzt müsste sie jenen Mut der Verzweiflung entwickeln, der nötig ist, um nicht in der Krise unterzugehen. Die ersten Bischöfe spüren das: Die Vorsitzenden der deutschen und der bayerischen Bischofskonferenz, Robert Zollitsch und Reinhard Marx, haben den Augsburger Bischof Walter Mixa zum Rücktritt gedrängt - so was gab es noch nie. Nun hat das eigene Bistum die Vorwürfe gegen Mixa bei der Staatsanwaltschaft angezeigt - auch das einmalig. Und der Bamberger Bischof Ludwig Schick stellt als erster hoher Würdenträger in Deutschland nun sogar den Zölibat zur Disposition. Nichts scheint mehr unmöglich zu sein in dieser Kirche.
Doch diese Bischöfe stellen nicht die Mehrheit der katholischen Funktionäre. Noch immer haben diejenigen das Sagen, die hinter jeder Kritik den Antichrist vermuten. Keiner hat bisher den Regensburger Bischof zur Vernunft gerufen, der kritische Medien mit NS-Propagandaminister Goebbels verglich und ihnen vorwirft, sie spielten sich zu "Gegenpäpsten" auf. Und noch immer gibt es Priester, die Mixa und sein System der Scheinheiligkeit verteidigen.
Es reicht für die Regeneration der Kirche nicht aus, dass Mixa weg ist. Man muss auch aufräumen, was er hinterlassen hat: Der Leiter seines Priesterseminars wurde in die Provinz versetzt, weil er sich Mixas eigenartigen Vorlieben bei der Auswahl von Priesterkandidaten entgegengestellt hat. Wer holt ihn zurück? Und wer holt Gotthold Hasenhüttl zurück? Der emeritierte Theologieprofessor hatte 2003 auf dem ökumenischen Kirchentag in Berlin gewagt, das Abendmahl gemeinsam mit einem evangelischen Pfarrer zu feiern. Ausgerechnet der nun so forsche Aufklärer Marx hat ihn damals suspendiert.
Jetzt, wo das Problem Mixa gelöst ist, könnten Marx und seine Amtsbrüder sich auch solchen Problemen zuwenden: Der Kirchentag ist eine Gelegenheit, die Freunde der Ökumene zu stärken und sie nicht zu verdrängen. Das wäre der erste Schritt aus dem Jammertal.