Nach Räumung des Protestcamps:Polizei okkupiert die Börse

"Day of Action": Nach der Räumung des Zuccotti Parks wollten die Demonstranten in New York die Börse umzingeln. Für mehr Durcheinander als Occupy Wall Street sorgte allerdings die Polizei: Ein Großaufgebot behinderte nicht nur die Anzugträger auf dem Weg zur Arbeit, sondern ging auch aggressiv gegen die friedlichen Protestierenden vor.

Jörg Häntzschel, New York

Nun, da der New Yorker Zuccotti Park geräumt ist, der seit Mitte September als Hauptquartier von Occupy Wall Street gedient hatte, nahmen die heimatlosen Besetzer die Wall Street selbst ins Visier. Am Donnerstag beging die Bewegung ihr zweimonatiges Jubiläum mit einem "Day of Action", zu dessen Höhepunkten die Blockade der Börse zählen sollte. Für Occupy Wall Street stand viel auf dem Spiel: Es ging darum zu beweisen, dass die Bewegung sich von der Räumung des Camps in New York und den Räumungen in Salt Lake City, Denver, Oakland und Portland nicht einschüchtern lasse und neue Prostestformen finden könne.

Polizisten nehmen in New York eine Demonstrantin fest.

Bei Protestaktionen von Occupy Wall Street in New York gingen Polizisten aggressiv gegen Demonstranten vor.

(Foto: Reuters)

Gelungen ist es den Demonstranten nicht, die Börse zu umzingeln. Das erledigten die Polizisten für sie, die noch vor diesen am frühen Morgen im Finanzdistrikt aufmarschiert waren, und das in so großer Zahl, dass sich Tausende von Angestellten nur mit größter Mühe zu ihren Büros durcharbeiten konnten. Alle Zugänge zur Wall Street, an der die New Yorker Börse liegt, waren mit Polizeigittern und Ketten von Beamten in Kampfmontur verbarrikadiert.

Der Polizei kam die schwierige Aufgabe zu, die Demonstranten abzuwehren, die Angestellten aber einzulassen. Teils genügten Anzug und Krawatte zur Legimitation. Meistens bestand die Polizei jedoch darauf, die Mitarbeiterausweise zu sehen. Als kurz vor neun Uhr zu den tausenden von Polizisten und Demonstranten eine U-Bahnladung von Bankern und Brokern nach der anderen aus dem Untergrund quoll, bildeten sich vor den Kontrollposten Trauben entnervter Wartender.

Die Sprechchöre der Demonstranten machten das Schlangestehen nicht angenehmer. "Ich muss zur Arbeit, sonst verliere ich meinen Job!", flehte einer die Polizisten an, doch die zuckten nur die Schultern. Die Polizei, die bei der nächtlichen Räumung des Zuccotti Park härter vorgegangen war als in vielen anderen Städten, bemühte sich anfangs, ruhig zu bleiben.

Je dichter das Gedränge in den engen Straßen jedoch wurde, desto häufiger wurden die Übergriffe auf die friedlichen Demonstranten. In den Rangeleien ging die Polizei immer wieder mit Schlagstöcken vor. In einer besonders dramatischen Episode rammte eine Gruppe von Polizisten ein Metallgitter in eine dichte Menge.

Schon gegen zehn Uhr parkte auf dem Platz vor der Börse ein Bus der Polizei mit an den Händen gefesselten Demonstranten. Die Polizei sprach von 50 bis 60 Festnahmen. Inoffiziellen Meldungen zufolge waren es aber weit mehr. Unter den Verhafteten waren ein ranghoher pensionierter Polizist, eine Frau im Rollstuhl und eine Frau, die mit nackten Brüsten demonstriert hatte. Ein Mann erinnerte die teils seit Tagen arbeitenden Polizisten daran, auf wessen Seite sie kämpfen: "Polizisten verdienen 56 000 Dollar im Jahr. Der CEO von Goldman Sachs verdient 56 000 Dollar pro Tag."

Nach etwa zwei Stunden entschloss sich die Menge, den Broadway hinauf zu ziehen. Wenig später waren sie dort angelangt, wo sie am frühen Morgen hergekommen waren: am Zuccotti Park. Die Polizei gab den mit Gittern verbarrikadierten, jetzt blitzsauberen Platz bald frei. Demonstrationen sind dort weiterhin erlaubt, nur dauerhaft niederlassen dürfen sich die Demonstranten nicht mehr.

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