Türkei:Ein Jahr nach dem Putschversuch: So geht es der Gülen-Bewegung in Deutschland

DITIB-Moschee

Deutschland könnte das neue Zentrum der Gülen-Bewegung werden. (Symbolbild)

(Foto: dpa)

Morddrohungen, Schulschließungen, zerbrechende Familen: Die deutsche Gülen-Bewegung kämpft seit dem Umsturzversuch in der Türkei um ihren Ruf - und ums Überleben.

Von Deniz Aykanat und Hakan Tanriverdi

Hanife Tosun klopft an die Tür. Hier müsste der Treffpunkt sein, sagt sie. Zweiter Stock in einem Bürokomplex, fernab der Kölner Innenstadt, ein Ort, an den man nicht zufällig gelangt. Tosun wählt eine Nummer. Irgendwo schrillt ein Smartphone. "Da sind sie", sagt Tosun. Plötzlich huscht ein Mann an ihr vorbei die Treppe hinunter und verlässt fluchtartig das Haus.

Zehn Minuten und zwei Anrufe von Tosun später sperrt ebendieser Mann die Tür auf, an der Tosun gerade noch gewartet hatte. Er hat fünf weitere Personen mitgebracht, die sich in der Umgebung versteckt hielten.

Es sind unbeholfen wirkende Versuche, unentdeckt zu bleiben. "Entschuldigen Sie, dass wir so vorsichtig sein müssen", sagt einer von ihnen. Jeder muss sein Smartphone abgeben, der Mann bringt sie in das Nebenzimmer. Er fürchtet, dass der türkische Geheimdienst eines der Geräte geknackt haben könnte und aus der Ferne das Mikrofon einschaltet.

Der Putschversuch in der Türkei ist ein Jahr her. Mindestens 249 Menschen wurden dabei getötet, die Putschisten schossen auf Zivilisten, warfen Bomben über dem Parlament ab. Für den türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdoğan ist noch in der Nacht vom 15. auf den 16. Juli klar, wer den Putschversuch orchestriert hat. Fethullah Gülen. Ein islamischer Prediger, der 1999 ins Exil flüchtete und heute im US-Bundesstaat Pennsylvania lebt. Gülen weist diese Vorwürfe zurück, erst am Dienstag sagte er im US-Radio: "Hätte mich einer dieser Soldaten angerufen, hätte ich ihm gesagt: 'Du begehst Mord.'"

Fast 140 000 Staatsbedienstete haben seit der Putschnacht ihren Job verloren, mindestens 50 000 Menschen sitzen in der Türkei in Haft. Die Süddeutsche Zeitung hat in Deutschland mit 15 Personen gesprochen, die von sich selbst sagen, der Gülen-Bewegung nahezustehen: Ingenieure, Juristen, Lehrer und Journalisten. Knapp die Hälfte will anonym bleiben, vor allem jene, die aus der Türkei geflüchtet sind.

Diese Menschen beschreiben ein Jahr, in dem sie gelernt haben, im Schatten und in Angst zu leben. Sie fürchten, dass die Macht Erdoğans auch in Deutschland zu spüren ist, durch Todesdrohungen von AKP-Anhängern, weil türkische Zeitungen Leser offen dazu aufrufen, Menschen zu denunzieren und nicht zuletzt wegen des türkischen Geheimdienstes. Gleichzeitig weigern sich viele von ihnen, sich mit der Rolle und Macht auseinanderzusetzen, die der Gülen-Bewegung zugeschrieben wird.

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