Süddeutsche Zeitung

Nach Organspende-Skandal:Weniger Menschen warten auf Organe

Immer weniger Menschen spenden Organe - aber auch die Wartelisten werden kürzer. Offenbar hat der Organspende-Skandal dafür gesorgt, dass Ärzte ihren Patienten seltener eine Transplantation empfehlen. Für die Kranken kann das von Vorteil sein.

Von Christina Berndt

Das Leiden der Kranken stand am Samstag im Vordergrund. Und das Glück derjenigen, denen eine Transplantation das Leben gerettet hat. Am "Tag der Organspende" wies die Deutsche Stiftung Organtransplantation auf das Schicksal der 11 000 Menschen hin, die auf der Warteliste für ein Spenderorgan stehen. Jeden Tag sterben drei von ihnen, weil sie nicht rechtzeitig ein Organ erhalten.

11 000? Die Zahl lässt aufhorchen. Nur 11 000?, könnte man nämlich fragen. Jahrzehntelang standen hierzulande 12 000 Menschen auf der Warteliste. Zuletzt sind es laut dem aktuellsten Bericht der Stiftung Eurotransplant nur noch 10 784 gewesen. Sind mehr als tausend Patienten plötzlich genesen? "Das kann wohl ebenso ausgeschlossen werden wie eine bessere Versorgung mit Organen", sagt Eugen Brysch, Vorstand der Deutschen Stiftung Patientenschutz. Infolge der Transplantationsskandale an deutschen Unikliniken, wo einzelne Patienten bei der Vergabe von Spenderlebern bevorzugt wurden, ist die Spendenbereitschaft massiv eingebrochen.

"Es ist durchaus möglich, dass seit dem Skandal weniger Patienten auf die Warteliste möchten", sagt der Vorsitzende der Ethikkommission der Deutschen Transplantationsgesellschaft, Richard Viebahn: Die Medienberichte über das Für und Wider der Transplantationen könnte dazu geführt haben.

"Es wird jetzt über jeden einzelnen Patienten ausführlich diskutiert"

Die wesentlichen Gründe sind aber wohl bei den Ärzten zu suchen: Diese wägen offenbar stärker ab, bevor sie einen Patienten listen. Mitunter entscheiden sie, gesünderen Patienten eine andere Behandlung anzubieten als die belastende Transplantation. Und schwerstkranke Patienten werden seltener gelistet, weil sie auch mit einem neuen Organ oft nur geringe Überlebenschancen haben.

"Es wird jetzt über jeden einzelnen Patienten ausführlich diskutiert", sagt Eurotransplant-Präsident Bruno Meiser. Seit dem Skandal entscheiden nicht mehr einzelne Ärzte über die Aufnahme auf die Warteliste, sondern Teams von mindestens drei Medizinern. Diesen sei auch bewusst, dass es noch weniger Organe zu verteilen gibt als früher, so Meiser.

Auffällig ist die verkürzte Liste vor allem bei zwei Organen: Während ebenso viele Menschen wie vor fünf Jahren auf Herzen und Nieren warten, sind es bei Lunge und Leber etwa 30 Prozent weniger. Bei der Lunge entscheiden seit Kurzem Messwerte der Körperfunktionen und weniger die Ärzte darüber, ob ein Patient überhaupt gelistet werden darf.

Leber-Patienten werden seltener gelistet

Die Leber wiederum ist nicht nur das Organ, bei dem die Warteliste besonders oft manipuliert wurde. Hier wurde auch Kritik laut, dass viel zu kranke Patienten transplantiert werden. Viele von ihnen sterben schon im ersten Jahr nach der Transplantation - und mit ihnen auch das gespendete Organ.

Wie krank ein Leberpatient ist, lässt sich recht verlässlich mit Hilfe des "Meld-Score" aus drei Laborwerten errechnen. Je höher der Score, desto kränker der Patient. Während Leberpatienten vor dem Skandal mit einem durchschnittlichen Meld-Score von 35 transplantiert wurden, ist dieser heute etwa 10 Punkte niedriger. Wahrscheinlich werden die kränkeren Patienten gar nicht mehr gelistet. Mitunter durchaus zu ihrem eigenen Wohl, da ihnen so ein schwerer Eingriff erspart bleibt, der ihnen nur wenig Lebenszeit und noch weniger -qualität einbringt.

Der Skandal könnte somit zu besseren Abwägungen geführt haben. Allerdings befinden sich die Patienten bei dieser Entscheidung in der Hand der Ärzte. Es gebe keinen vorgeschriebenen Rechtsweg für Patienten, um sich auf die Warteliste zu klagen, wenn sie abgewiesen werden, sagt Patientenschützer Brysch.

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SZ vom 10.06.2014/mahu
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