Süddeutsche Zeitung

CDU in Schleswig-Holstein:Von Boettichers letzter Dienst an seiner Partei

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Von Boetticher bleibt der ersten Sitzung des schleswig-holsteinischen Landtags nach seinem Rückzug als CDU-Partei- und Fraktionschef fern: Er hat sich krank gemeldet. Das soll Ruhe in die aufgeregte Szenerie bringen. Denn inzwischen geht es um weit mehr als um Boettichers Beziehung zu einer 16-Jährigen.

Jens Schneider, Hamburg

Sein Stuhl wird frei bleiben. Am Montagabend, vor der ersten Landtagssitzung nach seinem Rücktritt, hat sich der frühere CDU-Parteichef und Spitzenkandidat in Schleswig-Holstein, Christian von Boetticher, krank gemeldet. Diese Botschaft soll ihm selbst Ruhe bringen, und sie soll Ruhe in die aufgeregte Szenerie im Kieler Landeshaus bringen. Die Krankmeldung dient auch dazu, die Opposition zu besänftigen. Dabei geht es nicht nur um die Debatte nach Boettichers Beziehung zu einer 16-Jährigen, sondern um den Bestand der schwarz-gelben Regierungskoalition.

Denn die Koalition hat im Kieler Landtag nur eine Stimme Vorsprung, und der wäre mit dem Fehlen eines Christdemokraten im Parlament dahin. Für solche Situationen aber haben sich die Abgeordneten - nicht nur in Kiel - schon vor langem Spielregeln gegeben, die Ausdruck von Fairness sind: das sogenannte Pairing. Deshalb haben die Grünen früh signalisiert, dass sie auf eine Stimme verzichten werden, damit Boettichers Krankmeldung nicht zu einer Regierungskrise in Kiel führt.

Doch dann erschienen am Wochenende, wie aus dem Off, verstörende Interviews mit dem eigentlich abgetauchten Ex-Chef der CDU. So erfuhren Grüne und SPD in Kiel, dass er wohl für längere Zeit ins Ausland gehen wolle. Manche lasen das so, dass Boetticher sein Mandat nur halten wollte, um die Regierung zu retten. Oppositionsführer Ralf Stegner (SPD) sah diese Mehrheit damit nun schon vor dem baldigen Ende. Und die Grünen meldeten verärgert, sie seien gewiss "fair, aber nicht blöd". Das Pairing solle verhindern, dass sich kranke Abgeordnete zum Beispiel mit Lungenentzündung in den Landtag schleppen oder auf der Trage gebracht werden müssten. "Aber wir werden die Situation immer neu bewerten", signalisierte die Fraktionsführung. "Ein Durchwurschteln bis 2012 werden wir nicht decken."

Zur weiteren Beruhigung hat der Medien-Berater Boettichers in dessen Auftrag die Ankündigungen aus den Interviews relativiert. Sie sollten sich demnach "ausschließlich auf die beginnende Erholungsphase" beziehen. Boetticher werde sein Mandat wahrnehmen und bitte um Ruhe für sich und dieses Umfeld.

Robert Habeck, Fraktionschef der Grünen im Kieler Landtag, warnte am Dienstag: Die Krankmeldung werde nur akzeptiert, solange sie sich nicht als vorgeschoben erweise. Sehr genau wollen die Grünen beobachten, ob der Krankgeschriebene etwa Interviews gebe oder etwa Urlaubsfotos auf Facebook veröffentliche. Dann nämlich sähen sich die Grünen nicht mehr an die Pairing-Vereinbarung gebunden und würden im Ältestenrat über die neue Lage beraten. Wie lange Boetticher nicht ins Parlament kommen will, weiß noch niemand im Kieler Landtag.

"Pairing" ist ein Prinzip aus dem britischen Unterhaus, das auch in Deutschland schon seit Jahrzehnten angewendet wird: Bei knappen Mehrheitsverhältnissen verständigen sich Regierungs- und Oppositionsfraktionen darauf, dass für jeden erkrankten oder dienstlich abwesenden Abgeordneten einer Seite auch einer der anderen der Abstimmung fernbleibt. Im Bundestag ist das seit 1971 üblich, formlose Absprachen gab es schon früher. Wenn eine Fraktion das Pairing verweigert, werden immer wieder schwerkranke Abgeordnete im Rollstuhl zur Abstimmung gebracht. Hart traf es auch 1970 sechs Mitglieder des Sportausschusses im Bundestag: Sie mussten kurz vor dem Fußball-WM-Halbfinale in Mexiko zur Haushaltsabstimmung heimreisen.

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SZ vom 24.08.2011/kat
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