Nach Journalistenmord:Slowakische Regierung unter Druck

Nach Journalistenmord: Jan Kuciak wurde am Samstag in Stiavnik zu Grabe getragen. Seine Recherchen dürften die Slowakei über seinen Tod hinaus verändern.

Jan Kuciak wurde am Samstag in Stiavnik zu Grabe getragen. Seine Recherchen dürften die Slowakei über seinen Tod hinaus verändern.

(Foto: AFP)
  • Nach dem Mord an dem slowakischen Journalisten Ján Kuciak und seiner Verlobten Martina Kušnírová steigt der Druck auf den slowakischen Regierungschef Robert Fico.
  • Zehntausende Slowaken forderten auf Kundgebungen im ganzen Land den Rücktritt der Regierung.
  • Präsident Andrej Kiska schlug "eine umfassende und grundlegende" Umbildung der Regierung oder vorgezogene Neuwahlen vor.

Von Florian Hassel, Warschau

Es war gut eine Woche nach dem Mord an dem slowakischen Journalisten Ján Kuciak und seiner Verlobten Martina Kušnírová, als Präsident Andrej Kiska den Regierungschef zum Gespräch bat. Der Präsident wollte wissen, was Ministerpräsident Robert Fico unternehmen wolle, um das erschütterte Vertrauen der Slowaken in die Regierung wiederherzustellen. Schließlich hatte der ermordete Journalist mutmaßliche Verbindungen zwischen der italienischen Mafia und zwei hochrangigen Mitarbeitern Ficos aufgedeckt.

Die Antwort des Regierungschefs an den Präsidenten: Er halte keine Aktionen für notwendig - jedenfalls keine Rücktritte führender Minister oder gar den eigenen. Und das, obwohl dies am Freitag vergangener Woche Zehntausende Slowaken bei Kundgebungen im ganzen Land gefordert hatten - allein in der Hauptstadt Bratislava waren es mindestens 25 000 Menschen.

Regierungschef Robert Fico ist angeschlagen

Präsident Kiska wandte sich daraufhin am Sonntagabend in einer Fernsehansprache an die Nation: Er werde Gespräche mit politischen Führern beginnen, "wie das Vertrauen der Menschen in ihren eigenen Staat erneuert werden kann". Der Präsident schlug "eine umfassende und grundlegende" Umbildung der Regierung oder vorgezogene Neuwahlen vor. Umgehend lehnte der umkämpfte Regierungschef beides ab und beschuldigte den Präsidenten, zur Opposition übergelaufen zu sein und "auf den Gräbern von Toten zu tanzen": Die knapp 5,5 Millionen Einwohner zählende Slowakei steckt in ihrer wohl schwersten politischen Krise seit der Aufnahme in die EU 2004.

Regierungschef Fico, der die Slowakei mit einer zweijährigen Unterbrechung seit 2006 regiert, ist nicht nur wegen der posthum veröffentlichten Recherchen Ján Kuciaks angeschlagen. Ihnen zufolge war der von italienischen Staatsanwälten als mutmaßlicher Mafiaboss bezeichnete, seit Jahren in der Slowakei lebende Antonino Vadala früher Geschäftspartner einer Frau namens Mária Trošková: Das Ex-Model war trotz fehlender politischer Erfahrung seit 2015 Assistentin von Regierungschef Fico, später sogar Staatsrätin in seiner Kanzlei. Auch der Sekretär von Ficos Nationalem Sicherheitsrat, Viliam Jasaň, soll den Recherchen Kuciaks zufolge Mafia-Verbindungen gehabt haben. Die slowakische Tochter der Verlage Ringier und Springer, für deren Portal aktuality.sk Kuciak schrieb, will die Arbeit ihres Reporters weiterführen.

Journalist Ján Kuciak hatte viele Feinde

Nach dem Mord und den posthum veröffentlichten Recherchen Kuciaks nahm die slowakische Polizei Vadala und sechs weitere Italiener fest - 48 Stunden später wurden alle wieder freigelassen. Die italienische Spur ist nicht die einzige mögliche in dem Mordfall: Der Journalist Kuciak hatte etwa auch über millionenschweren Steuerbetrug durch regierungsnahe Unternehmer berichtet.

Zum populistischen Stil von Regierungschef Fico gehören nicht nur Ausfälle gegen Immigranten oder Roma, sondern auch gegen Journalisten - in Ficos Wortschatz "schleimige Schlangen" oder "dreckige, anti-slowakische Prostituierte". Derlei Ausdrücke benutzte Fico, wenn Journalisten etwa versuchten, ihn zu möglicher millionenschwerer illegaler Finanzierung seiner Partei durch slowakische Oligarchen zu befragen.

Die ehemalige Regierungschefin Iveta Radičová forderte am Montag den sofortigen Rücktritt aller in die mögliche Mafiaaffäre verstrickten Beteiligten und eine unabhängige Untersuchung der "Verbindung zwischen der Mafia und der Top-Politik". Doch viele Slowaken zweifeln, dass eine wirklich unabhängige Untersuchung möglich ist: Sowohl Innenminister Robert Kaliňák als auch der oberste Anti-Korruptionsbeamte der Slowakei wurden von Medien mit Korruption oder fragwürdigen Kontakten in Verbindung gebracht.

Die nächste große Protestdemonstration ist schon geplant

Ministerpräsident Fico regiert mit seiner nominell sozialdemokratischen Partei nicht allein, sondern in einer Drei-Parteien-Koalition. Ein hoher Funktionär des Bündnispartners von der Nationalen Partei (SNS) soll ebenfalls Verbindungen zum mutmaßlichen Mafioso Vadala gehabt haben. Dritter Partner ist die Most-Hid-Partei, die unter anderem slowakische Ungarn vertritt: Sie hat dem Innenminister Zeit bis zum 12. März gegeben, um zurückzutreten - andernfalls werde man möglicherweise das Kabinett verlassen.

Im Parlament reicht eine einfache Mehrheit von 76 der 150 Parlamentarier, um der Regierung das Misstrauen auszusprechen - so könnte zwei Jahre nach der letzten Parlamentswahl eine neue Regierung gebildet werden oder es zu vorzeitigen Neuwahlen kommen. An diesem Freitag soll in Bratislava die nächste große Protestdemonstration stattfinden.

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