Nach Jamaika-Aus:Die Stunde des Frank-Walter Steinmeier

  • Mit dem Scheitern der Jamaika-Sondierung schlägt die Stunde des Bundespräsidenten Frank-Walter Steinmeiers.
  • Neuwahl oder Minderheitsregierung - keine der beiden Möglichkeiten ist wirklich verlockend. Steinmeier muss jetzt einen Weg aus dieser verzwickten Situation finden.
  • Ob sich stabile Verhältnisse am besten mit einer Neuwahl erreichen lassen, dessen kann er sich nicht sicher sein. Die AfD könnte aber auch ein Argument gegen eine Minderheitsregierung sein.

Von Wolfgang Janisch, Karlsruhe

Natürlich weiß Frank-Walter Steinmeier, dass nun eine Last auf ihn abgeladen wurde, wie sie noch keiner seiner Vorgänger tragen musste. Mit dem Scheitern der Jamaika-Sondierung schlägt die Stunde des Bundespräsidenten. Neuwahl oder Minderheitsregierung, er muss den Ausweg aus der Sackgasse finden; nie ist die Verantwortung des Bundespräsidenten größer als nach einer fehlgeschlagenen Regierungsbildung. Doch weil keine der beiden Möglichkeiten wirklich verlockend ist, versuchte er es am Montag mit einem letzten Appell: Der Wählerauftrag gehe weit über die eigenen Interessen der Parteien hinaus, deshalb sollten sie noch einmal innehalten und ihre Haltung überdenken. Das gelte übrigens auch für Nicht-Jamaikaner, bei denen es "programmatische Schnittmengen" für eine Regierungsbildung gebe. Aber da hatte die SPD, die er damit meinte, sich bereits für eine Neuwahl ausgesprochen.

Dass aus "Jamaika" je ein Verfassungsproblem resultieren würde, konnte man bei der Verabschiedung des Grundgesetzes nicht ahnen. Seinerzeit gab es ja nicht einmal die schwarz-gelb-grüne Flagge der einstmals britischen Insel. Und auch das innenpolitische Farbenspiel, das sich nun wegen eines grellgelben Stichs nicht zu einem Bild zusammenkomponieren ließ, war in dieser Konstellation 1949 noch unbekannt. Dennoch haben die Verfassungsautoren für Fehlschläge mit Jamaika- oder Was-auch-immer-Koalitionen vorgesorgt; Weimar lag noch nicht lange zurück.

Steinmeier wird einen Kanzlervorschlag machen müssen

Der Fahrplan, den Artikel 63 Grundgesetz dafür vorgesehen hat, enthält vier Absätze, zwei für den Normalfall, zwei für die Krise. Absatz eins und zwei regeln, dass der Bundeskanzler - oder eben die Bundeskanzlerin - auf Vorschlag des Bundespräsidenten gewählt wird, und zwar von der Mehrheit der Abgeordneten des Bundestags, derzeit 355 Stimmen. Die wird Angela Merkel nun nicht mehr zusammenbekommen, seit Christian Lindner verkündet hat, nicht zu regieren sei besser, als falsch zu regieren. Weil aber irgendwer regieren muss, ob falsch oder richtig, lässt das Grundgesetz dem Bundespräsidenten keine Wahl: Steinmeier wird einen Kanzlervorschlag machen müssen, der zum Beispiel Angela Merkel lauten könnte.

Und damit nähert man sich Artikel 63 Absatz drei und vier, das ist der Krisenmodus. Sobald der Bundestag zusammengetreten und die Kanzlerwahl gescheitert ist, schickt das Grundgesetz den Bundestag in die zweite Runde. Binnen vierzehn Tagen kann das Parlament einen neuen Versuch starten. Zwei Nachdenkwochen also - aber so verfahren, wie sich die Sache am Tag eins nach Lindners Ausstieg darstellt, müsste schon ein kleines Wunder geschehen. Bleibt dies aus und findet sich wieder keine absolute Mehrheit, dann muss "unverzüglich" ein dritter Wahlgang folgen. Dafür reicht die relative Mehrheit der Stimmen, welche die Union mit ihren 246 Stimmen zusammenbekommen würde.

An diesem Punkt eröffnet das Grundgesetz dem Präsidenten zwei Optionen. Entweder, er ernennt die Siegerin der Abstimmung binnen sieben Tagen zur Regierungschefin - Merkel (oder wer auch immer) wäre dann Kanzlerin einer Minderheitsregierung. Auf bundespolitischer Ebene wäre das ein Novum in Deutschland. Oder er löst den Bundestag auf; dann müsste innerhalb von 60 Tagen neu gewählt werden. Der Bundespräsident, der sonst fast nur durch Reden und Symbole zu wirken vermag, ist vom Grundgesetz also als echter Krisenmanager vorgesehen. Er muss seine Entscheidung im eigenen Ermessen treffen. Einen derart großen Spielraum hat der Bundespräsident sonst nie, nicht bei der Ausfertigung von Gesetzen und schon gar nicht bei der Ernennung von Ministern.

Das Grundgesetz hat keine wirkliche Empfehlung parat

Minderheitsregierung oder Neuwahl? Das Grundgesetz hat hier keine wirkliche Empfehlung parat. Gewiss, Ziel müssen klare und stabile Regierungsverhältnisse sein. Das wird für Steinmeier, den ehemaligen Außenminister, schon mit Blick auf das Ausland eine zentrale Erwägung sein. "Insbesondere in unserer europäischen Nachbarschaft wären Unverständnis und Sorge groß, wenn ausgerechnet im größten und wirtschaftlich stärksten Land Europas die politischen Kräfte ihrer Verantwortung nicht nachkämen", mahnte er. Nur: Ob sich klare und stabile Verhältnisse am besten mit einer Neuwahl erreichen lassen, dessen kann er sich nicht sicher sein. Was, wenn die AfD zulegt und die Union einbricht? Keiner weiß, ob die Sache am Ende nicht noch komplizierter wird.

Die AfD könnte aber auch ein Argument gegen eine Minderheitsregierung sein. Zwar wäre es angesichts der sich zersplitternden Parteienlandschaft an der Zeit, das Regieren mit wechselnden Mehrheiten auch im deutschen Bundestag einzuüben. Doch wird Steinmeier einer Regierung dieses Experiment ausgerechnet im Jahr des AfD-Einzugs in den Bundestag zumuten - einer Partei also, mit der ein parlamentarischer Umgang noch nicht erprobt ist? Das wäre riskant - aber das gilt für beide Optionen.

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