Nach Grubenunglück in der Türkei:Erdoğan soll Demonstranten geschlagen haben

Ein Berater des türkischen Ministerpräsidenten entschuldigt sich für seinen Tritt gegen einen wehrlosen Demonstranten. Doch der Druck auf die Regierung nach dem Grubenunglück von Soma steigt. Sogar Erdoğan selbst steht unter Verdacht, gewalttätig geworden zu sein.

Für die Angehörigen der toten Bergarbeiter in Soma war es wie ein Schlag ins Gesicht. Angesichts des schwersten Grubenunglücks in der Geschichte der Türkei mit mehr als 284 Toten sprach Ministerpräsident Recep Tayyip Erdoğan ganz lapidar davon, dass "solche Unfälle" eben passierten. Und zwar schon seit dem 19. Jahrhundert in Großbritannien.

Die Reaktionen darauf waren heftig. Und nachdem ein Berater von Erdoğan bei Protesten am Unglücksort auf einen am Boden liegenden Demonstranten eingetreten hat, geriet der Umgang mit dem Grubenunglück für die türkische Regierung vollends zum Desaster. Jetzt sind sogar Videos aufgetaucht, die auch Erdoğan selbst in Bedrängnis bringen.

Einige türkische Medien berichten, der Ministerpräsiden habe in Soma einen Mann geschlagen. Videos zeigen, wie der Premier vor aufgebrachten Menschen in einen Supermarkt flüchtet. Dort stellen sich ihm Demonstranten in den Weg. Unter anderem eine junge Frau und ein junger Mann. Es kommt zu Handgreiflichkeiten.

Der junge Mann lässt sich jetzt mit den Worten zitieren, der Ministerpräsident habe ihn unbeabsichtigt geschlagen, weil er wütend auf die Demonstranten gewesen sei und die Kontrolle verloren habe. "Ich werde den Herrn Ministerpräsidenten nicht anzeigen", sagte Taner Kuruca. "Ich erwarte nur eine Entschuldigung."

Andere Medien schreiben, Erdoğan habe auch die junge Frau geohrfeigt, als diese ihn angeschrien habe, sie wolle den Mörder ihres Vaters nicht sehen. Die Videos, die die Vorfälle beweisen sollen, sind allerdings so verwackelt, dass nicht genau zu erkennen ist, ob der Ministerpräsident wirklich gewalttätig geworden ist.

Ein Angriff ohne Konsequenzen

Gerade nach den dokumentierten Tritten des Erdoğan-Beraters Yusuf Yerkel am Mittwoch in Soma bringen diese neuen Vorwürfe die türkische Regierung weiter in Bedrängnis. Zumindest Yerkel versucht sich jetzt in Schadensbegrenzung.

Sein Bild ging um die Welt, nachdem er während eines Besuchs von Erdoğan in Soma voller Wut auf einen auf dem Boden liegenden Demonstranten eingetreten hatte. Der wiederum hatte zuvor gegen die Fahrzeuge der Regierungsmitarbeiter getreten, wurde von Sichheitskräften zur Seite gedrängt. Das war für Yerkel zu viel. Mehrere Fotos zeigen aus unterschiedlichen Perspektiven, wie er mit dem rechten Bein ausholt. Es muss ein harter, schmerzhafter Tritt gewesen sein.

Am Freitag schickt Erdoğans Berater eine Entschuldigung hinterher. "Der Zwischenfall am Mittwoch in Soma tut mir sehr leid", zitierten türkische Medien aus einer Erklärung. Er habe die Selbstbeherrschung verloren - wegen der "Provokationen, Beleidigungen und Angriffe". Der Demonstrant habe ihn und den Regierungschef beleidigt, hatte Yerkel schon am Tag zuvor der Hürriyet gesagt. "Hätte ich ruhig bleiben sollen?"

Nicht nur einmal, sondern drei bis vier Mal habe der Berater zugetreten, sagten Augenzeugen der Online-Ausgabe der Zeitung Hürriyet. Dass die Bilder keine Fälschung sind, räumte auch Yerkel gegenüber der BBC ein, nachdem sie am Donnerstag auf Twitter aufgetaucht waren und rasant verbreitet wurden. Er habe tatsächlich zugetreten.

Es sieht nicht so aus, als habe Yerkel nach seinem Ausraster mit schwerwiegenden Konsequenzen zu rechnen. Zumindest nach außen stärkt ihm sein Chef demonstrativ den Rücken. "Man kann die Situation nicht richtig einschätzen, wenn man nur dieses Foto sieht", verteidigt ihn Erdoğans Chefberater Yalçın Akdoğan in einem Zeitungsbeitrag. Yerkel habe sich gegen den Demonstranten und die Angriffe anderer Erdoğan-Gegner verteidigen müssen, schreibt er.

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