Konflikt zwischen Türkei und Syrien:Merkel ruft zu Besonnenheit auf

Die Gefechte zwischen Syrien und der Türkei eskalieren: Die Türkei beschießt nach dem Einschlag syrischer Granaten das Nachbarland. Dabei sollen syrische Soldaten getötet worden sein. Der Konflikt beschäftigt auch das türkische Parlament, die Nato und den UN-Sicherheitsrat - Bundeskanzlerin Angela Merkel rief beide Seiten zu besonnenem Handeln auf.

Die Türkei hat ihre Artillerie-Angriffe auf syrische Ziele am Donnerstagmorgen wieder aufgenommen, berichteten staatliche Medien in der Türkei.

Bei einem türkischen Luftangriff auf einen syrischen Militärstützpunkt sollen bereits in der Nacht zuvor mehrere Soldaten getötet worden sein. Der nächtliche Angriff habe einer Militärbasis nahe der Grenzstadt Tel Abjad gegolten, teilten die Syrische Beobachtungsstelle für Menschenrechte und türkische Sicherheitskreise übereinstimmend mit.

Die seit Beginn des Aufstands in Syrien andauernden Spannungen zwischen den Nachbarstaaten waren am Mittwoch schlagartig eskaliert, als durch den Einschlag syrischer Mörsergranaten im türkischen Grenzort Akçakale fünf Zivilisten getötet wurden. Mindestens zehn weitere Menschen wurden verletzt, unter ihnen mehrere Polizisten.

Bundeskanzlerin Angela Merkel hat den Beschuss türkischen Gebiets "aufs Schärfste" verurteilt. "Wir stehen an der Seite der Türkei", versicherte sie dem Nato-Partner. Sie glaube aber auch, dass gleichzeitig Besonnenheit das Gebot der Stunde sei. Außenminister Guido Westerwelle warnte vor einem Flächenbrand in der Region. Ob er die Reaktion der Türkei für angemessen halte, wollte er nicht sagen.

Als Reaktion auf den Angriff hatte die Türkei Ziele in Syrien beschossen. Dies sei eine Vergeltung, hieß es aus dem Büro des türkischen Regierungschefs Recep Tayyip Erdogan. "Dieser Angriff ist von unseren Streitkräften sofort erwidert worden", sagte Erdogan in Ankara. Die türkischen Streitkräfte feuerten demnach "auf Ziele entlang der Grenze, die mit Radar identifiziert" worden waren.

Die türkische Regierung sieht die Sicherheit des eigenen Landes durch syrische Regierungstruppen bedroht und will vom Parlament die Zustimmung zum Militäreinsatz auch außerhalb der Türkei. Das geht aus einem Schreiben der Regierung an das Parlament hervor. Gleichzeitig versucht die Regierung Erdogan, die Wogen zu glätten. "Die Türkei hat kein Interesse an einem Krieg mit Syrien. Aber die Türkei ist in der Lage, ihre Grenzen zu schützen und wenn nötig zurückzuschlagen", erklärte der ranghohe Berater Ibrahim Kalin am Donnerstag über den Kurznachrichtendienst Twitter. Die politischen und diplomatischen Initiativen würden fortgesetzt.

Die Türkei hatt nach dem grenzüberschreitenden Beschuss durch syrische Granaten den UN-Sicherheitsrat angerufen. In einem Brief an UN-Generalsekretär Ban Ki Moon und den Sicherheitsratsvorsitzenden, Guatemalas Botschafter Gert Rosenthal, wertete der türkische UN-Botschafter Ertugrul Apakan den Zwischenfall als "aggressiven Akt Syriens gegen die Türkei".

In dem Brief forderte die Türkei den UN-Sicherheitsrat auf, "die nötigen Maßnahmen zu ergreifen, um derartige aggressive Akte zu beenden und zu garantieren, dass Syrien die Souveränität, die territoriale Integrität und die Sicherheit der Türkei respektiert".

Nato-Partner rufen noch keinen Bündnisfall aus

Auf Antrag Ankaras kam wenige Stunden nach dem Angriff der Nato-Rat in Brüssel zusammen, anschließend tagte der UN-Sicherheitsrat. Das Gremium verurteilte den Zwischenfall und sicherte Ankara Unterstützung zu. Der Nato-Rat forderte die syrische Regierung auf, ihre "Verletzungen des internationalen Rechts" einzustellen.

Mit einem Einsatz der Nato rechnen zumindest die USA indes nicht. Angesichts des geringen Ausmaßes des Beschusses zwischen den beiden Staaten wäre die Ausrufung des Bündnisfalls nicht angemessen, hieß es aus US-Regierungskreisen. Sollte die Gewalt aber eskalieren, dann könnte die Einschätzung demnach in Zukunft allerdings auch anders ausfallen.

Die Situation werde genauestens beobachtet, hieß es im Nato-Hauptquartier in Brüssel. Der Bündnisfall nach Artikel 5 des Nato-Vertrages wurde nicht ausgerufen, aber nach Artikel 4 wurden weitere Konsultationen vereinbart.

Russland, einer der letzten Verbündeten von Machthaber Assad, hat Syrien zu einer öffentlichen Entschuldigung aufgefordert. Die Regierung in Damaskus habe über diplomatische Kanäle ein "tragisches Missgeschick" eingeräumt, sagte Außenminister Sergej Lawrow russischen Agenturen zufolge bei einem Besuch in Pakistan. Syrien habe deutlich gemacht, dass solch ein Zwischenfall nie wieder vorkommen werde. "Wir finden es wichtig, dass Damaskus dies öffentlich bestätigt", sagte Lawrow. Er forderte Syrien und die Türkei auf, Grenzfragen wie auch das Problem syrischer Flüchtlinge direkt miteinander zu besprechen.

In Damaskus hat die Regierung laut Medienberichten eine Untersuchung eingeleitet. Das syrische Informationsministerium sprach zugleich sein Beileid für die Opfer aus, berichtete der türkische Fernsehsender NTV. Den Angaben zufolge forderte das Ministerium die Türkei aber auch dazu auf, die grenzüberschreitende Infiltration von Kämpfern zu verhindern, die wie bereits in früheren syrischen Stellungnahmen als "Terroristen" bezeichnet wurden.

Die Türkei hat seit Beginn der Gewalt in dem Nachbarland vor mehr als 18 Monaten etwa 90.000 Flüchtlinge aufgenommen. Damaskus wirft Ankara vor, auch Kämpfer der syrischen Opposition zu unterstützen.

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