Nach G-20-Gipfel in Pittsburgh:Grüne geißeln "Wahlkampfshow"

Verkehrte Welt nach dem G-20-Gipfel: Grüne und Banken kritisieren die Ergebnisse, Merkel lobt sich selbst - und wird von den Gewerkschaften unterstützt.

Der Grünen-Spitzenkandidat Jürgen Trittin hat sich enttäuscht über das Ergebnis des G-20-Gipfels in Pittsburgh und den beschlossenen Maßnahmen gegen überhöhte Boni geäußert. "Das Casino bleibt bis auf weiteres offen", erklärte er am Samstag in Berlin. Die großen Worte beim Gipfel in den USA könnten "das nicht verdecken", erklärte Trittin in Berlin.

Es sei zwar gut, dass bis 2012 neue Eigenkapitalregeln für die Banken beschlossen werden sollten. Doch das bedeute, dass bis 2012 die Finanzmarktexzesse unvermindert weitergehen könnten. Bis dahin hätten die Lobbyisten genug Zeit, den restlichen politischen Willen zu schleifen, warnten Trittin und der finanzpolitische Sprecher der Grünen, Gerhard Schick.

Grüne: "Weit und breit keine Finanzumsatzsteuer"

Die beiden Grünen kritisierten zudem, dass von einer Finanzumsatzsteuer "weit und breit nichts zu sehen" sei. Dies sei "kein Wunder, denn Bundeskanzlerin Merkel und Finanzminister Steinbrück haben hier nur eine Wahlkampfshow für das heimische Publikum geliefert".

Man könne auch nicht erwarten, dass die G-20-Partner einen Vorschlag aus Deutschland übernehmen, den die Bundesregierung noch vor wenigen Wochen selbst als völlig unsinnig bezeichnet habe, erklärten Trittin und Schick.

Enttäuscht von den Ergebnissen des G-20-Treffens äußerte sich auch der Wirtschafts- und Sozialethiker Friedhelm Hengsbach. Zwar sei bei den Absichtserklärungen einiges erreicht worden, aber der Zeitplan sei zu weit gefasst, sagte Hengsbach am Samstag dem "Deutschlandradio Kultur".

"Wirtschaftliche Erholung nach den alten Regeln"

Wenn man beispielsweise bei der Kreditschöpfung der Banken eine strengere Regelung auf zwei oder drei Jahre verschiebe, "denke ich, wird zunächst mal vieles laufen wie bisher". Er befürchte, dass so die zu erwartende wirtschaftliche Erholung nach den alten Regeln verlaufe: "Möglicherweise sind dann schon wieder die Grundlagen für weitere euphorische Blasenentwicklungen gelegt."

Die deutschen Privatbanken warnten vor zu hohem Tempo bei der Änderung der Eigenkapitalvorgaben. Da die deutschen Banken nicht so kapitalmarktorientiert seien wie die angelsächsischen, stelle sich die Frage, wo das Kapital in so kurzer Frist herkommen solle, sagte der Präsident des Bundesverbands deutscher Banken, Andreas Schmitz.

Der Bundesverband Öffentlicher Banken (VÖB) warnte vor einer erhöhten Gefahr einer Kreditklemme durch zu strikte Beschlüsse. Ähnlich äußerte sich der Bundesverband der Deutschen Volksbanken und Raiffeisenbanken.

Merkel: "Wir haben vieles durchgesetzt"

Die Bundeskanzlerin lobt dagegen die Ergebnisse des Treffens - und damit natürlich sich selbst . "Es war eine erfolgreiche Reise", sagte sie auf der Veranstaltung zum Abschluss des CDU-Wahlkampfes am Samstag in Berlin. "Wir haben vieles durchgesetzt. Deutschland hat eine starke Stimme", betonte die Kanzlerin. Die G-20-Staaten hätten "verabredet, gemeinsam Verantwortung für die wirtschaftliche Entwicklung in der Welt zu übernehmen".

Auch DGB-Chef Michael Sommer lobte das "Krisen-Bewältigungs-Duo" Angela Merkel (CDU) und Peer Steinbrück (SPD) für einen erfolgreichen Auftritt beim G-20-Gipfel in Pittsburgh. Man könne "stolz auf diese Regierung bei solchen Gipfel-Anlässen sein", sagte Sommer der Leipziger Volkszeitung. Die Bundeskanzlerin und der Finanzminister machten laut Sommer auf dem Gipfel "einen prima Eindruck", drangen auf praktische Fortschritte und entwickelten "Visionen von der Finanzmarkt-Transaktionssteuer bis zur Charta für nachhaltiges Wirtschaftswachstum"

Auf dem Gipfel in Pittsburgh hatten die G-20-Staaten vereinbart, die Finanzmärkte schärfer zu regulieren. Der Finanzsektor soll reformiert und die G-20 zur zentralen Beratungsinstanz aufgewertet werden. Erstmals sollen Prämienzahlungen an Bankmanager international begrenzt werden.

Außerdem wurde deutlich: Asien und Lateinamerika sind die Gewinner der ausgestandenen Weltwirtschaftskrise. Aufstrebende Nationen wie China, Indien, Brasilien und Mexiko steuern künftig in der Gruppe der 20 führenden Wirtschaftsnationen (G20) die globale Handels-, Konjunktur- und Währungspolitik entscheidend mit.

Auftritt als Weltwirtschaftsregierung

Die von der Rezession besonders hart getroffenen Nordamerikaner und Europäer müssen ihren wirtschaftspolitischen Führungsanspruch teilen.

Die Staats- und Regierungschefs der G20 präsentierten sich zum Abschluss ihres Treffens am Freitag im amerikanischen Pittsburgh als eine Art Weltwirtschaftsregierung.

Erst vor zehn Monaten waren aus der Not der Krise die G20-Gipfel ins Leben gerufen worden. Pittsburgh markierte das dritte Treffen binnen zehn Monaten. Zur Gruppe der 20 gehören 19 Staaten und die Europäische Union. Sie repräsentiert rund 90 Prozent der weltweiten Wirtschaftsleistung.

Die führenden sieben Industriestaaten und Russland (G8) geben ihr Machtmonopol auf und wollen sich künftig auf politische Krisen konzentrieren.

Weltklimaabkommen in Gefahr

Ein Fehlschlag war der Gipfel für die Weltklimaverhandlungen: Sie treten auf der Stelle. Das Ziel, ein neues Abkommen im Dezember in Kopenhagen zu schließen, ist ernsthaft in Gefahr.

Die nächste Konferenz der Staats- und Regierungschefs ist für Sommer in Kanada, die übernächste in Südkorea im November geplant. "Wir erwarten, uns danach jährlich zu treffen und werden uns 2011 in Frankreich treffen", hieß es in der Abschlusserklärung.

Die Polizei in Pittsburgh nahm während des zweitägigen Gipfeltreffens bei Protestveranstaltungen über 140 Demonstranten festgenommen. Der in der Stadt entstandene Sachschaden belaufe sich auf etwa 50.000 Dollar (34.000 Euro), sagte Polizeichef Nate Harper in einer ersten Bilanz nach Abschluss des Gipfeltreffens am frühen Samstagmorgen (Ortszeit).

Der bunte Protestzug von mehreren tausend Globalisierungsgegnern zog am Freitag weitgehend friedlich durch das Zentrum von Pittsburgh. Am Vorabend war die Polizei mit Pfefferspray und Rauchmunition gegen rund 1.000 Gipfelgegner vorgegangen, die Straßenblockaden errichteten, Mülleimer auf die Beamten zurollten und Steine warfen. Mehrere Schaufenster gingen zu Bruch.

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