Nach Eskalation in Ägypten:Mubarak tauscht Regierung aus

Unter dem Druck der Straße bricht Ägyptens Präsident Mubarak sein Schweigen. Die Botschaft seiner Rede an das Volk: Er denkt nicht an Rücktritt. Dafür tauscht er die Regierung aus. Vage verspricht er Reformen. Die Proteste auf den Straßen sind nicht unter Kontrolle - trotz Ausgangssperre und Militäreinsatz. Mehr als ein Dutzend Menschen sollen tot sein. Die wütende Masse demonstriert, manche plündern aber auch nur.

Der ägyptische Präsident Hosni Mubarak hat nach den gewaltsamen Protesten der vergangenen Tage die Bildung einer neuen Regierung angekündigt. Mubarak sagte in der Nacht zum Samstag in einer Fernsehansprache: "Ich habe von den Regierungsmitgliedern gefordert, dass sie ihren Rücktritt einreichen, und morgen werde ich eine neue Regierung einsetzen".

Mubarak, der seit Beginn der Proteste am vergangenen Dienstag geschwiegen hatte, präsentierte sich als Garanten für die Stabilität des bevölkerungsreichsten arabischen Landes: "Wir müssen vorsichtig ein, dass kein Chaos ausbricht, denn dadurch entsteht keine Demokratie." Ägypten müsse stabil und sicher sein. "Es ist ein schmaler Grat zwischen Freiheit und Chaos", sagte Mubarak. Zugleich stellte er klar, dass nur ein "nationaler Dialog" zu Verbesserungen führen könne.

Vage versprach er Reformen: Er kündigte mehr Demokratie und größere Bemühungen zur Bekämpfung der hohen Jugendarbeitslosigkeit. "Wir bewahren, was wir erreicht haben, und wir bauen darauf auf", fügte er hinzu. Während er sprach, zogen Plünderer und Demonstranten, die seinen Rücktritt forderten, weiter durch die Straßen der Hauptstadt.

Zuvor waren die Proteste gegen das Regime Mubaraks weiter eskaliert. Mehr als ein Dutzend Menschen wurden getötet, hunderte verletzt, als nach dem Freitagsgebet im ganzen Land trotz Demonstrationsverbots mehr als 100.000 unzufriedene Menschen auf die Straßen gingen. Die Regierung verhängte eine nächtliche Ausgangssperre über weite Landesteile, die aber vielerots unbeachtet blieb.

In der ägyptischen Hauptstadt Kairo kam es in der Nacht trotz Ausgangssperre zu Plünderungen und Brandstiftungen. Auch Schüsse waren zu hören. Augenzeugen berichteten, Gruppen von Männern aus den Armenvierteln der Stadt hätten mehrere öffentliche Gebäude, Geschäfte und die Zentrale der Nationaldemokratischen Partei (NDP) des Präsidenten in Brand gesetzt. Ein junger Demonstrant sagte dem TV-Sender al-Arabija, er habe gesehen, wie Geschäfte geplündert wurden. Kein Polizist und kein Soldat habe eingegriffen.

Auch das Außenministerium wurde angegriffen. Über der Stadt kreisten Armee-Helikopter. Die staatliche Fluggesellschaft Egypt Air stellte den Flugbetrieb ein. Die Ausgangssperre sollte nach Angaben des staatlichen Fernsehens im Großraum Kairo und den Provinzen Suez und Alexandria bis 7 Uhr am Samstagmorgen gelten. Zunächst war berichtet worden, dass sie über das gesamte Land verhängt worden sei.

Bereits am Nachmittag war die Polizei mit Tränengas, Wasserwerfern und Gummigeschossen gegen Demonstranten vorgegangen. Schon vor Beginn der Kundgebungen hatte die Regierung das Internet und die meisten Mobiltelefon-Verbindungen gekappt.

Über die Zahl der Getöteten herrscht Unklarheit: Augenzeugen berichteten der Nachrichtenagentur dpa von mindestens einem getöteten Demonstranten im Osten Kairos. Nach Meldungen des Senders al-Dschasira wurden zwei weitere Demonstranten in Kairo sowie in Suez getötet. Die Nachrichtenagentur AFP berichtet von insgesamt mindestens 20 Toten und beruft sich dabei auf Angaben von Ärzten und Augenzeugen. Allein in Suez sollen 13 Menschen ums Leben gekommen sein, meldete der Sender al-Arabija unter Berufung auf Krankenhausärzte.Die Zahl der Verletzten gaben Ärzte mit 870 an.

In mehreren Städten gingen am Abend Armee-Einheiten in Stellung. Auch Panzer fuhren auf. Von Präsident Husni Mubarak, der das Land seit 1981 regiert, war unterdessen nichts zu sehen. Eine zunächst angekündigte Fernsehansprache fand nicht statt.

Wie Sicherheitskreise in Kairo bestätigten, wurde Friedensnobelpreisträger Mohammed ElBaradei am Freitag unter Hausarrest gestellt. Der frühere Direktor der Internationalen Atomenergiebehörde IAEA war erst am Vortag nach Ägypten zurückgekehrt. Er gilt als ein möglicher Nachfolger des 82-jährigen Mubarak, der seit 30 Jahren an der Macht ist. Der Chef der liberalen Wafd-Partei, Sajjid al-Badawi, forderte am Abend die Bildung einer Übergangsregierung und eine Änderung der Verfassung.

Junge Männer machen Randale

Dass die zunächst friedlichen Demonstrationen am Nachmittag immer gewalttätiger wurden, war nach Korrespondentenberichten nicht nur der Polizei, sondern auch einigen vor allem jungen Männern zuzuschreiben, die Proteste für Randale genutzt hätten. Ihre Zahl habe im Verlauf des Abends zugenommen.

Bundeskanzlerin Angela Merkel forderte ein Ende der Gewalt und mahnte Meinungs- und Informationsfreiheit an. "Ich rufe alle Beteiligten, vor allem auch die ägyptische Regierung und den Präsidenten auf, dass sie friedliche Demonstrationen genehmigen, dass die Meinungsfreiheit eine Chance hat", sagte Merkel am Rande des Weltwirtschaftsgipfels in Davos.

Angesichts der blutigen Proteste hat das Auswärtige Amt seine Reisehinweise für Ägypten verschärft. Auf nicht unbedingt notwendige Reisen nach Kairo, Alexandria und Suez sollten deutsche Urlauber derzeit verzichten, hieß es am Freitagabend auf der Internetseite des Außenamtes.

Auch die Vereinten Nationen mahnten die Einhaltung der Bürgerrechte an - insbesondere das Recht auf freie Meinungsäußerung sowie die Informations- und Versammlungsfreiheit. "Eines der Grundprinzipien der Demokratie ist der Schutz und die Gewährleistung der Meinungsfreiheit der Bürger", sagte UN-Generalsekretär Ban Ki Moon in Davos.

Die USA wollen angesichts Lage in Ägypten ihre Hilfen für das arabische Land überprüfen. Die Ereignisse "könnten einen Einfluss auf unsere Unterstützung haben", sagte Regierungssprecher Robert Gibbs. Präsident Barack Obama ließ sich von seinen Sicherheitsexperten über die Lage informieren. US-Außenministerin Hillary Clinton rief die Regierung in Kairo auf, auf die Bevölkerung zuzugehen. "Wir glauben, dass die ägyptische Regierung sofort mit dem ägyptischen Volk über die Verwirklichung ökonomischer, politischer und sozialer Reformen sprechen muss", sagte sie.

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