Nach der Wahl in Griechenland:Im Strudel der Schuldenkrise

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Wie ein Schiffbrüchiger in schwerer See: Die Wahl in Griechenland hat Europa eine Atempause beschert, doch der Sturm tobt. Über Spanien und Italien braut sich schon das nächste Unwetter zusammen. Die Politik muss jetzt handeln.

Stefan Kornelius

Mit der Euro-Rettung verhält es sich wie mit einem Schiffbrüchigen in schwerer See: Immer wieder rollen die Wellen an, immer wieder wird er überspült, unter Wasser gedrückt, hinabgezogen von Strudeln und Strömungen. Manchmal schwimmt eine Holzplanke vorbei und bietet Halt, wenn auch nur für kurze Zeit. Aber die See ist aufgewühlt, und wenn der Schwimmer nicht ausreichend Luft holt, dann könnte der nächste schwere Brecher über ihm zusammenschlagen, ihn hinabdrücken und sein Schicksal besiegeln.

Der Wahlsonntag in Griechenland hat für die mit den Wogen kämpfenden Euro-Retter eine solche Atempause geschaffen. Nicht mehr. Aber immerhin. Der Kopf ist über dem Wasser, der Sog hat nachgelassen. Aber die Wellen türmen sich weiter auf. Für alle, die den Untergang als Erlösung ersehnt hatten: Sie sollten dankbar sein. Es gibt immer noch eine kleine Hoffnung auf Rettung.

Die Griechen haben den nahen Ertrinkungstod am intensivsten gespürt und deswegen die letzten Kräfte mobilisiert. Der Erfolg der Nea Dimokratia ist keiner neu entdeckten Liebe zu dieser Partei zu verdanken oder dem Vertrauen in die Rettungskraft von Antonis Samaras. Der mutmaßlich nächste Premier ist und bleibt der alte Klientel-Politiker, er verkörpert keine neue Politik in Griechenland und steht bestimmt nicht für Vertrauen und Transparenz.

Immerhin haben die Konservativen die stärkste Planke in dieser See geboten. Ihre Botschaft war, dass sie auf den Seenotrettungskreuzer EU vertrauen. Und ihre zweite, sehr richtige Einschätzung betraf die Alternative: Ein Ende der griechischen Euro-Zeit würde das Land ins Chaos führen. Alexis Tsipras von den radikalen Linken versprach hingegen lediglich, dass die quälend anstrengende Paddelei im Wasser ein Ende finden würde. Aber was dann?

Europa hat in den vergangenen zweieinhalb Jahren schon viele dieser Atempausen erlebt - für Griechenland war etwa der Schuldenschnitt zum Jahreswechsel eine besonders wichtige Zäsur. Inzwischen lehrt die Erfahrung, dass der Sturm gleichwohl nicht abflaut. Spanien steht in dieser Woche unter verschärfter Beobachtung. Die Rendite für zehnjährige Staatsanleihen stieg am Montag über die Sieben-Prozent-Marke, immer mehr Immobilien-Kredite werden wohl abgeschrieben werden müssen. Auch in Italien wachsen die Zinslasten - der Staat wird sie nicht aufbringen können.

Furcht vor dem Populismus-Virus

Nach dem Ende des französischen Wahl-Frühlings fällt die triumphale Pose des Siegers mit einem Schlag von François Hollande ab. Frankreichs Präsident muss seinen Anhängern den wahren Zustand der Staatsfinanzen offenbaren. Er muss erklären, wie er Frankreich wieder zu Arbeit und Wachstum verhelfen will. Das Stimulus-Versprechen nimmt ihm keiner so recht ab - es wird eben nicht alles automatisch besser werden, wenn man nur Geld hineinschüttet ins Land.

Frankreich hat zu viel Staat, zu hohe Erwartungen an den Staat und zu wenig Freiheit vom Staat. Jetzt muss Hollande erklären, wie er die Schulden abbauen und die Wirtschaftskraft steigern will. Ausgestattet mit einer Machtfülle wie kaum ein Präsident vor ihm, wird Hollande von den Gipfeln des Triumphs hinabsteigen müssen in die Niederungen des Tagesgeschäfts.

Hollandes Problem ist dem des nächsten griechischen Premiers (und auch des italienischen oder spanischen Regierungschefs) nicht unähnlich: Sie müssen umschalten von einer Klientel-Politik hin zu einer verantwortungsvollen Regierungsführung, die mit schmerzhaften Botschaften verbunden ist. Nur wenn diese Botschaften nicht auseinanderdriften in Europa, sind diese Regierungen immunisiert vor den Angriffen der Märkte und dem Populismus-Virus, das auch schon in Italien nachgewiesen werden kann.

Angela Merkel ist nun mal nicht per se die Zuchtmeisterin, die als Letzte in Europa dem Wachstum im Wege steht. Sie verfolgt nur das verständliche Ziel, dass Hilfe und Gegenleistung im Einklang stehen, dass also Anreize geschaffen werden. Täte sie das nicht, wären ihre Regierungstage in Berlin gezählt.

Die Wahl in Griechenland hat den Euro-Rettern etwas Luft verschafft. Doch viel Zeit bleibt ihnen nicht - zu viele wertvolle Monate wurden vertan, weil es Europa bis heute nicht geschafft hat, auf ein der Krise angemessenes Entscheidungstempo umzustellen. (Foto: AFP)

Allemal scheint die Vorstellung von Merkels Allmacht eher den Rettungsphantasien der beinahe Ertrinkenden zu entspringen. Denn Merkel steuert nicht den Seenotkreuzer, sie ist selbst Getriebene in dieser Krise, gefangen von zu vielen Zwängen - wenn auch in der komfortablen Situation, dass hierzulande immer noch die Wenigsten wahrhaben wollen, wie hoch die Wellen schlagen.

Neben dem Konsens in der Botschaft ist (wieder einmal) der Faktor Zeit von höchster Bedeutung. Zu viele wertvolle Wochen und Monate wurden vertan, weil es Europa bis heute nicht geschafft hat, auf ein der Krise angemessenes Entscheidungstempo umzustellen. Sicher, ein Konsens unter den 17 Staaten der Euro-Gruppe oder gar den 27 EU-Mitgliedern muss immer erst reifen. Zeit aber geben die Finanzmärkte der Politik nicht mehr. Zeit jedoch bräuchte die Europäische Union mehr denn je, um sich politische Sicherheiten für ein vergemeinschaftetes Finanz- und Währungssystem zu geben.

Wer deshalb die Hoffnung nährt auf den gewaltigen Schlussakkord - Bankenunion, Fiskalunion, politische Union, zu verabschieden auf dem Sommergipfel Ende Juni in Brüssel -, der sollte sein Gehör überprüfen lassen. In Europa heulen lediglich die Sirenen, und die See tost.

© SZ vom 19.06.2012 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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