Nach der Wahl in Berlin:Sechs Parteien im Abgeordnetenhaus - das verändert auch die Bundespolitik

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Die Kandidaten der Parteien geben ihre ersten Statements ab (Foto: REUTERS)

Die CDU muss an Prinzipien festhalten, die SPD läuft sich für Rot-Rot-Grün warm - und die AfD könnte zur Partei der sozialen Kälte werden. Welche Folgen die Berlinwahl für die Bundestagswahl 2017 hat.

Analyse von Thorsten Denkler, Berlin, Berlin

Berlin hat gewählt. Und es ist noch einmal gut gegangen. Im Abgeordnetenhaus sitzen jetzt sechs Parteien. Das ist eine nie dagewesene Vielfalt von politischen Ansichten und Überzeugungen. Die Wahlbeteiligung war mit 66 Prozent ordentlich und 15 Prozentpunkte höher als 2011. Dennoch hat die AfD nicht den großen Sieg eingefahren, den sie sich erhofft hatte.

Und die avisierte Koalition aus SPD, Linken und Grünen ist es in jedem Fall wert, ausprobiert zu werden. Dreierbündnisse gelten schon lange nicht mehr als übel. Und wer sich das Gezänk zwischen CDU und CSU auf Bundesebene anschaut, der kommt nicht um die Feststellung herum: Die angebliche große Koalition aus Union und SPD ist in Wahrheit auch nur ein Dreierbündnis aus einer sozialkonservativen, einer sozialdemokratischen und einer rechtsdemokratischen Partei.

So stehen die Parteien bundesweit nach dieser Wahl da:

CDU - Von allen Seiten unter Druck

Die Gegner von Kanzlerin Merkel finden sich inzwischen in allen Lagern - auch unter ihren Koalitionspartnern SPD und CSU. Und in der eigenen Partei sowieso. Auch ihre Zustimmungswerte in der Bevölkerung sinken deutlich, sie sind aber nach wie vor so gut, dass die CDU irre wäre, würde sie auf Merkel als nächste Kanzlerkandidatin verzichten.

Die Niederlagen in den Ländern machen es zwar schwer, den machtpolitisch wichtigen Bundesrat zu beeinflussen. Aber die Ministerpräsidenten haben schon immer die Interessen ihrer Länder über die Parteiräson gestellt. Da geht also weiterhin was.

Wenn Merkel noch einen Fehler machen kann, dann den, ihre Standhaftigkeit aufzugeben. Die wird nämlich durchaus belohnt. Abgestraft worden sind in den Ländern vor allem solche CDU-Wahlkämpfer, die zu sehr auf sogenannte besorgte Bürger gehört haben. Wenn die CDU etwa aus den Wahlkämpfen in diesem Jahr lernen sollte, dann, dass Gradlinigkeit und Prinzipienfestigkeit die Voraussetzung für Erfolg sind.

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CSU - Raus jetzt aus der Stänker-Ecke

Die CSU stand in Berlin nicht zur Wahl. Aber natürlich sehen ihre Spitzenvertreter vor allem wieder Angela Merkel als Alleinschuldige für das Wahldebakel in Berlin. Sie verkennen, dass viele Probleme der Berliner CDU hausgemacht sind. Frank Henkel hat als Spitzenkandidat schon 2011 nicht gezogen. Und dieses Mal noch weniger.

Und die CSU verkennt, dass die AfD nicht allein ein Problem der Union, sondern aller Parteien in unterschiedlicher Ausprägung ist. Eine Mehrheit der AfD-Wähler mag die Flüchtlingspolitik der Kanzlerin ablehnen. Aber die Gründe für ihr Protestwahlverhalten liegen oft um einiges tiefer.

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Für die CSU ist das eine zu komplexe Wahrheit. Sie arbeitet sich lieber weiter an Merkels "Wir schaffen das" ab. Und hat sich so in Umfragen auf für sie desaströse 45 Prozent heruntergestänkert. Die absolute Mehrheit ist in weite Ferne gerückt.

Auch weil ihr zunehmend nicht mehr abgenommen wird, an der Lösung von Problemen interessiert zu sein. Lieber führt die CSU Scheindebatten um rechtlich nicht realisierbare Obergrenzen. Wenn sie nicht langsam die Zänkereien sein lässt, dann fehlt ihr im kommenden Jahr zur Bundestagswahl die Kraft, die Union insgesamt auf ein respektables Ergebnis zu bringen.

Mehr als sechs Prozentpunkte Minus. Das ist schon eine krachende Niederlage für die SPD. Aber sie hat Glück, sie bleibt stärkste Kraft. In einem schwierigen Umfeld, wie Michael Müller, Regierender Bürgermeister von Berlin, nicht müde wird zu betonen.

Die SPD wird die Stadt weiter mit ihm an der Spitze regieren. Es gibt kaum Zweifel, dass er das mit Linken und Grünen tun wird. SPD-Chef Sigmar Gabriel kann die Wahl also unter "noch mal gut gegangen" abhaken.

Mit dem kleinen Bonus, dass in Berlin jetzt erstmals probiert wird, was sich viele Genossen im kommenden Jahr auf Bundesebene erhoffen: Ein rot-rot-grünes Bündnis unter sozialdemokratischer Führung. Ob dann allerdings Gabriel als Kanzlerkandidat ins Rennen geht, ist eine offene Frage. Und hängt wohl auch davon ab, ob er seine Genossen an diesem Montag hinter ein Papier bringen kann, in dem das umstrittene Freihandelsabkommen mit Kanada im Grundsatz begrüßt wird.

Grüne - Stabilisiert auf hohem Niveau

Die Grünen haben die Wahl mit ihrem zweitbesten Ergebnis jemals in der Bundeshauptstadt abgeschlossen. Nach dem wohl kaum übertragbaren Wahlerfolg in Baden-Württemberg ist das immerhin der Beweis, dass die Grünen weiter gute Ergebnisse einfahren können.

Den Berliner Erfolg kann zudem weder das Realo- noch das Fundi-Lager für sich reklamieren. Das erlaubt es den ab Herbst um die Spitzenkandidatur konkurrierenden Vorleuten Habeck, Özdemir, Hofreiter und Göring-Eckardt, frei von der Leber weg ihre Positionen in den Ring zu schmeißen. Eine heftige Niederlage in Berlin hätte das Kandidatenrennen sicher überschattet. Die Grünen hätten sich gegenseitig darin überboten, die Gründe im jeweils anderen Flügel zu suchen.

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Mitte Januar sollen die zwei Spitzenkandidaten feststehen. Danach kommt die für diese beiden wirklich wichtige Landtagswahl in Nordrhein-Westfalen. Mehr als 13 Millionen Wahlberechtigte gibt es dort. So viele wie in Berlin, Mecklenburg-Vorpommern, Sachsen-Anhalt und Baden-Württemberg zusammen.

Linke - Einmal durchatmen bitte

Es schien wie ein Naturgesetz. Wo die AfD gewinnt, verliert die Linke. Zuletzt zu beobachten in Mecklenburg-Vorpommern. Das war diesmal anders. Die Linke gewann im Vergleich mit 2011 fast vier Prozentpunkte dazu. Nach einem damals zwar historisch schlechten Ergebnis. Aber immerhin, und trotz hoher Wahlbeteiligung. Die Linke ist in Berlin, vor allem im Berliner Osten, deutlich stärker verankert als in den Flächenländern. Und sie hat bis 2011 keinen so schlechten Job in der Regierung gemacht. Die Performance war jedenfalls deutlich besser als die der CDU von 2011 an.

Für manche Protestwähler war die Linke die bessere Wahl. Auch weil die Partei immer wieder die soziale Kälte im AfD-Wahlprogramm herausgearbeitet hat. Das müsste auch der Kurs der Linken im Bund werden. Offensiv gegen die AfD zu kämpfen, heißt nicht, alle als Nazis zu brandmarken, die hier ihr Kreuzchen machen. Sondern aufzuklären darüber, was die Partei tatsächlich will.

Dafür müsste die Linke im Bund aber langsam in Bewegung kommen. Bisher gibt es da einen lähmenden Burgfrieden. Die Vierer-Spitze aus Sahra Wagenknecht und Dietmar Bartsch (Fraktion) und Katja Kipping und Bernd Riexinger (Partei) funktioniert nur insoweit, als sich die vier nicht ständig gegenseitig in die Pfanne hauen. Manchen Linken scheint das schon Erfolg genug zu sein.

Die Berliner Linke hatte sich mit dem agilen Klaus Lederer auf nur einen Spitzenkandidaten geeinigt. Das müsste die Linke im Bund auch schaffen, um wahrnehmbar zu werden. Aber die Kraft dazu wird sie mit hoher Wahrscheinlichkeit nicht haben.

Als die FDP 2011 mit 1,8 Prozent aus dem Abgeordnetenhaus herauskatapultiert wurde, deutete sich die Katastrophe von 2013 - der Rauswurf aus dem Bundestag - schon an. Vor fünf Jahren hatte die FDP den miesesten nur denkbaren Lauf für eine traditionsreiche Partei der ersten bundesrepublikanischen Stunden. Landtagswahl um Landtagswahl ging verloren, immer landete die Partei in der Opposition, oft in der außerparlamentarischen.

In Berlin ist jetzt ein bisher vager Positivtrend für die FDP recht eindrucksvoll bestätigt worden. Die Partei kommt nicht mit Ach und Krach über die Fünf-Prozent Hürde. Sondern trotz hoher Wahlbeteiligung mit fast sieben Prozent. Der Wahlkampf war bunt und optimistisch. Die neuen Liberalen um ihren Vormann Christian Lindner haben erkennbar dazugelernt. Erst Demut, dann Optimismus, dann auch durchaus dosierte Angriffe auf die politischen Gegner. Bloß nie das Gefühl aufkommen lassen, die FDP könnte mit der gleichen Überheblichkeit auftreten wie in den Jahren 2009 bis 2013.

Wenn sie so weitermacht, dann ist der Einzug in den Bundestag 2017 nicht nur möglich. Sondern sehr wahrscheinlich. Wer hätte das in der Wahlnacht 2013 gedacht?

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Von Stefan Braun

AfD - Protestwähler aller Länder vereinigen sich

Es ist seit einiger Zeit in fast jeder Wahlnacht das gleiche Spiel. Die AfD kommt aus dem Stand auf ein meist sogar zweistelliges Ergebnis. Aber ihren Wählern ist die Partei im Grunde wurscht. Egal was die im Programm stehen haben, Hauptsache, die Etablierten ärgern sich. Die AfD könnte derzeit auch das Sofa der Hempels als Kandidaten aufstellen und den Umzug des Eiffelturms von Paris nach Timbuktu fordern, sie würde gewählt werden.

Manche in der Partei werden allerdings ahnen, dass die 14 Prozent aus dem Stand noch kein nachhaltiges Ergebnis sind.

Irgendwann werden sich die Wähler nämlich dafür interessieren, was die AfD inhaltlich will. Sie werden überrascht sein: Sie ist gegen den Mindestlohn, gegen die von ihr sogenannte "Wohlfahrtsindustrie". Und für mehr "Hilfe zur Selbsthilfe", wenn es um Hartz IV oder Sozialhilfe geht. Die FDP hat das mal "mehr Eigenverantwortung genannt" - und war damit krachend gescheitert.

Wer soziale Kälte sucht, kann also getrost AfD wählen. Wenn alle anderen das nicht mehr tun, wird sich die Zahl der AfD-Wähler schnell reduzieren. Wenn auch womöglich noch nicht zur Bundestagswahl 2017. Aber eine AfD-Fraktion im Bundestag hält die Demokratie dann auch noch aus.

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