Nach der Wahl:Die Einsamkeit kommt über Nacht

Bush gilt auch in den eigenen Reihen als Hauptschuldiger für die Niederlage der Republikaner. Welche Rolle er künftig spielen wird - und was dies für Amerika bedeutet.

Reymer Klüver, Washinghton

Fünf Minuten hat der Präsident gebraucht, um Amerika zu sagen, dass er verstanden hat. Fünf Minuten bereits hat George W. Bush im East Room, dem prächtigen Ballsaal, gleich links vom Eingang ins Weiße Haus, gesprochen. Er hat den Medienleuten erklärt, dass er "einen großen Teil der Verantwortung" trage für das, was sich tags zuvor in den Wahllokalen quer über den Kontinent abgespielt hat.

Nach der Wahl: Schaut schwierigen Auseinandersetzungen entgegen: George W. Bush

Schaut schwierigen Auseinandersetzungen entgegen: George W. Bush

(Foto: Foto: AP)

Ihm sei klar, sagt er nun, dass die Wähler "ihr Missfallen zu Protokoll geben wollten über den Mangel an Fortschritten im Irak". Und daran, wie gewunden dieser Mann spricht, der sich gemeinhin nicht ganz so nuanciert ausdrückt, erkennt man, dass ihm die Situation und das, was er nun zu sagen hat, überhaupt nicht behagen.

Dann muss es doch raus: "Nach ernsten Gesprächen" sei er mit seinem Verteidigungsminister übereingekommen, dass die Zeit "für eine neue Führung im Pentagon" gekommen sei. Präsident Bush feuert Donald Rumsfeld! Und macht damit genau das, was Nancy Pelosi, die Anführerin der neuen Mehrheit im Kongress, keine Dreiviertelstunde zuvor öffentlich von ihm verlangt hat.

Messer werden gewetzt

Und was zweifellos auch die Wähler irgendwie im Kopf hatten, die am Dienstag reihenweise republikanische Kongressabgeordnete in den politischen Ruhestand geschickt haben, weil sich etwas ändern sollte im fernen Krieg. Und dazu war der eigensinnige alte Mann im Pentagon einfach nicht bereit.

Ändern soll sich aber überhaupt etwas im Land. Und Bush sagt, dass er auch das verstanden hat. "Wir können zusammenarbeiten", sagt er an die Adresse der Demokraten, und auch da ist an der Körpersprache dieses Mannes zu spüren, wie schwer ihm das Angebot fällt. Denn genau das hat er eigentlich nie gewollt.

Zweifellos ist dies der Anfang vom Ende der Präsidentschaft des George W. Bush. Und vielleicht ist es gar der Beginn einer neuen demokratischen Ära. Denn ist es nicht so wie bei der republikanischen Revolution vor zwölf Jahren, an deren Anfang auch ein politischer Erdrutsch stand, als die Republikaner auf einen Schlag 54 Sitze im Repräsentantenhaus dazu gewonnen hatten? Auch Bush sieht die Zahlen der Mandate, die seinen Republikanern abhanden gekommen sind. Auch wenn er zwei Mal betont, dass viele Mandate nur ganz knapp an die Demokraten gegangen sind.

1994 hatten die Republikaner die Reinigung des angeblich so verluderten Regierungswesens von Grund auf versprochen. Weniger Staat und weniger Steuern, mehr Markt und mehr Moral. Die Steuern haben sie tatsächlich gesenkt, und die Unternehmen machen Profite wie nie, weil einschränkende Regeln gefallen sind.

Es wird einsam um den Präsidenten

Doch der Regierungsapparat ist aufgeblähter denn je und hat dennoch versagt, wie der Hurrican Katrina allen vor Augen geführt hat. Und die Korruptionsskandale und zuletzt die Sex-E-Mails des Kongressabgeordneten Mark Foley haben wenig von der Wende zu Moral und Anstand gelassen.

Und so fürchten nicht wenige Republikaner, als sie an diesem Abend Zeugen der Implosion ihrer Ära werden, wie Wahlkreis nach Wahlkreis, von Zeitzone zu Zeitzone an die Demokraten fällt, dass am Ende dieses Anfangs der demokratischen Vorherrschaft im Kongress auch ein demokratischer Präsident stehen könnte. Oder gar eine Präsidentin.

Die Einsamkeit kommt über Nacht

Für den jetzigen Mann im Weißen Haus hatte die Zeit nach der Wahl eigentlich schon am Tag zuvor begonnen, am Montag, als Bush seinem Bruder Jeb zuliebe nach Pensacola in Florida gejettet war, um für dessen Nachfolgekandidaten als Gouverneur zu werben.

Doch der konnte auf einmal in seinem Wahlkampfkalender keine Zeit mehr freischaufeln für den Präsidenten. Stattdessen war Charlie Crist zwei Stunden später und ein paar hundert Meilen entfernt in Jacksonville an der Seite von John McCain zu sehen, dem populären Senator aus Arizona, der unter den Republikanern als der aussichtsreichste Bewerber um die Nachfolge Bushs im Weißen Haus gilt und von dem die New York Times augenzwinkernd schreibt, dass er bereits an diesem Mittwoch eine erste Strategiesitzung abhalten wird zur Planung des Wahlkampfs, seines Präsidentschaftswahlkampfs.

Karl Rove, Bushs engster politischer Berater, ließ jedenfalls durchblicken, dass der Präsident not amused gewesen sei von der peinlichen Absage Crists. Doch hat sie Bush eine Vorahnung dessen gegeben, was ihn von nun an erwartet: Es wird einsam um den Präsidenten.

Ist es in Wahrheit schon geworden. In der New York Post, einem rechten Massenblatt, zitierten sie am selben Montag, also noch am Tag vor der Wahl, einen hochrangigen Republikaner, der es ob seiner bemerkenswerten Aussage vorzog, anonym zu bleiben: "Der Präsident", so sagte er allen Ernstes über die letzten Wochen des Wahlkampfs, "hätte zweieinhalb Wochen Urlaub nehmen sollen. Und gleich danach hätte er für eine kleine Operation ins Krankenhaus gehen sollen. Er hätte einfach verschwinden müssen."

Natürlich wissen sie in der Partei, dass auch ihre Abgeordneten im Kongress wenig vorzuweisen hatten. Sie haben keine wirklichen Reformen geschafft, nicht bei den Steuern oder der Rente. Oder sie haben viel weniger zustande gebracht, als sie wollten, zum Beispiel bei der staatlichen Krankenversicherung.

Schuld bei Bush

Am Ende waren sie nur die Abnickmaschine für die Vorschläge aus dem Weißen Haus. So ist das nicht vorgesehen in der US-Verfassung, die den Kongress als Kontrollinstanz des Präsidenten versteht. Und so sehen das auch die Amerikaner: Am Ende hatte der von den Republikanern dominierte Kongress nur noch 15 Prozent Zustimmung bei den Bürgern gefunden.

Und doch geben sie in der Partei dem Präsidenten einen Gutteil der Schuld am Debakel. Die von Bush abgesegnete Strategie Roves, im Wahlkampf den Irakkrieg offensiv zu verteidigen, hielten die meisten schon vor dem Wahltag für einen Fehler. Seitdem Richard Nixon nach dem Watergate-Skandal aus dem Amt gejagt wurde, sei die Stimmungslage nicht mehr so mies gewesen für die Republikaner, schimpfen Parteiveteranen. Zyniker fragen, ob Bush nicht besser die Ängste der Amerikaner vor Atomraketen aus Nordkorea und einem neuen Terroranschlag hätte schüren sollen.

Schon über Nacht sind die ersten Messer gewetzt worden. Den Präsidenten können sie nicht treffen. Aber es gibt andere. Ganz oben auf der Abschussliste steht offenbar auch der bisherige Speaker Dennis Hastert, die Nummer eins der Republikaner im Repräsentantenhaus.

Schon vorsorglich hatten rührige Parteifreunde die Geschichte lanciert, wie aus Hasterts Sohn, dem Besitzer eines bescheidenen Musikladens daheim in Illinois, über Nacht ein einflussreicher Lobbyist für Google in Washington geworden ist. Und für alle wurde noch einmal daran erinnert, dass Hastert zwei Millionen Dollar am Verkauf eines Stücks Land für eine Autobahn verdient habe, deren Bau er im Kongress selbst forciert habe. Derlei also sind die Geschichten, die in den kommenden Wochen sicherlich noch häufiger in Washington zu hören sein werden, nun, da ein paar offenstehende Rechnungen beglichen werden können.

Die Einsamkeit kommt über Nacht

Vielleicht aber werden auch die mahnenden Stimmen Gehör finden, die sagen, dass die Einbuße von zehn, ja 15 Prozent der Sitze kein Desaster sei. Zumal gemessen an historischen Standards.

Denn bei Zwischenwahlen in der zweiten Amtszeit eines Präsidenten hat die jeweils regierende Partei eigentlich immer stark verloren. Und ist die Wahl nicht in der Tat ein Referendum gegen Bush und den Krieg gewesen - und damit weniger eine Abfuhr für die Sache der Republikaner?

Der Präsident jedenfalls wird ein paar Fragen beantworten müssen. Auch zum Beispiel, wie er sich denn die Zukunft vorstellt, zumindest die zwei Jahre, die er noch in Washington hat. Eine grundsätzliche Frage hat er sich offenbar selbst bereits gestellt: Was bleibt? Was wird am Ende in den Geschichtsbüchern stehen über ihn und seine Präsidentschaft?

Eine Antwort hat er wohl noch nicht gefunden. Deshalb hat er in letzter Zeit Biographien gelesen von Vorgängern im Weißen Haus. Hat seinen Polit-Strategen Karl Rove schon mal im Nachrichtenmagazin Time über Teddy Roosevelt räsonieren lassen, der einer zögerlichen Nation vor hundert Jahren gezeigt habe, wie sehr es auf große Ideen ankommt, und dass Amerika das Gute in der Welt befördert.

Bush hat vom alten Abe Lincoln gesprochen, der im Bürgerkrieg den Kurs gehalten hat, und seit einigen Wochen des öfteren von Harry Truman, den Amerikas öffentliche Meinung verachtete, als er nach zwei Jahren Krieg in Korea im Januar 1953 aus dem Amt schied. Und der doch heute als einer der Großen im Weißen Haus gilt.

Von nun an drei Parteien?

Also auch wenn Bush spätestens von diesem Mittwoch an eine so genannte lame duck ist, der die Wähler die Flügel so gestutzt haben, dass der Präsident politisch zu keinen Höhenflügen mehr ansetzen dürfte, wird er doch auf sein politisches Erbe schauen. Er wird schon bald, vielleicht noch im Dezember, spätestens aber, wenn die Kommission unter Führung von James Baker, dem Außenminister seines Vaters, ihre Ideen präsentiert, nach neuen Wegen aus dem Unheil im Irak suchen.

Nicht nur dabei wird er sich entscheiden müssen, wie er die letzten beiden Jahre im Amt zubringt. Ob er weiter polarisieren will, auch die politische Welt von Washington in gut und böse einteilen will. Oder ob er in die Abenddämmerung seiner Präsidentschaft schreitet als Vormann Amerikas, der es nach Jahren der Spaltung am Ende doch geschafft hat, die Nation wieder etwas zusammenzuführen.

Er könnte also jedes umstrittene Gesetz der Demokraten mit seinem Veto zu Fall bringen und den Konflikt mit dem Kongress suchen. Und der Krieg im Irak würde noch mehr, als er es ohnehin schon ist, zu seinem Krieg werden und die Nation spalten wie einst Vietnam. Oder aber er kann es so machen wie damals in Texas, wo er als Gouverneur den Ausgleich mit den Demokraten suchte.

Und da böten sich außer Irak noch einige Möglichkeiten. Über eine Steuerreform ließen manche Demokraten schon mit sich reden. Und erst recht über die von ihm gewünschte Neuregelung der Einwanderung, die nicht an der bisherigen Opposition, sondern an seinen störrischen Parteifreunden gescheitert ist. Dann wäre da auch noch die große Kehrtwende möglich, von der manche Washingtoner Auguren schon seit Monaten raunen als politisches Kernstück seiner verbleibenden Amtszeit jenseits des Krieges: eine Neuorientierung in der Klimapolitik, der sich die Demokraten nicht verweigern könnten.

Als Werbefigur unerwünscht

Es werde die kommenden zwei Jahre drei Parteien in Washington geben, frotzelte dieser Tage Norman Ornstein, einer der helleren Köpfe in der politischen Beraterszene der Hauptstadt: die Republikaner, die Demokraten und die Bushisten im Weißen Haus. Die Letzteren müssten sich nun eben ihre Mehrheit über Parteigrenzen hinweg suchen.

Doch ist das wirklich von diesem Präsidenten zu erwarten? Nach diesem Referendum gegen ihn und seine Politik? Tony Snow, sein Sprecher, jedenfalls verkündete, dass Bush für "zwei sehr aktive letzte Jahre seiner Präsidentschaft" plane und "sehr aggressiv" seine Rolle in Washington spielen werde. Was sich nicht versöhnlich anhörte. Aber das war am Montag.

Nancy Pelosi, die neue unumstrittene Anführerin der Demokraten im Kongress, hatte sich noch in der Wahlnacht, in der Stunde ihres Triumphes auf der Siegesfeier der Demokraten, direkt an Bush gewandt: "Lassen Sie uns zusammenarbeiten", rief sie vor laufenden Kameras, "um den Krieg im Irak zu beenden." An diesem Mittwochmorgen nun hat der Präsident Nancy Pelosi angerufen, für die er bislang kein gutes Wort übrig hatte. Ganz früh. Er hat gratuliert. Und ihr die Adressen von "republikanischen Inneneinrichtern" angeboten für die Ausgestaltung ihres neuen Büros als Speaker im Repräsentantenhaus. Später am Tag, im East Room, nennt er das seine Art von "überparteilicher Zusammenarbeit". Aber das ist nicht ganz ernst gemeint. Oder?

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