Nach der Wahl: Ausschreitungen in Haiti:Wut, Flammen und Vorwürfe

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Die Wahl sollte dem krisengeschüttelten Haiti Stabilität bringen, doch nach Bekanntgabe der Ergebnisse eskaliert die Gewalt auf den Straßen. Ein Mensch wird erschossen, Barrikaden und ein Parteibüro gehen in Flammen auf.

Wut auf die Blauhelme, Wut auf die Regierung: Nach Bekanntgabe der Ergebnisse des ersten Wahlgangs der Präsidentenwahl in Haiti eskaliert die Situation weiter. Ein Mensch ist erschossen, mehrere verletzt worden. Nicht nur Barrikaden und Geschäfte brennen, auch das Hauptquartier der Regierungspartei ist angezündet worden.

Nach der Verkündung der Wahlergebnisse eskaliert die Situation auf Haiti: Ein Anhänger des ausgeschiedenen Kandidaten Michel Martelly in der Hauptstadt Port-au-Prince. (Foto: REUTERS)

Bei Auseinandersetzungen von Anhängern der Kandidaten Jude Célestin und Michel Martelly sei in Cap-Haïtien, rund 300 Kilometer nördlich der Hauptstadt Port-au-Prince, ein junger Demonstrant durch Kugeln getötet worden, berichten örtliche Medien. Zwei weitere Menschen erlitten demnach Schussverletzungen. Auch in Mirebalais im Zentrum des Landes seien drei Menschen durch Kugeln verletzt worden.

Zuvor hatten frustrierte Demonstranten die Zentrale der Regierungspartei Inite in Flammen aufgehen lassen. Auslöser für den Anschlag auf das Büro in Port-au-Prince war offenbar die Verkündung, dass Célestin, der Inite-Kandidat, in die Stichwahl gelangt sei.

Anhänger unterlegener Kandidaten errichteten Barrikaden in mehreren Vororten der Hauptstadt Port-au-Prince. Über den Stadtteilen, die als Hochburgen des drittplatzierten Kandidaten Martelly gelten, stieg Rauch auf. In Petionville nahe der Hauptstadt gingen hunderte vermummte Jugendliche auf die Straße und zündeten unter anderem Geschäfte an. Das berichteten Reporter der Nachrichtenagentur AFP. Die Polizei setzte Tränengas gegen die Protestierenden ein, auch Schüsse sollen gefallen sein. Radiosender berichten, dass sich die Demonstrationen auch auf andere Städte ausbreiten. Auch zu Plünderungen kam es immer wieder.

Am Dienstagabend hatte der Wahlrat des Landes verkündet, dass über den neuen haitianischen Präsidenten in einer Stichwahl am 16. Januar 2011 entschieden werden muss. Den Angaben zufolge kam Mirlande Manigat, Ehefrau des ehemaligen Präsidenten Leslie Manigat, bei den Wahlen vom 28. November auf 31,37 Prozent der Stimmen. Célestin, Kandidat der Regierungspartei, konnte etwas über 22,48 Prozent auf sich verbuchen. Der bekannte Sänger Michel Martelly, der zu den aussichtsreichsten Kandidaten gezählt hatte, landete mit 21,89 Prozent der Stimmen knapp hinter Célestin auf dem dritten Platz. Dem Wahlrat zufolge trennten ihn nur knapp 7000 Stimmen von Célestin, der ein Zögling des amtierenden Präsidenten René Préval ist. Zweifel an diesem Ergebnis brachten die Stimmung zum Überkochen.

Martelly hatte bereits mehrfach von Wahlbetrug gesprochen. "Unser Kandidat wurde fertiggemacht", sagte auch einer der Demonstranten, die spontan für den Unterlegenen auf die Straße gingen. "Wir werden das ganze Land blockieren."

"Inköhärente" Zahlen

Auch in der US-Botschaft in Haiti zweifelt man an den Wahlergebnissen. Dort reagierte man nach eigenen Angaben "besorgt" über die "inkohärenten" Zahlen. Der zweite Platz für den Regierungskandidaten Célestin stimme nicht mit Ergebnissen des Nationalen Wahlbeobachtungsrats (CNO) überein. Der wird mit Geld der EU unterstützt und war mit 5500 Beobachter bei der Wahl im Einsatz. Er hatte Célestin am Montag auf dem dritten Platz gesehen.

Offenbar gibt es in Teilen des Auslands Interesse an einer Untersuchung der Wahl. Aus der Botschaft hieß es weiter: "Die USA und die internationale Gemeinschaft sind bereit, die Unregelmäßigkeiten genau zu überprüfen, um zu Ergebnissen zu kommen, die dem Willen des haitianischen Volkes entsprechen, den es mit seinen Stimmen zum Ausdruck gebracht hat."

Anders die UN und die Organisation Amerikanischer Staaten: Sie wollen rasch einen Wahlsieger haben, mit der sie zusammenarbeiten können: Der Chef der UN-Mission Ministah, Edmond Mulet, hat wiederholt bekräftigt, dass es für den Wiederaufbau des vom Erdbeben zerstörten und von der Cholera geplagten Landes entscheidend sei, rasch eine neue handlungsfähige Regierung zu haben.

Die Proteste beeinträchtigen auch den Flugverkehr. Die US-Fluggesellschaft American Airlines setzte ihre Flüge von und nach Haiti aus. Eine Sprecherin erklärte, Flughafenbeschäftigte hätten es wegen der Demonstrationen nicht geschafft, zur Arbeit zu kommen.

Die Präsidentschaftswahl war von Anfang an von Betrugsvorwürfen überschattet worden. Zwölf der insgesamt 18 Kandidaten für das Präsidentenamt hatten wegen mutmaßlicher Unregelmäßigkeiten ihre Annullierung gefordert.

Weiter angestachelt wird die Wut auf den Straßen durch einen Bericht, wonach nepalesische UN-Soldaten die Cholera nach Haiti eingeschleppt hatten. Nepals Armee wies eine Untersuchung zurück.

© AFP/dpa/dapd/jab - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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