Süddeutsche Zeitung

Nach der Präsidentenwahl in Russland:Chodorkowskij-Urteil soll überprüft werden

Russlands Noch-Präsident Medwedjew hat für eine Überraschung gesorgt: Das Schuldurteil gegen Chodorkowskij soll auf seine Rechtmäßigkeit überprüft werden. Hat der Ex-Yukos-Chef eine tatsächliche Chance auf Freiheit? Oder dient die Ankündigung nur als Beruhigungspille für die Kreml-Kritiker?

Frank Nienhuysen, Moskau

Dmitrij Medwedjew ist am Montag ein kleines Kunststück gelungen. Ausgerechnet am Tag nach dem Wahlsieg von Wladimir Putin hat sich der scheidende Kremlchef mit einer Amtshandlung Gehör verschafft. Medwedjew unterzeichnete eine Anweisung an den Generalstaatsanwalt Jurij Tschajka, wonach dieser bis zum 1. April überprüfen muss, ob das zweite Schuldurteil gegen Michail Chodorkowskij den Gesetzen entsprach. Insgesamt gehe es um die Verurteilung von 32 russischen Staatsbürgern. Außerdem lässt Medwedjew innerhalb von zehn Tagen überprüfen, warum der neuen, liberalen Oppositionspartei Parnas die Registrierung als Partei verwehrt wurde.

In den Moskauer Medien wurde vor allem die Nachricht über den Fall Chodorkowskij als Sensation gehandelt. Es wuchern die Spekulationen, ob der seit Oktober 2003 inhaftierte Oligarch demnächst aus dem Gefängnis freikommen könnte. Aus der Staatsanwaltschaft hieß es am Montag, man arbeite bereits an der Sache.

Die Freilassung Chodorkowskijs gilt als eine der zentralen Forderungen der russischen Oppositionsbewegung, die wie auch der Westen hinter den Urteilen rein politische Motive vermutet. Derart symbolgeladen ist der Fall Chodorkowskij, dass im Wahlkampf mehrere Präsidentschaftsbewerber, unter ihnen der Milliardär Michail Prochorow, mit der Freilassung kokettierten, falls sie zum Präsidenten gewählt würden. Und nun kommt Medwedjew ausgerechnet am Tag eines geplanten Großprotests mit seinem Vorstoß. Es wirkt wie ein Köder an die russische Opposition, eine Geste, mit der die Unzufriedenen nach der Wahl Putins beschwichtigt werden sollen.

Chodorkowskij und sein Geschäftspartner Platon Lebedew wurden in einem ersten fragwürdigen Prozess wegen Betrugs und Steuerhinterziehung zu acht Jahren Haft verurteilt. Kurz bevor diese Frist abgelaufen war, wurde der frühere Yukos-Chef in einem weiteren Verfahren wegen Diebstahls von Öl und Geldwäsche ein zweites Mal verurteilt. Bis 2016 muss Chodorkowskij demnach noch in Haft bleiben. Kritiker vermuteten, dass der Putin-Gegner nur deshalb erneut belangt wurde, damit er nicht während des Präsidentschaftswahlkampfes in Freiheit komme. Der einst reichste Mann Russlands hatte vor seiner Festnahme die Opposition unterstützt.

Die Verteidiger Chodorkowskijs zeigen sich nun skeptisch. "Chodorkowskij wurde ungesetzmäßig verurteilt und man hätte ihn schon vor langer Zeit freilassen müssen. Warten wir erst mal ab, wie ernst die Worte gemeint sind", sagte seine Anwältin Karina Moskalenko der Nachrichtenagentur Interfax. "Chodorkowskij ist ein Gefangener Putins. Solange nicht er das Signal gibt, wird die Staatsanwaltschaft zu dem Schluss kommen, dass die Urteile fundiert sind", sagte Jurij Schmidt, ein weiterer Anwalt, der Agentur AFP.

Der frühere Ministerpräsident und jetzige Oppositionspolitiker Michail Kasjanow misst den Worten von Medwedjew sehr wohl eine Bedeutung bei. "Offensichtlich will er in guter Erinnerung bleiben und Rechtstreue beweisen", sagte Kasjanow. "Aber die Kompetenz, Chodorkowskij und Lebedew freizulassen, liegt bei demjenigen, in dessen Zeit sie ins Gefängnis kamen. Ich denke, im August oder September wird Putin sie freilassen." Fraglich, ob sich dann noch jemand an den Vorstoß Medwedjews erinnern wird.

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SZ vom 06.03.2012/infu
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