Nach der Präsidentenwahl in Italien:Beppe Grillo siegt im Blockadespiel

Beppe Grillo Italien

Beppe Grillo bei einer Rede: Die größte Revolution aller Zeiten?

(Foto: dpa)

Auch in vier Wahlgängen scheitert Italien an der Wahl eines Staatspräsidenten, die Kandidatensuche wird zum Geschacher zwischen den etablierten Parteien. Das ist nicht neu, doch diesmal spielt es der Fünf-Sterne-Bewegung von Beppe Grillo in die Hände. Kann seine wilde Gruppe von Basisdemokraten mehr als nur blockieren?

Von Johannes Kuhn

Mit Schmach ist das Ergebnis noch wohlwollend umschrieben: Neun Stimmen aus den anderen Lagern hätte Romano Prodi benötigt, stattdessen stimmten 100 Abgeordnete aus den eigenen Reihen gegen ihn. Der vierte Versuch, einen italienischen Staatspräsidenten zu wählen, wurde am späten Freitagnachmittag für den 73-Jährigen zum Debakel - und auch für den Mann, der ihn ins Spiel gebracht hatte: Pier Luigi Bersani, Chef der Sozialdemokraten.

Italiens Politik blockiert sich, doch anders als in früheren Jahren blamiert sich nicht das gesamte Parteien-Establishment: Je mehr sich Italien in eine Sackgasse manövriert, desto stärker profitiert das "Movimento Cinque Stelle" (Fünf-Sterne-Bewegung, kurz M5S) mit ihrem Chef Beppe Grillo.

Die misslungene Präsidentschaftswahl liefert dem früheren Komiker ein weiteres Beispiel für seine große Erzählung von Italiens verknöchertem Polit-Establishment, das die Postenvergabe in Hinterzimmern aushandelt und am Ende doch nur die alten Gesichter anbietet. Schon Bersanis erster misslungener Vorschlag, der als farblos geltende ehemalige Senatspräsident Franco Marini, bestätigte indirekt diese These: Ihn hatte der Chef des Mitte-Links-Bündnis in einem Vier-Augen-Gespräch mit Silvio Berlusconi (PDL) ausgeguckt.

Ganz anders die Kandidatensuche der Fünf-Sterne-Bewegung: Sie bestimmte mittels Internet-Abstimmung den ehemaligen Kommunisten Stefano Rodotà zu ihrem Kandidaten - und konnte dann in den Wahlgängen nur zusehen, wie offenbar auch Abgeordnete aus dem Bersani-Lager Gefallen am 78-jährigen Zeitungskolumnisten fanden.

Basisdemokratie statt Politklüngelei: Die Botschaft der Protestbewegung, die bei der Parlamentswahl vor wenigen Wochen 8,7 Millionen Stimmen erhielt und 162 "Grillini" in die beiden Parlamentskammern entsandte, klingt nicht nur in den Ohren junger politverdrossener Italiener nach.

Da wundert es nur wenig, dass Grillo in dieser Woche die M5S gleich zu einer Keimzelle eines weltweiten Umsturzes ausrief: "Das ist die größte Revolution aller Zeiten. Eine Revolution ohne Guillotine - im Moment zumindest", verkündete der 64-Jährige. "Das hier geht weiter als die Indignados [Proteste unzufriedener junger Spanier, d. Red.] und Occupy Wall Street." Junge Menschen in anderen Ländern ließen sich von den Fünf Sternen inspirieren, die Bewegung sei "exportierfähig geworden".

Basisdemokratie trifft Populismus

Auf den ersten Blick scheint das Konzept der M5S tatsächlich auch im Ausland konkurrenzfähig zu sein, sind Elemente daraus doch im Rest Europas nicht unbekannt: Die Parteibasis erinnert in einigen Zügen an die Piraten, sei es durch die Selbstorganisation über das Netz oder durch die Entsendung von jungen und politisch unerfahrenen Parlamentariern, die meist aus höheren Bildungsschichten stammen. Auch Forderungen nach Bürgergeld, dem Grundrecht auf Internet und einer Abkehr vom ständigen Streben nach Wirtschaftswachstum entsprechen durchaus dem Zeitgeist.

Auf der anderen Seite gibt Grillo gerne den giftigen Populisten, der Italiens Politiker als durchgehend korrupt darstellt, die etablierten Parteien und Medien für den Niedergang des Landes verantwortlich macht und Kleinunternehmen, Arbeitslosen und der vom Abstieg bedrohten Mittelschicht Linderung verspricht, ohne genauere Angaben zur Finanzierung seiner Ideen zu machen. Eine seiner Hauptforderungen ist ein Referendum über den Austritt des Landes aus der Euro-Zone.

Blockade als Frage der Glaubwürdigkeit

Der Grillo-Populismus unterscheidet sich von ähnlichen Bewegungen im Rest Europas vor allem darin, dass er sich nicht dem rechten oder linken Spektrum zuordnen lässt, sondern an beiden Rändern Anschlusspunkte bietet.

Wie diese Widersprüchlichkeit zu politischer Praxis wird, ist ungewiss: Bislang mussten die Grillini-Abgeordneten in Rom noch keine größeren Entscheidungen treffen, da seit der Wahl im Februar noch immer um die Regierungsbildung gerungen wird. Die M5S nimmt hier eine Blockadehaltung ein und verweigert jede Form offizieller Koalitionsverhandlungen. "Was Grillo will, ist klar", erklärte vor einiger Zeit der progressive PD-Abgeordnete Giuseppe Civati in einem Interview, "er will das ganze System hochgehen lassen." Andererseits: Wer gegen die etablierten Parteien wütet und sich dann mit ihnen die Macht teilt, riskiert seine Glaubwürdigkeit.

Eine Blaupause für die Abgeordneten könnte der Regionalrat in Sizilien liefern, wo die 15 M5S-Vertreter die Mitte-Links-Regierung bei einzelnen Gesetzesvorschlägen unterstützen, aber nicht mit ihr koalieren. Doch könnte ein Regierungschef unter solchen Bedingungen die drittgrößte Volkswirtschaft im Euro-Raum führen, zumal eine, die in der Krise steckt?

Die Machtfrage mag sich für die Fünf-Sterne-Bewegung in Rom noch nicht stellen, intern spielt sie durchaus eine Rolle, ist der Widerspruch zwischen Basisdemokratie und Parteigründer-Kult doch immer wieder Belastungsproben ausgesetzt. Grillo steht im Mittelpunkt und gibt die Linien vor, obwohl er selbst nicht im Parlament sitzt, weil er vorbestraft ist. Nach einem Autounfall in den Achtzigern wurde er wegen fahrlässiger Tötung verurteilt.

"Will Grillo sie immer rauswerfen?"

Im März kam es zur Konfrontation zwischen Parteichef und einigen Abgeordneten, als mindestens zwölf der 54 Senatoren den ehemaligen Mafia-Bekämpfer Pietro Grasso zum Senatsvorsitzenden wählten. Damit folgten sie dem Vorschlag von PD-Chef Bersani, um einen Berlusconi-Kandidaten zu blockieren. Weil dies aber einen Verstoß gegen die Enthaltungsmaxime und die Regel bedeutet, im Block abzustimmen, forderte Parteichef Grillo sie zornig zum Rücktritt auf.

"Parlamentsarbeit ist kompliziert, man kann nicht einfach 162 Menschen befehlen, immer Anträge abzulehnen. Will Grillo sie etwa immer rauswerfen, wenn es Abweichungen gibt?", fragt der Politikwissenschaftler Gianfranco Pasquino, der mit einer Emanzipierung der Abgeordneten rechnet.

Zwar zog Grillo später seine Rücktrittsforderungen zurück, doch die autoritäre Geste kam bei der Parteibasis überhaupt nicht gut an - ebensowenig wie Berichten zufolge der zunehmende Einfluss des Internet-Beraters Gianroberto Casaleggio, der für die Verwandlung des Grillo-Fanclubs in eine politische Bewegung verantwortlich ist und im Hintergrund die Fäden zieht.

Vorerst aber sind solche Konflikte nur ein Randthema: Bei der Staatspräsidenten-Wahl kann die Bewegung darauf warten, dass Bersani sich bei seinem nächsten Vorschlag auf sie zubewegt oder sogar Rodotá unterstützt, der auch im Mitte-Links-Lager durchaus Ansehen genießt. Sollte ein neuer Präsident dann auf eine Reform des Wahlrechts verzichten und in Kürze Neuwahlen ausrufen, könnte die Fünf-Sterne-Bewegung mehr als 30 Prozent der Stimmen erhalten.

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