Nach der Jasmin-Revolution in Tunesien:Die Angst der Autokraten

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Die arabischen Despoten hielten die Opposition bisher mit Hilfe ihrer Geheimpolizisten klein, der Westen duldete es aus Angst vor einer Machtergreifung der Islamisten. Die Protestwelle der Verzweifelten könnte die Machthaber nun fortspülen - die Zeit ist reif.

von T. Avenarius

Im Jahr 1963 überschüttete sich in Saigon ein buddhistischer Mönch mit Benzin und zündete ein Streichholz an. Mit seiner öffentlichen Selbstverbrennung protestierte der Vietnamese Thich Quang Duc gegen die Unterdrückung seiner Glaubensbrüder. Das Foto ging um die Welt, der Vietnamese setzte ein Beispiel: Selbstverbrennung als Form politischen Widerstands.

Die Waffe der Machtlosen: Verwandte von einem Ägypter, der versuchte, sich selber zu verbrennen, stehen vor dem Krankenhaus in Kairo, in dem der 50 Jahre alte Anwalt behandelt wird. Insgesamt 15 Araber haben sich seit den Unruhen in Tunesien mit Benzin übergossen und angezündet. (Foto: dpa)

Quang Duc fand schnell Nachahmer. In den USA steckten sich Menschen als Fanal gegen den Vietnamkrieg in Brand. Der tschechische Student Jan Palach zündete sich 1969 auf dem Wenzelsplatz an, wegen der Niederschlagung des "Prager Frühlings" durch Sowjet-Panzer. In der DDR starb der Pfarrer Oskar Brüsewitz diesen Tod.

Jetzt setzen sich in der arabischen Welt Menschen in Brand - aus Protest gegen soziale Not und korrupte Machthaber. In Tunesien hat das grausige Selbstopfer eines einzigen Mannes unerwartete Folgen gehabt: Der Diktator wurde gestürzt, das Land ist in Aufruhr. Die anderen Despoten in der arabischen Welt werden nervös. Zu Recht.

Der Selbstmord im Feuer als Form des politischen Protests: Das erfordert größte Entschlossenheit, ist Ausdruck tiefer Verzweiflung über die politischen und sozialen Verhältnisse. Der freiwillige Feuertod ist eine sehr eigene Form des gewaltfreien Widerstands. Wer dies tut, richtet die Gewalt allein gegen sich selbst, nicht gegen den Machthaber oder gegen Unbeteiligte. Der eigene Tod soll anderen dienen.

Die Wut der Erniedrigten

Die arabische Welt ist ein Synonym für den Mangel an Demokratie, für Unterdrückung und Folter, für die Herrschaft von Diktatoren und Autokraten, für haarsträubende soziale Ungerechtigkeit. Die gängigste Form des Protests in diesem Teil der Welt ist die friedliche Opposition einiger Aufrechter. Sie werden bei gefälschten Wahlen um ihre Stimmen betrogen oder landen im Gefängnis. Eine kleine Minderheit greift zum Terror. Militante legen Bomben, sprengen sich und Unschuldige in die Luft.

Beide Formen des politischen Kampfes beeindrucken die Könige, Emire, Obristen und Präsidenten wenig. Ihre Regime verfügen über genug Geheimpolizisten und Folterknechte, um sich nicht fürchten zu müssen. Ihre Völker schließen sich der politischen Gewalt gewöhnlich nicht an.

Und die Staaten des Westens? In ihrer berechtigten Angst vor dem Überschwappen des Terrors der Militanten akzeptieren die Staatsmänner die widerwärtigsten Formen der Korruption und Unterdrückung. Und fädeln gleichzeitig einträgliche Geschäfte mit den Machthabern ein.

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In Tunesien nehmen die Proteste gegen die Übergangsregierung und die alte Einheitspartei zu. Das Land hat gewaltige Aufgaben vor sich.

In der arabischen Welt war die Selbstverbrennung bisher Tabu. Der Islam verbietet den Suizid. Widerstand mit der Waffe gilt Muslimen als ehrenvoll, der Freitod nicht. Dennoch haben sich nun in arabischen Staaten Menschen in Brand gesteckt und zu einer dort neuen Form des Protests gefunden: in Ägypten, in Algerien.

Ihr Vorbild war ein junger Arbeitsloser in Tunesien. Mohamed Bouazizi wurde von den korrupten Behörden einer Kleinstadt gehindert, sich als Obstverkäufer auf dem Marktplatz ein paar Dinar zu verdienen. Der Mann hatte keine Genehmigung, aber er musste eine Familie ernähren. Durch die Ohrfeige einer Polizistin öffentlich erniedrigt, griff er zum letzten Mittel. Er zündete sich vor der Stadtverwaltung an.

Das Volk will alles

Womit der in seinem Stolz gekränkte Tunesier nicht rechnen konnte und was er wohl kaum im Sinn hatte: Seiner Selbstverbrennung folgten landesweite Proteste. Seine Landsleute gingen auf die Straße. Am Ende musste Präsident Zine el-Abidine Ben Ali fliehen: Vor der Volkswut und vor einer Palastrevolution, die seine eigenen Leute angesichts des Aufruhrs gegen ihn anzettelten.

Nach dem Fall des Diktators fordern die Tunesier mehr als den Wechsel im Präsidentenamt: Sie wollen alles. Demokratie, soziale Gerechtigkeit, Jobs, Meinungsfreiheit. Der Arbeitslose Bouazizi hat mit seinem Freitod eine politische Lawine ausgelöst, die als Jasmin-Revolution in der arabischen Welt beispiellos ist.

Das Ende ist offen: Ob die jahrelang unterdrückte Opposition den Volkszorn steuern, in politische Kanäle umleiten kann, wird sich zeigen. Vielleicht überlebt das alte Regime unter neuer Führung doch. Vielleicht werden die Islamisten, die bisher brutal verfolgt wurden, Tunesien ihren Stempel aufdrücken. Vielleicht ergreift das Militär angesichts von Anarchie und Chaos die Macht.

So oder so aber verändert die Jasmin-Revolution die arabische Welt. Die Diktatoren und Könige müssen ihr Volk fürchten. Mit dem Tunesier Bouazizi können sich nicht nur seine eigenen Landsleute identifizieren. Seine Probleme sind die Probleme aller Araber, ob in Algerien, Marokko, Ägypten oder am Persischen Golf: Ohnmacht angesichts von Arbeitslosigkeit, Korruption, Nepotismus, sozialer Misere, Polizeistaat und Folter.

US-Außenministerin Hillary Clinton hat die arabischen Herrscher gewarnt. Wenn sie nicht schleunigst mit den notwendigen Reformen beginnen, könnten sie sich schnell im Exil wieder finden, bei ihrem Ex-Kollegen Ben Ali. Wenn sie Glück haben und nicht an der Laterne enden.

Wer nicht reformiert, wird weggeputscht

Das Weiße Haus ist eine verrufene Adresse, wenn es um die Probleme der arabisch-islamischen Welt geht. Dennoch hat die Amerikanerin recht: Der Reformstau ist zu groß, er duldet keinen Aufschub. Ägyptens Außenminister Ahmed Abul Gheit hat die Warnung vor den Selbstmördern und einer Kettenreaktion quer durch die arabische Welt als "Blödsinn" abgetan. Dieses Wort hätte vor ein paar Wochen auch aus dem Mund von Ben Ali kommen können. Es zeigt die ganze Arroganz und Blindheit der Machthaber.

Aller Voraussicht nach werden sie echte Reformen weiter verweigern, auf mehr Repression setzen. Sie fürchten das Gorbatschow-Phänomen: Wer den Überdruck aus dem Politkessel lässt, kann sich um Amt und Macht bringen, wie einst der sowjetische Führer mit seiner Perestroika. Was die Abul Gheits vergessen: Wer nicht reformiert, wird am Ende wegrevolutioniert oder weggeputscht.

Der politische und wirtschaftliche Umbau der arabischen Welt ist inzwischen eine fast unlösbare Aufgabe: Armut, Bevölkerungsexplosion, fehlende Bürgergesellschaft, überkommene Traditionen, die nie vollzogene Säkularisation des Islams. Aber das ist die Schuld der seit Jahrzehnten regierenden Herrscher. Sie haben die Probleme ignoriert, die Menschen ausgesaugt. Eine Alternative zu mehr politischer und sozialer Gerechtigkeit haben sie nicht mehr. Die tunesische Entwicklung erhöht das Tempo. Die morschen Regime in Kairo, Algier oder Riad werden zwar kaum von heute auf morgen fallen. Aber sie geraten unter Druck.

Bleibt die Gefahr, dass die Islamisten bei mehr politischer Freiheit nach der Macht greifen. Die Angst ist berechtigt. Der politische Islam ist gefährlich. Er steht für vieles, nur nicht für politische Freiheit und Demokratie. Aber das tun der Ägypter Hosni Mubarak, der Libyer Muammar el-Gaddafi und all die anderen Herrscher auch nicht. Die arabische Welt wird sich so oder so ändern. Weil die Zeit reif ist.

© SZ vom 22.01.2011 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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