Süddeutsche Zeitung

Nach der Freilassung von Gilad Schalit:Schaulaufen in Freiheit

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Die Freiheit brachte Gilad Schalit zunächst neue Gitter. Sicherheitskräfte sperrten die Straße vor seinem Elternhaus ab, um Reporter und Besucher zurückzudrängen. Der israelische Soldat kommt nach seiner Freilassung aus der Geiselhaft kaum zur Ruhe.

Peter Münch, Tel Aviv

Für alles gibt es nun "das erste Mal" - der erste Sabbat in Freiheit, die erste Fahrrad-Tour, der erste Besuch am Strand. Gilad Schalit, der mehr als fünf lange Jahre in Geiselhaft im Gaza-Streifen verbrachte, tastet sich langsam zurück ins Leben. Vieles wird er vermisst haben während der Zeit seiner Gefangenschaft, manches holt er nun nach. Doch eines wird ihm bis auf weiteres nicht vergönnt sein: das erste Mal in Ruhe gelassen zu werden. Denn auch eine Woche nach seiner Freilassung verfolgt ganz Israel immer noch jede Wendung in der Saga um den jungen Soldaten. Und auch die stürmischen Diskussionen um die Bedingungen seiner Heimkehr im Austausch gegen 1027 palästinensische Gefangene haben sich längst nicht gelegt.

Am Montag war die Top-Nachricht der Besuch von Staatspräsident Schimon Peres im Eigenheim der Familie Schalit gewesen. Das Häuschen in Mitzpe Hila, einem eigentlich beschaulichen Dorf im Norden Galiläas, ist derzeit eine Art Pilgerzentrum des säkularen Israel. Tagelang war die Straße zum Haus von Sicherheitskräften abgeriegelt. Vor der Absperrung campierten Reporter, und Besucher drängten sich an den Gittern, um den Polizisten Briefe, Blumen oder Geschenke mit der Bitte um Weiterleitung an Gilad Schalit zu überreichen. Unter solchen Bedingungen wird selbst ein kleiner Spaziergang in Freiheit zum medialen Großereignis.

Der Vater, Noam Schalit, bittet um "Ruhe" für seinen Sohn und sagt, er brauche nun vor allem Zeit, um sich zu erholen. Interviews, erklärt die Familie, werde es in absehbarer Zeit nicht geben. Doch der Kampf um die Deutungshoheit über die Zeit in Gefangenschaft hat längst begonnen - eröffnet haben ihn die Geiselnehmer. Zwar haben sie bislang nicht, wie angekündigt, einen Film über Schalits Zeit in Geiselhaft veröffentlicht. Aber breit gestreut wird die Botschaft, dass er gut und fair behandelt worden sei. "Wir haben über seine körperliche und mentale Gesundheit gewacht", wird Zuhair al-Kaisi vom Volkswiderstandskomitee zitiert, "es gab weder emotionale noch physische Folter."

Welche Spuren die insgesamt 1941 Tage in Gefangenschaft hinterlassen haben, konnte allerdings jeder auf den ersten Bildern vom blassen und ausgemergelten Gilad Schalit sehen. Zehn Kilo hat er verloren, von einer sehr schlichten Ernährung, bestehend weitgehend aus Pita und Hummus, sowie von einem isolierten Dasein in einem dunklen Raum ohne Sonnenlicht ist in den israelischen Medien die Rede - mit Verweis auf Informationen aus dem Familienkreis. Noam Schalit spricht von "harten Bedingungen" zumindest in der ersten Zeit der Gefangenschaft. Erst später habe sich das ein wenig gebessert; sein Sohn habe zum Beispiel israelische Radiosender hören können und sei so über Vorgänge in der Heimat informiert gewesen. In anderen Berichten ist davon die Rede, dass er auch Fernsehen habe schauen dürfen, unter anderem sogar die Tour de France, was Frankreichs Botschafter bei einem sehr frühen Besuch in Mitzpe Hila sogleich dazu nutzte, um Gilad Schalit als Ehrengast zur nächsten Tour einzuladen.

Mit dem zum Volkshelden gewordenen jungen Soldaten lässt sich derzeit vielerlei PR betreiben, und nicht zuletzt Premierminister Benjamin Netanjahu weiß die Befreiung des Soldaten für die eigene Popularität zu nutzen. Zur Ikone ist bereits das Bild geworden, auf dem Gilad Schalit am Tag der Freilassung vor dem Regierungschef salutiert.

Aber der Premier muss sich auch weiter Kritik gefallen lassen an den Modalitäten des Gefangenenaustauschs. Mit reichlich Verspätung hat sich Oppositionsführerin Tzipi Livni zu Wort gemeldet und die Regierung heftig dafür gerügt, sie habe mit der Freilassung der palästinensischen Häftlinge die Hamas gestärkt und Israels Sicherheit geschadet. Der Parlamentsausschuss für Äußeres und Sicherheit fordert von der Regierung klare Regeln für Verhandlungen in küftigen Fällen. Die Stimmung im Land geht dahin, dass es einen solchen Austausch von einem Israeli gegen 1027 Gefangene nicht noch einmal geben soll.

Wenn die erste Euphorie im Land vorüber ist, wird auch die Familie Schalit zu spüren bekommen, wie hoch der Preis war für ihr Glück. Eine Opferorganisation brachte bereits eine Messer-Attacke in Jerusalem in Verbindung zum Gefangenenaustausch. Doch noch dominieren die Lobesworte. Als Präsident Peres auf der Wohnzimmer-Couch neben Gilad Schalit Platz genommen hatte, da sagte er: "Ich bin im Auftrag der ganzen Nation gekommen um dir zu sagen, wie froh wir sind, dass du wieder zu Hause bist."

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Quelle:
SZ vom 25.10.2011
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