"Nie wieder!" - das hörte man vor eineinhalb Jahren überall, nachdem vor der italienischen Insel Lampedusa 368 Flüchtlinge in einem Fischerboot gekentert und ertrunken waren. Doch die EU unternahm: nichts. Wird es diesmal genauso sein?
700, dem Bericht eines Augenzeugen zufolge sogar mehr als 900 Menschen sind in der Nacht zum Sonntag auf dem Weg von Afrika nach Europa ertrunken. Es ist die bisher schwerste Flüchtlingstragödie im Mittelmeer und es gibt keinen Grund zu der Hoffnung, dass es die letzte war. Allein in der vergangenen Woche starben mehr als 1000 Flüchtlinge auf dem Weg irgendwo auf dem Mittelmeer, von Schleppern in Nussschalen zusammengepfercht, von Europa im Stich gelassen. Und der "Migrationsdruck", so drückt es Innenminister Thomas de Maizière (CDU) aus, ist "unverändert hoch".
Wenn heute die Außen- und Innenminister der EU-Staaten in Luxemburg zu einer Dringlichkeitssitzung zusammenkommen, um über Konsequenzen aus dem neuerlichen Flüchtlingsdrama im Mittelmeer zu beraten, dann "können wir nicht zur Tagesordnung übergehen", sagte Außenminister Frank-Walter Steinmeier (SPD). Mit Recht erwarte die Öffentlichkeit, "dass sich die Politik mit dieser Tragödie, mit der Fortsetzung dieser Tragödie befasst". Doch welche Optionen hat die EU jetzt? Was kann, was muss sie tun, damit das Sterben aufhört?
Einrichtung eines europäischen Seenotrettungsprogramms
Nach der Flüchtlingskatastrophe vor Lampedusa im Oktober 2013 rief Italien das Programm "Mare Nostrum" ins Leben. In einem Jahr wurden so mehr als 100.000 Menschen aus Seenot gerettet, 351 Schleuser wurden festgenommen. Doch Mare Nostrum wurde nicht verlängert. Der italienischen Regierung war das Programm zu teuer, die EU steuerte keine Hilfen bei.
Viele europäische Politiker, darunter auch de Maizière, sahen in Mare Nostrum einen Anreiz für Flüchtlinge, die Überfahrt nach Europa zu wagen - und einen Anreiz für Schlepper, immer mehr Menschen in nicht seetaugliche Boote zu pferchen. "Mare Nostrum war als Nothilfe gedacht und hat sich als Brücke nach Europa erwiesen", sagte Thomas de Maizière im Oktober.
Am 1. November vergangenen Jahres löste "Triton", eine Mission der europäischen Grenzschutzbehörde Frontex, das italienische Rettungsprogramm ab. Doch Triton, so warnte die damalige EU-Innenkommissarin Cecilia Malmström ebenso wie Menschenrechtsorganisationen, könne Mare Nostrum "nicht ersetzen". Die neue Mission hatte nur ein Drittel des Budgets und keine eigenen Schiffe zur Verfügung. Und die Zielsetzung änderte sich: Statt Seenotrettung stand bei Triton Grenzsicherung im Vordergrund. Der Einsatzradius wurde auf einen schmalen 30-Meilen-Streifen vor der italienischen Küste zusammengezogen. Viele Flüchtlingsboote schaffen es gar nicht so weit.
Anfang Februar hat die EU Triton bis Jahresende verlängert, doch die Forderungen nach einer gesamteuropäischen Seenotrettung ohne 30-Meilen-Grenze, nach einer Neuauflage von Mare Nostrum, werden jetzt wieder lauter. Auch UN-Generalsekretär Ban Ki Moon forderte die Weltgemeinschaft, aber insbesondere die EU auf, sich der Flüchtlingskrise anzunehmen. Das Mittelmeer, sagte Ban, habe sich zur "weltweit tödlichsten Route" für Flüchtlinge entwickelt.
Über eine Neuauflage von Mare Nostrum wird auch heute in Luxemburg verhandelt werden. Das deutsche Innenministerium ist nach wie vor skeptisch. Mare Nostrum sei kein Allheilmittel, sagte ein Sprecher des Innenministers, eine Wiederaufnahme des Programms sei nicht die Position der Bundesregierung. Wenn die Seenotrettung aber integriert sei in ein Gesamtpaket zur Lösung des Flüchtlingsproblems, werde man sich dem nicht verschließen.
Gezieltes Vorgehen gegen Schlepperbanden
Wer Flüchtlingskatastrophen wie jene vor Lampedusa oder jetzt vor der libyschen Küste verhindern will, darf nicht erst auf See mit der Rettung beginnen. Die Bekämpfung der Schlepperbanden sei deshalb "ein zentraler Punkt", sagt Innenminister de Maizière. "Verbrecherische Schlepperbanden verdienen viel Geld mit der Reise bis und über das Mittelmeer. Organisierte Banden überfüllen untüchtige Boote und überlassen die Menschen ihrem Schicksal."
Die meisten Flüchtlingsboote legen in Libyen ab, zur italienischen Insel Lampedusa sind es nur 300 Kilometer. Und die Bedingungen für Schlepper sind günstig. In Libyen fehlt ein Staat, der ihre Strukturen zerschlagen könnte. De Maizière will deshalb nicht nur die europäische Zusammenarbeit, sondern auch die Strategien Europas enger mit jenen der afrikanischen Herkunfts- und Transitstaaten verzahnen.
"Eine international koordinierte Aktion gegen Schleuserbanden" fordert auch Frank-Walter Steinmeier. "Das wichtigste Transitland ist im Augenblick Libyen - ein Land, das dabei ist zu zerfallen, wenn wir nicht den Prozess unterbrechen und umkehren." Die EU müsse sich um eine Stabilisierung des Landes bemühen.
Im Fall Libyens wird zudem über einen zivilen oder gar militärischen Einsatz diskutiert, der dem Land Stabilität bringen und den Schleppern das Geschäft erschweren soll. Der maltesische Ministerpräsident Joseph Muscat hat ein UN-Mandat zum gezielten Vorgehen gegen Schlepperbanden angeregt. Wenn man die Flüchtlingsboote nicht bereits in Nordafrika am Ablegen hindere, würden sich Unglücke wie am Wochenende immer wiederholen.