Nach der Brexit-Entscheidung:Jean-Claude Juncker: "War ja auch nie ein enges Liebesverhältnis"

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Will unverzüglich die Scheidungspapiere aus London erhalten. Eu-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker. (Foto: AFP)

Der EU-Kommissionspräsident drängt Großbritanniens Premier Cameron, die Verhandlungen über einen Austritt sofort aufzunehmen.

Jean-Claude Juncker, der Kommissionschef der EU, ist ein Freund blumiger Vergleiche und knackiger Sprache. Jetzt, wo die Briten sich dafür entschieden haben, dass sie nicht länger zur EU gehören wollen, zieht er Parallelen zu einem Ehepaar, dessen Beziehung schon seit Langem zerrüttet ist.

"Es ist keine einvernehmliche Scheidung. Aber es war ja auch nie ein enges Liebesverhältnis", sagt Juncker am Abend in einem ARD-Interview - und fordert die britische Regierung auf, die Scheidungspapiere unverzüglich einzureichen.

Das klingt kühl. Das klingt nach: Wenn ihr schon gehen wollt, dann schnell.

EU-Austritt der Briten
:Londoner sind wütend auf Boris Johnson

In Wales ist er ein Held - aber nicht in London. Die Hauptstädter machen ihrem ehemaligen Bürgermeister deutlich, was sie von seinem Einsatz für den Brexit halten.

Er verstehe nicht, warum die britische Regierung bis Oktober für die Entscheidung brauche, ob sie den Scheidungsbrief schicke oder nicht. "Ich hätte den gerne sofort", sagte Juncker. Er sei tief traurig über das Votum, aber die Briten hätten in der Volksabstimmung klar entschieden, dass sie die EU verlassen wollten und das Projekt Europa laufe weiter.

Beinahe noch deutlicher äußert sich EU-Parlamentspräsident Martin Schulz (SPD). Dass Cameron monatelang abwarten wolle, sei "skandalös". Damit werde "zum wiederholten Male ein ganzer Kontinent in Geiselhaft genommen für die parteiinternen Überlegungen der konservativen Partei Großbritanniens. Bereits als Cameron vor drei Jahren das Brexit-Referendum ankündigte, um parteiinterne Gegner ruhigzustellen, habe er einen "ganzen Kontinent verhaftet für seine taktischen Verhandlungen", sagt der EU-Parlamentspräsident.

Wenn es nach Cameron geht, dann dauert es bis Oktober, bis die Austrittsverhandlungen beginnen. In den kommenden drei Monaten will er den Übergang gestalten: Es soll ein neuer Premierminister gesucht werden, möglicherweise wird es auch noch dieses Jahr Neuwahlen zum britischen Unterhaus geben. Erst sein Nachfolger, so Cameron, solle dann über die Modalitäten des EU-Austritts verhandeln.

Auch der frühere Londoner Bürgermeister Boris Johnson, einer der Anführer der Brexit-Kampagne und möglicher Nachfolger von Cameron, betont, es bestehe "kein Grund zur Eile" bei den Ausstiegsverhandlungen mit der EU.

Wie das Verfahren bei einem Austritt abläuft

Festgelegt ist das Verfahren in Artikel 50 des EU-Vertrages. "Jeder Mitgliedstaat kann im Einklang mit seinen verfassungsrechtlichen Vorschriften beschließen, aus der Union auszutreten". Zunächst muss der Austrittswille den anderen EU-Mitgliedern explizit mitgeteilt werden - das ist der "Scheidungsbrief", von dem Juncker spricht. Erst dann können offiziell Verhandlungen über die "Einzelheiten des Austritts" beginnen, wie es in Artikel 50 heißt.

Allerdings regeln diese Verhandlungen nur die Loslösung von der EU, nicht die Gestalt der zukünftigen Beziehungen. Die müssen extra beraten werden - und sowohl die Zustimmung des EU-Parlaments als auch eine qualifizierte Mehrheit im EU-Rat erhalten. 72 Prozent der EU-Länder, die mindestens 65 Prozent der EU-Bevölkerung repräsentieren, müssen dazu Ja sagen. Zeitdruck gibt es zusätzlich: Die Verhandlungen sind auf eine Laufzeit von zwei Jahren angelegt. Einer Verlängerung dieser Frist müssen alle EU-Staaten zustimmen.

© SZ.de/Reuters/AFP/olkl - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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