Atomkatastrophe in Japan: Türkei und Tepco:"Radioaktiver Tee schmeckt leckerer"

Der Umgang türkischer Politiker mit Atomkraft grenzte schon immer an Ignoranz. Jetzt will die Regierung in der Nähe von Erdbebengebieten Reaktoren bauen - ausgerechnet die Firma Tepco ist nun in Ankara, um das Geschäft festzumachen.

Kai Strittmatter, Istanbul

Die Türkei hat bis heute kein Atomkraftwerk, die türkischen Politiker aber hatten schon immer ein sehr entspanntes Verhältnis zur Atomkraft und zu ihren Zerfallsprodukten. Gerade dann, wenn sich andere Sorgen machten. Der einstige türkische Handelsminister Cahit Aral zum Beispiel: Kurz nach der Katastrophe von Tschernobyl im April 1986 erklärte er, jeder, der behaupte, die radioaktive Wolke habe die türkischen Tee-Anbaugebiete am Schwarzen Meer erreicht, sei ein "Atheist" und "Verräter". Später, als die Geigerzähler auch in der Türkei anschlugen, hielt er eine Tasse türkischen Tees in die Kamera und teilte mit, er trinke "sieben oder acht Tassen am Tag". Turgut Özal, der Premierminister, setzte noch eins drauf: "Radioaktiver Tee", schwärmte er, "schmeckt noch besser, noch leckerer."

Greenpeace activists play dead in front of Energy Ministry building in Ankara

Atomkraft? Nein danke. Greenpeace demonstriert schon seit Jahren in der Türkei gegen den Bau von Kernkraftwerken.

(Foto: REUTERS)

Der heutige Premier Tayyip Erdogan lässt sich nicht umsonst als Erbe Turgut Özals feiern. Wie jener entfesselt er die Kräfte des Marktes in einer staatsfixierten Nation, wie jener begeistert er sich für die Vorzüge des gespaltenen Atoms. Erdogan will den Türken ihre ersten Atomkraftwerke schenken. Die Welt überlegt sich den Ausstieg aus der Atomkraft - und die Türkei? Die steigt ein.

Und zwar mit aller Macht. Die Erklärungen der Regierung lassen sich in drei Worten zusammenfassen: jetzt erst recht. Oder, wie der Premier findet: "Es gibt keine Investition ohne Risiko. Wer ein Leben ohne Risiko will, braucht sich auch keine Propangasflasche für die Küche kaufen." Erdogan sagte dies am Dienstagabend. Dann stieg er in die Maschine nach Moskau, wo er mit russischen Partnern den Bau eines Atomkraftwerks in Akkuyu am Mittelmeer verhandelt.

Die Pläne für das zweite AKW stehen auch schon. Nach Sinop soll es, ans Schwarze Meer. Und dieses zweite AKW trug seinen Teil dazu bei, dass Energieminister Taner Yildiz die letzten Tage besonders zappelig von Kamera zu Kamera sprang. Am Freitag, dem Tag des Tsunamis, erklärte Taner Yildiz fast triumphierend, die japanischen Atomkraftwerke hätten "den Test bestanden".

Der Minister schweigt

Am Samstag, da war gerade die Hülle des ersten Reaktorblocks in Fukushima explodiert, sagte er, das Problem sei nicht die radioaktive, das Problem sei vielmehr die "Informations-Verschmutzung".

Und am Montag - die Zeitungen berichteten von der drohenden Kernschmelze - trat er erneut im Fernsehen auf: Natürlich werde die Türkei am Bau der beiden AKWs festhalten. Schließlich kaufe man die neueste Technologie, nicht zu vergleichen mit den alten Reaktoren von Fukushima. "Selbst wenn man wollte - man kann gar keine schlechten Atomkraftwerke der dritten Generation bauen", sagte Yildiz, und fügte hinzu: "Wir wollen natürlich ohnehin ein gutes." Und zwar von wem? Da schweigt der Minister lieber - bauen nämlich sollen in Sinop die Japaner.

Minister Yildiz selbst hat das im Dezember verkündet. Und just an dem Tag, an dem die Katastrophe von Fukushima ihren Lauf nahm, waren japanische Kraftwerksbauer in Ankara, um die Details auszuhandeln. Genauer: Abgesandte der Firmen Toshiba und des Kraftwerksbetreibers Tepco. Ausgerechnet. Jener Firmen also, die auch Fukushima bauten und betreiben. Die Japaner sind noch immer in Ankara: Bis Ende März soll das Geschäft stehen.

"Hoffnungslos ignorant"

Mag die Regierung sich so unbesorgt geben wie 1986 - das Volk und selbst die Boulevardzeitungen (die nach Tschernobyl einer wohldosierten Verstrahlung noch "aphrodisiakische Wirkung" zusprachen) sind es nicht mehr. Die Zeitung Aksam nannte die Einkaufspläne der Regierung eine "Atomkatastrophe auf Bestellung", der Fanclub des Fußballvereins Besiktas enthüllte beim Spiel am Sonntag ein großes Plakat "für eine atomkraftfreie Türkei".

Der Nuklearingenieur Tolga Yarman nannte Minister Yildiz "hoffnungslos ignorant"; Cengiz Göktas, der Vorsitzende der Türkischen Ingenieurskammer, attackierte Premier Erdogans Sprüche als "verantwortungslos und fern von aller Wissenschaft". Güven Eken, Vorsitzender des Naturschutzbundes Doga Dernegi, kündigte Demonstrationen an. "Welche Ironie", sagte er, "dass die Türkei ausgerechnet mit Russland und mit Japan verhandelt, den Heimatländern der beiden größten Katastrophen in der Geschichte der Atomkraft."

Pfuschbauten im Erdbebengebiet

Die Kritiker eint eine Sorge: Wie Japan wird die Türkei regelmäßig von Erdbeben heimgesucht, das Land liegt über aneinanderstoßenden Kontinentalplatten. Akkuyu, wo das russische AKW hin soll, liegt keine 30 Kilometer von der Ecemis-Verwerfung entfernt. "Unsere Warnungen, dass man in eine solche Gegend kein AKW bauen darf, wurden ignoriert", erklärt die Kammer der Elektroingenieure. Die Regierung verteidigt die Pläne mit dem Energiehunger der boomenden Wirtschaft; Kritiker beklagen die Vergabe der Kraftwerksbauten ohne jede Ausschreibung ebenso wie das Genehmigungsverfahren, das ohne ausreichende Studien der Gefahren erfolgt sei.

Erst im Jahr 1999 erlebte die Türkei ein Erdbeben, bei dem 17.000 Menschen starben, viele begraben unter den Pfuschbauten korrupter Baufirmen. Ein eben veröffentlichter Bericht darüber, wie das Land und die Stadt Istanbul auf das nächste Erdbeben vorbereitet sind, liest sich ernüchternd. Der Bericht des türkischen Parlaments macht folgende Schwächen aus: Selbst bei Großprojekten werden Gefahren nicht mit eingeplant. Industrieanlagen sind nicht sicher. Gefahrstoffe werden ohne Schutz gelagert. Es gibt keine klare Verteilung der Verantwortung beim Katastrophenschutz. Es gibt nicht einmal Koordination zwischen staatlichen Stellen.

Ein Atomkraftwerk ist so gefährlich wie eine Gasflasche? "Die Worte Erdogans werden in die Geschichte eingehen", sagt der Ingenieurskammer-Vorstand Cengiz Göktas. Der Premier sagt: "Alles Schöne im Leben bringt ein paar Probleme mit sich."

Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: