Nach der Anschlagserie:Ukraine garantiert Sicherheit der Fußball-EM

Die Situation im Gastgeberland Ukraine spitzt sich sechs Wochen vor dem EM-Anpfiff zu: Eine Anschlagserie im Osten des Landes mit Dutzenden Verletzen verbreitet Angst und Schrecken. Und nun fürchtet auch noch der Ehemann der hungerstreikenden Julia Timoschenko einen Mord an seiner Frau. Doch die Uefa sieht trotz der politisch höchst heiklen Lage keine Veranlassung für Sofortmaßnahmen - und die Verantwortlichen in Kiew beschwichtigen.

Knapp sechs Wochen vor dem Anpfiff zur Fußball-Europameisterschaft hat eine Anschlagserie die Ukraine erschüttert. Mindestens 27 Menschen wurden am Freitag bei mehreren Explosionen in der Stadt Dnjepropetrowsk verletzt - dennoch sieht das Gastgeberland keine Sicherheitsgefahr für die EM-Besucher im Juni.

Nach der Anschlagserie: Olympisches Stadion in Kiew: Nationale ukrainische Sicherheitsorgane beim Anti-Terror-Training

Olympisches Stadion in Kiew: Nationale ukrainische Sicherheitsorgane beim Anti-Terror-Training

(Foto: AP)

Die Veranstalter garantieren einen störungsfreien Verlauf des Turniers, sagte der EM-Verantwortliche Alexander Birsan: "Wir unternehmen alles Notwendige zur Sicherung der Gäste und der Teilnehmer der EM."

Mehrere Stunden nach der Bombenserie habe sich niemand zu den Anschlägen bekannt, sagte er nach Angaben örtlicher Medien. "Es gab auch vor den Explosionen keine Drohungen oder Erpressungsversuche." Ein Sprecher des ukrainischen Geheimdienstes SBU sagte, die vier Explosionen hätten sich innerhalb von 90 Minuten an verschiedenen Stellen von Dnjepropetrowsk ereignet. Alle Sprengkörper seien selbst gebaut gewesen und hätten versteckt in Behältern wie etwa Mülltonnen gelegen. Insgesamt befänden sich 27 Menschen in Kliniken, einer von ihnen sei schwer verletzt. Unter den Verletzten seien neun Kinder.

Sport darf nicht zum Knüppel der Politik werden

Trotz der Anschläge sieht die Europäische Fußball-Union Uefa keine unmittelbare Veranlassung zu neuen EM-Sicherheitsmaßnahmen. "Diese Ereignisse beeinträchtigen in keiner Weise das Vertrauen der Uefa in die von den ukrainischen Behörden geplanten Sicherheitsmaßnahmen, die ein heiteres Turnier ohne Zwischenfälle gewährleisten werden", hieß es am Freitag aus der Verbandszentrale im schweizerischen Nyon. Die Situation in der Ukraine werde aber "beobachtet".

Die Hintergründe der Anschlagserie waren zunächst unklar. Die Industriestadt 400 Kilometer südöstlich von Kiew ist bei der EM vom 8. Juni bis 1. Juli kein Spielort. Dnjepropetrowsk ist aber Geburtsstadt der ehemaligen Ministerpräsidentin Julia Timoschenko.

Auch die Diskussion um die inhaftierte Politikerin bringt die Uefa in Bedrängnis. Der im tschechischen Exil lebende Ehemann von Timoschenko wirft den ukrainischen Behörden vor, seine Frau umbringen zu wollen. Fotos, die zeigten, wie seine Frau in einer Gefängniszelle zusammengeschlagen werde, seien "schockierend und entsetzlich", sagte Oleksandr Timoschenko der Nachrichtenagentur AP am Freitag in Prag. Die ihr dabei zugefügten Verletzungen seien eine "Generalprobe für ihre physische Zerstörung - ein Mord, den die Behörden seit der Repressionen gegen sie auszuführen planen". Seine Frau sei eine Kämpferin, "die bis zum Ende durchhält", sagte er.

Verbandschef Michel Platini verteidigte trotz der Kritik erneut die Vergabe der Gastgeberrolle an die Ukraine. "Natürlich ist es schwierig, wenn die politischen Verhältnisse instabil sind. Die Ukraine hat gerade den fünften Sportminister in fünf Jahren. Aber was sollen wir machen? Die EM nicht in Länder wie die Ukraine vergeben, weil nicht alles so gefestigt ist wie in westeuropäischen Demokratien? Das ist keine Lösung", sagte Platini vor den Anschlägen der Welt.

In die anhaltende Boykott-Diskussion schaltete sich der Präsident des Deutschen Olympischen Sportbundes (DOSB) Thomas Bach ein. "Der Sport darf nicht zum Knüppel der Politik werden. Der Sport kann aus sich heraus positiv wirken durch die mit ihm verbundene erhöhte öffentliche Aufmerksamkeit und kritische Begleitung. Sport ist die wahrscheinlich größte Kommunikationsplattform der Welt. Diese öffentliche Debatte kann sehr hilfreich sein, da sie auf Probleme aufmerksam macht", sagte Bach.

Dem Deutschen Fußball-Bund (DFB) attestierte er einen guten Umgang mit der politisch diffizilen Situation. "DFB-Präsident Wolfgang Niersbach hat sich in der aktuellen Diskussion um die Fußball-EM sehr verantwortungsvoll verhalten, indem er deutlich eine optimale medizinische Versorgung für Frau Timoschenko gefordert und sich für die Einhaltung der Menschenrechte, die Unabhängigkeit der Justiz und die Meinungs- und Pressefreiheit ausgesprochen hat", sagte Bach.

Der frühere Fußball-Star und heutige Rechte-Vermarkter Günter Netzer forderte vom Sport mehr politisches Bewusstsein. "Menschenrechtsverletzungen und gewisse Regierungsformen müssen auch den Sport interessieren", sagte er. Einen EM-Boykott lehnt Netzer aber ab.

Anzeichen für eine konkrete Bedrohung der EM-Spiele durch Anschläge gibt es trotz der Ereignisse in Dnjepropetrowsk offenbar nicht. Die Verantwortung für die Turniersicherheit liegt bei den Gastgeberländern Polen und Ukraine. Die Uefa kooperiert als Veranstalter mit den staatlichen Institutionen. Polizei und Militär sind in beiden Ländern im Einsatz, um die 16 Teams und deren Delegationen zu schützen.

Der DFB engagiert bei Länderspielen und Turnieren stets einen eigenen, privaten Sicherheitsdienst mit zwei bis sechs Mitarbeitern. Diese kommen am DFB-Quartier und auf dem Weg zu Spielen und Training zum Einsatz. Sie sollen jedoch in erster Linie einen reibungslosen Ablauf ohne Störung durch Fans oder Medienvertreter garantieren.

Das Auswärtige Amt hat seine Reisehinweise für die Ukraine hingegen verschärft und rät Touristen, "besondere Vorsicht walten zu lassen und die Medienberichterstattung aufmerksam zu verfolgen".

Klitschko ist gegen Boykott

Gegen einen Boykott richtete sich auch Box-Weltmeister Witali Klitschko. "Ich möchte alle Fans bitten, zur EM in die Ukraine zu reisen und ihr Team zu unterstützen - trotz der traurigen Lage von Julia Timoschenko", schrieb der WBC-Champion in einem Gastkommentar für die Bild-Zeitung.

Anti terror exercise in preparation of UEFA Euro 2012

Polizisten bei einer Anti-Terror-Übung im polnischen Pulawy. Am Freitag haben Anschläge im Osten der Ukraine für Unruhe gesorgt.

(Foto: dpa)

Der 40 Jahre alte Schwergewichts-Weltmeister warnte vor den Auswirkungen eines Boykotts. Die Menschen in der Ukraine hätten es "nicht verdient", international isoliert zu werden. Schuld an der Entwicklung hätten allein die regierenden Politiker um Präsident Janukowitsch.

Klitschko, der sich nach Ende seiner Boxkarriere politisch stärker in seiner Heimat engagieren will, bedauert die Entwicklung dort. "Viele Werte unserer orangenen Revolution sind leider verloren gegangen. So kann von Gewaltenteilung, von unabhängiger Justiz und Gesetzgebung und einer zuverlässigen Polizei keine Rede mehr sein", bemängelte der ältere der beiden Klitschko-Brüder.

Klitschko ist in seiner Heimat politisch schon seit vielen Jahren engagiert. Anfang 2010 hatte er die Oppositionspartei Ukrainische Demokratische Allianz (Udar) gegründet. Zuvor war er 2002 und 2006 jeweils bei der Wahl zum Bürgermeister der Hauptstadt Kiew gescheitert.

Solidarisch in orange

Ein Aufruf zur Solidarität kam auch aus dem deutschen Bundestag: Sportausschuss-Mitglied Frank Steffel forderte die Fußball-Nationalmannschaft auf, bei der EM klar Stellung zu beziehen. "Die deutsche Nationalmannschaft und die deutschen Fans sollten die Farbe Orange sichtbar an ihrer Kleidung tragen, um auf dieses Thema aufmerksam zu machen", sagte Steffel in einer Pressemitteilung des Bundestages. Die Farbe Orange bezieht sich auf die "orangefarbene Revolution", die Timoschenko im Jahr 2004 angeführt hat.

Der Vorsitzende des Auswärtigen Ausschusses im Bundestag, Ruprecht Polenz (CDU), rechnet indes mit weiteren Boykottaktionen. "Das wird jeder dann selber überlegen, ob er als Politiker, Spitzenpolitiker, Staatschef eine Einladung annimmt, sich auf die Haupttribüne setzt und so tut, als wäre nichts", sagte Polenz bereits am Freitagvormittag im ARD-Morgenmagazin. "Ich glaube schon, dass unter diesen Umständen viele sagen werden, dass sie zu Hause bleiben", sagte er. Eventuell würde es genügen, wenn die Politiker lediglich die in Polen angesetzten Spiele besuchten.

EU-Justizkommissarin Viviane Reding schloss einen Besuch des EM-Eröffnungsspiels im Juni bereits aus. Kanzlerin Angela Merkel erklärte im NDR, sie habe sich über ihre Reisepläne noch keine konkreten Gedanken gemacht. Die Grünen Europaabgeordneten Daniel Cohn-Bendit und Rebecca Harms forderte von der Uefa eine Erklärung zur Lage in der Ukraine.

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