Süddeutsche Zeitung

Nach den Wahlen in Griechenland:Spielraum am Rande des Zusammenbruchs

Die griechischen Wähler haben den Reformparteien eine Mehrheit gegeben, doch die Wahlsieger um Samaras befinden sich in einer Zwickmühle: Kommen sie den Geldgebern zu stark entgegen, könnten sie bald wieder den Zorn des Volkes fühlen. Viel hängt davon ab, mit welchen Forderungen Athen und die Troika in die Verhandlungen gehen.

Bastian Brinkmann und Johannes Kuhn

Folgt den Stunden der Entscheidung nun die Stunde der Verantwortung? Zumindest wollen die Wahlsieger der konservativen Nea Dimokratia (ND) schon aus symbolischen Gründen keine Zeit verstreichen lassen: Bereits in der Wahlnacht einigte sich Parteichef Antonis Samaras telefonisch mit dem Chef der sozialistischen Pasok, Evangelos Venizelos, auf Koalitionsverhandlungen, Montagmittag eilte er zu Staatsoberhaupt Karolos Papoulias, um sich den Auftrag zur Regierungsbildung abzuholen und am Nachmittag mit Verhandlungen zu beginnen.

"Wir haben keine Zeit zu verlieren, schon gar nicht für kleine Parteispielchen", hatte Samaras bereits bei seiner Siegesrede erklärt, "das Land muss regiert werden." Einen erfolglosen Verhandlungsmarathon wie vor sechs Wochen wollen Venizelos und Samaras sich, den Bürgern, aber auch den Gläubigern Griechenlands ersparen.

Die Eile hat auch handfeste finanzielle Gründe. Griechenland geht das Geld aus. Die Geldreserven des Staates reichen Schätzungen zufolge noch bis Mitte Juli, danach gibt es kaum noch Möglichkeiten, Beamte zu bezahlen und öffentliche Einrichtungen zu betreiben. Auch das Sparprogramm für 2013 und 2014 ist noch nicht mit den Geldgebern aus Troika aus Europäischer Kommission, Europäischer Zentralbank (EZB) und Internationalem Währungsfonds (IWF), abgeklärt. Und spätestens im August muss Griechenland einen milliardenschweren Kredit an die EZB zurückzahlen.

Anders als bei den letzten Verhandlungen ist die Ausgangslage für die ND komfortabel. Durch den 50-Stimmen-Bonus für den Wahlsieger hält die Partei 129 Sitze. 33 Sitze zur absoluten Mehrheit liefert Pasok. Um den Spielraum zu vergrößern, wenn kontroverse Entscheidungen Abweichler provozieren, könnten die beiden Parteien auch noch die Demokratische Linke (Dimar) mit ins Boot holen.

Athen will Spielraum für Investitionen

Beobachter in Athen rechnen damit, dass die Koalition bereits Ende der Woche stehen könnte. Kurz darauf dürfte die Troika zum Kontrollbesuch nach Griechenland aufbrechen, um den Fortschritt der Reformen zu dokumentieren. Das Sparpaket ist hart: 150.000 Stellen im öffentlichen Dienst sollen wegfallen, der Mindestlohns von zuletzt 877 Euro um 22 Prozent sinken, Staatseigentum im Wert von 50 Milliarden Euro soll privatisiert werden, die Nahverkehrspreise um 25 Prozent steigen.

An diesen Vorgaben wird die Regierung gemessen. Die Hilfskredite an Griechenland werden deswegen extra in Tranchen ausgezahlt, wenn die Regierung die Hausaufgaben der Troika erfüllt hat. So muss Griechenland nach den bisherigen Plänen noch im Juni weitere Haushaltskürzungen in Höhe von 11,5 Milliarden Euro beschließen, das sind rund 5,5 Prozent gemessen am Bruttoinlandsprodukt.

Doch die voraussichtlich ND-geführte Regierung will genau in diesen Punkten mit der Troika neu verhandeln. "Es wird darum gehen, dass Athen nicht nur Haushaltsdisziplin übt, sondern auch wieder Spielraum für Entwicklung und Investitionen bekommt", sagt Theodore Couloumbis, Professor für internationale Beziehungen an der Universität Athen im Gespräch mit Süddeutsche.de. Brüssel hat bereits signalisiert, dass hier Spielraum besteht.

Die neue Regierung kann darauf verweisen, dass die Reformpakete bislang kaum funktionieren. Griechenland stürzte stattdessen in eine schwere Rezession, die inzwischen auch Gesundheitssystem und Stromversorgung schwächt. Am internationalen Kreditmarkt wird das Land auf absehbare Zeit kein Geld zu bezahlbaren Konditionen erhalten.

ND hat bereits angeregt, die neuen Haushaltskürzungen erst für 2014 und 2015 anstatt für die kommenden beiden Jahre zu beschließen. "Sie werden auch versuchen, einige Privatisierungen wegen der schlechten Marktpreise zu verschieben", gaubt Couloumbis. Zudem könnte Griechenland vom europäischen Wachstumspakt profitieren, zu dem inzwischen auch Deutschland Zustimmung signalisiert und der 120 Milliarden Euro für Investitionen beinhalten könnte. Im Gegenzug dürfte die Troika allerdings darauf beharren, Griechenland für Investitionen durch niedrigere Unternehmenssteuern und weniger Bürokratie interessant zu machen.

Was von den Versprechen der Koalitionsparteien übrig bleibt, die Bürger künftig stärker zu schonen, ist unklar. ND und Pasok haben beide erklärt, Stellen im öffentlichen Dienst nicht mehr ganz so radikal wie bislang abbauen zu wollen und die Berechtigung auf Arbeitslosengeld auszuweiten - nach den Verhandlungen mit der Troika könnten diese Pläne hinfällig werden. "Die Griechen haben diese Parteien gewählt, damit die Politik sie rettet. Doch die Regierung hat kaum Spielraum und ist vom Ausland abhängig", sagt Nikos Xydakis, Chefredakteur der griechischen Zeitung Kathimerini im Gespräch mit Süddeutsche.de. "Doch die Europäische Union ist keine Gemeinschaft, sie ist ein Nichts." Er fordert eine stärkere politische Union und größere Solidarität bei den Schulden der Länder.

Wie verhält sich Syriza

Ob es in den kommenden Monaten wieder zu Protesten kommt, dürfte auch davon abhängen, wie das Linksbündnis Syriza sich verhält. Die Vereinigung um den charismatischen Alexis Tsipras ist inzwischen zweitstärkste Partei und hat angekündigt, eine "loyale Opposition" zu sein. In den Sommermonaten dürfte es tatsächlich ruhig bleiben, doch wenn im Herbst weitere Reformen umgesetzt werden sollen oder der wirtschaftliche Abschwung anhält, könnten die Griechen die Wut abermals auf die Straße tragen.

Bereits jetzt weigern sich viele Bürger, ihre Steuererklärung auszufüllen - eine Art stiller Protest gegen die Erhöhungen der vergangenen Monate. Syriza könnte sich an die Spitze einer neuen Protestwelle setzen und so Neuwahlen erzwingen, aus denen sie als stärkste Partei hervorgehen könnten. Der Pasok-Versuch, Tsipras in eine Einheitsregierung zu locken, trägt genau dieser Furcht Rechnung.

Eigentlich sollte Griechenland 2014 schon wieder auf eigenen Beinen stehen. Dass dieses Ziel kaum erreichbar scheint, ist für Kathimerini-Chefredakteur Xydakis das kleinste Problem: "Griechenland wird zusammenbrechen", befürchtet er, "ich glaube nicht, dass in Europa Geld oder politischer Wille vorhanden sind, uns zu retten."

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