Süddeutsche Zeitung

Nach dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts:Juncker will ESM schnell umsetzen

Das Bundesverfassungsgericht hat den ESM gebilligt - nun kann der Rettungsschirm, zumindest unter Vorbehalt, in Kraft treten. Euro-Gruppen-Chef Juncker drängt auf schnelle Umsetzung.

Das Urteil des Bundesverfassungsgericht ist gesprochen - nun möchte der Vorsitzende der Euro-Gruppe, Luxemburgs Regierungschef Jean-Claude Juncker, den ESM möglichst schnell umsetzen. Schon am 8. Oktober, so plant Juncker, soll der Gouverneursrat des ESM am Rande eines Treffens der Euro-Gruppe erstmals einberufen werden.

Er rechne jetzt mit den noch ausstehenden Beschlüssen für die Inkraftsetzung des ESM, sagte Juncker. Der Fiskalpakt werde in Kraft treten, sobald er von zwölf Euro-Ländern ratifiziert sei. Vor dem 1. Januar 2013 werde dies aber nicht passieren.

Das Bundesverfassungsgericht hatte zuvor den Euro-Rettungsschirm ESM gebilligt - allerdings unter Vorbehalt: Es müsse einerseits sichergestellt werden, dass die Haftung Deutschlands auf die vereinbarten 190 Milliarden Euro beschränkt bleibe und darüber hinausgehende Zahlungen nur mit Zustimmung des Bundestags möglich seien, sagte Gerichtspräsident Andreas Voßkuhle in Karlsruhe. Andererseits darf die Schweigepflicht für alle ESM-Mitarbeiter nicht dazu führen, dass Bundestag und Bundesrat nicht ausreichend unterrichtet werden.

Bevor Bundespräsident Joachim Gauck die entsprechenden Gesetze unterschreibt, muss Deutschland sicherstellen, dass dieses Bedingungen auf internationaler Ebene als völkerrechtliche Vorgaben gelten, erläuterte das Gericht.

Es wird zu einem Hauptsacheverfahren kommen. Das Bundesverfassungsgericht behält sich darin vor, zu prüfen, ob die Europäische Zentralbank (EZB) ihre Kompetenzen überschritten hat. Sie hatte in der vergangenen Woche angekündigt, Staatsanleihen von Ländern unter dem Rettungsschirm zu kaufen. Das Handeln der EZB dürfe nicht zum Ziel haben, "Haushalte von Mitgliedsstaaten unabhängig von den Kapitalmärkten zu finanzieren", so das Gericht. Das sei ihr untersagt.

Karlsruhe: keine automatischer Kapitalabruf

ESM-Kritiker hatten den Vorwurf erhoben, ein Artikel im ESM-Vertrag (Artikel 25, PDF) lasse sich so auslegen, dass Deutschland im Notfall automatisch Milliarden nachschießen müsste - der Bundestag würde sein Hoheitsrecht über den Haushalt verlieren. Juristisch heißt dies "automatischer Kapitalabruf".

Dem erteilte das Bundesverfassungsgericht eine Absage. Der Bundestag bleibt maßgebliche Instanz - so steht es bereits im ESM-Gesetz (PDF), das der Bundestag parallel zum ESM-Vertrag verabschiedet hatte.

An den Klagen gegen den ESM und den Fiskalpakt hatten sich mehr als 37.000 Bürger beteiligt. Es handelte sich damit um die größte Verfassungsbeschwerde in der Geschichte des Gerichts. Deutschland ist das letzte der 17 Euro-Länder, das den ESM-Vertrag noch nicht ratifiziert hat.

Wegen der Eilanträge der ESM-Kritiker hat sich der eigentlich für Juli geplante Start des ESM verzögert. Er soll mit bis zu 500 Milliarden Euro klamme Euro-Länder stützen können. Dazu wird er mit einem Grundkapital von 700 Milliarden Euro abgesichert, zu dem Deutschland 190 Milliarden Euro beitragen soll: 22 Milliarden Euro in bar und 168 Milliarden Euro in Form von Garantien im Bundeshaushalt (wie der ESM funktioniert, wird hier erklärt).

Barroso: "Es war auch Zeit"

Nun ist Bundespräsident Joachim Gauck am Zug: Er will so bald wie möglich über die Unterzeichnung der Gesetze zum Rettungsschirm entscheiden. Einen Termin dafür gibt es aber noch nicht, teilt das Präsidialamt mit. Es betont lediglich: "Mit seinem heutigen Urteil hat das Bundesverfassungsgericht den Weg für die Fortsetzung des Ausfertigungsverfahrens nach Art. 82 Abs. 1 GG frei gemacht. Die Entscheidung des Gerichts wird jetzt unverzüglich ausgewertet."

Sowohl die Gegner, als auch die Befürworter des Rettungsschirms verbuchten das Urteil als Sieg. Der CSU-Bundestagsabgeordnete Peter Gauweiler, einer der prominenten Kläger gegen ESM und Fiskalpakt, fühlt sich durch die Richter bestätigt und schreibt in eigener Sache: "Mit Hilfe des Bundesverfassungsgerichts haben wir nun zum wiederholten Male durchgesetzt, dass die Bundesregierung das Demokratieprinzip achten und die demokratischen Rechte des Parlaments und nicht zuletzt der Bürger nicht verletzen darf."

Auch Bundeskanzlerin Angela Merkel, die sich für den ESM ausgesprochen hatte, zeigte sich erfreut: "Deutschland sendet heute einmal mehr ein starkes Signal nach Europa und darüber hinaus." EU-Kommissionschef José Manuel Barroso reagierte auf den Karlsruher Richterspruch erleichtert, aber auch etwas mürrisch: "Es war auch Zeit", sagte er. "Was heute noch nicht Konsens ist, wird morgen Konsens werden. Wir dürfen keine Zweifel an der Integrität der Europäischen Union oder an der Unumkehrbarkeit des Euros zulassen."

Optimistisch äußerte sich Barroso auch zur Situation der Griechen: "Ich glaube fest, dass wir in diesem Herbst die Wende schaffen können". Der Kommissionschef hält eine verstärkte europäische Integration für unausweichlich. Bis 2014 möchte er Vorschläge vorlegen, wie die Union zu einer "Föderation von Nationalstaaten" werden könnte.

Zur Stunde debattiert der Bundestag über das Urteil und den Haushalt. Verfolgen Sie die Diskussion in unserem Live-Ticker.

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