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Machtwechsel in Nordkorea:Was der Tod Kim Jong Ils für die Welt bedeutet

Auf Kim folgt Kim folgt Kim. Kim Jong Un, dritter und jüngster Sohn von Kim Jong Il, soll der neue starke Mann in Nordkorea werden. Doch wie geht es weiter in dem hermetisch abgeschotteten Land mit seiner steinzeitlichen kommunistischen Ideologie? Wie verhalten sich die Nachbarn Südkorea und Japan? Was kann der Verbündete China bewegen? Und wie weit ist Nordkoreas Atomprogramm? Antworten auf die wichtigsten Fragen.

Bastian Brinkmann, Seoul

Nach dem Tod von Machthaber Kim Jong Il berichten Nordkoreas Staatsmedien von Szenen "unbeschreiblicher Trauer". Die Menschen "versuchen nicht einmal, die Tränen fortzuwischen, und ringen mit Schmerz und Verzweiflung angesichts des Verlusts", meldet die amtliche Nachrichtenagentur KCNA. Das Staatsfernsehen zeigt in Tränen aufgelöste Passanten auf den Straßen der nordkoreanischen Hauptstadt Pjöngjang. Mit der Wirklichkeit in dem von Steinzeitkommunisten regierten Land haben diese Meldungen freilich nichts zu tun. Über kaum ein Land auf dieser Erde ist so wenig bekannt wie über Nordkorea. Dabei ist das Land seit Jahrzehnten im Fokus internationaler Konflikte: Seit Ende des Koreakriegs 1953 hat der Norden mit dem Süden nie Frieden geschlossen, mit seinem Atomprogramm hat der "geliebte Führer" Kim Jong Il den Westen immer wieder provoziert. Aber wie geht es nach dessen Tod weiter in Nordkorea? Wie verhalten sich die entscheidenden Staaten? Gelingt der Stabwechsel zum Sohn? Antworten auf die wichtigsten Fragen.

Wie ist die Situation in Nordkorea?

Nordkorea ist der am stärksten abgeschottete Staat der Welt. Die UN schätzen, dass rund sechs Millionen Menschen im Land von Hunger bedroht sind, vor allem Kinder. Die Tagesrationen über das öffentliche Verteilungssystem seien zuletzt von 400 auf nur noch 200 Gramm pro Person halbiert worden. Der Reis-Preis auf dem Schwarzmarkt hat sich dagegen in den vergangenen Monaten verdoppelt. Er liegt jetzt über dem chinesischen Preis, obwohl Nordkoreaner sehr viel ärmer sind als die Menschen im Nachbarland.

Regiert wurde Nordkorea bis Samstag von Kim Jong Il, dem Sohn des Staatsgründers Kim Il Sung. Im nordkoreanischen Personenkult werden die beiden Kims offiziell nahezu als Götter verehrt. Über die Krankheiten des Diktators Kim Jong Il wurde in Nordkorea nicht berichtet, stattdessen meldete die größte Tageszeitung jeden Tag auf der Titelseite, welche Fabrik, welche Kaserne der "geliebte Führer" gerade besucht habe. Das Militär ist für den Machtapparat von großer Bedeutung. Manche Experten halten es inzwischen für wichtiger als die kommunistische Einheitspartei. Nachdem in den 1990er Jahren die Ressourcen im Land immer knapper wurden, hatte Kim Jong Il die "Armee zuerst"-Doktrin ausgerufen, die dem Militär zusichert, stets begünstigt zu werden. Vom Militär hängt die Stabilität des Landes ab - und damit auch die Zukunft des Regimes. Entsprechend verfügt Nordkorea mit geschätzten 1,2 Millionen Soldaten über eine der größten Armeen der Welt. Nach Angaben des US-Außenministeriums verwendet das Land etwa ein Viertel der Wirtschaftsleistung für Militärausgaben.

Wie verhält sich China?

China ist Nordkoreas wichtigster Partner, wenn die Staaten auch keine engen Verbündeten sind. Bislang versucht China vor allem, den Status quo zu erhalten. Nordkorea dient China im Moment als Puffer. Würde das Land an Südkorea fallen, stünden amerikanische Soldaten direkt an Chinas Grenze: Die USA haben fast 30.000 Militärs im Süden stationiert.

Dass China von einer Lösung des Korea-Konflikts profitieren könnte, ist bislang eine Minderheitenmeinung in Peking. Somit hat China in den Sechs-Mächte-Gesprächen zur Lösung des Atomkonflikts bislang eine eher zögerliche Rolle gespielt.

Im Falle eines Kollapses wäre auch eine Angliederung Nordkoreas an China theoretisch denkbar. Im chinesischen Grenzgebiet leben seit vielen Jahrzehnten ethnische Koreaner. Doch diese Lösung käme für China sehr teuer, da die Infrastruktur Nordkoreas am Boden liegt.

Wie reagiert Südkorea?

Zur Jahrtausendwende hatte sich das Verhältnis von Nord- und Südkorea entspannt wie nie. Kim Dae Jung, der langjährige Oppositionspolitiker, überzeugte Katholik und damalige Präsident des Südens, lud Kim Jong Il zum Dialog ein, traf sich mit ihm und wurde für seine Bemühungen mit dem Friedensnobelpreis ausgezeichnet.

Dagegen ist der momentane Präsident Lee Myung Bak konservativer und hatte im Wahlkampf angekündigt, härter mit dem Norden umzugehen, um eine angemessene Antwort auf die Atomwaffentests zu geben. Seitdem der Norden vergangenes Jahr eine südkoreanische Insel beschossen und wohl ein Kriegsschiff der Marine Südkoreas versenkt hat, ist die Situation angespannt. Erst im November hatte Pjöngjang damit gedroht, den südkoreanischen Präsidentenpalast in ein "Feuermeer" zu verwandeln, wenn bei einer Militärübung auf See die Grenzen verletzt werden sollten.

Anfang Dezember aber fing Südkorea wieder an, Millionen an Hilfsgeldern an den Norden zu schicken. Über das UN-Kinderhilfswerk Unicef soll es unterernährten Kindern zugutekommen. Auch kündigte Südkorea zuletzt an, für einen milliardenschweren Fonds zu sparen, der die Kosten einer künftigen Wiedervereinigung schultern soll. Die Spaltung zwischen Nord- und Südkorea ist viel extremer, als sie zwischen West- und Ostdeutschland je war. Es gibt praktisch keine Kommunikation zwischen den Landesteilen. Die Wirtschaft Nordkorea existiert quasi nicht und wird auf drei Prozent der Wirtschaftsleistung des reichen Südens geschätzt.

Kommendes Jahr wird in Südkorea ein neuer Präsident gewählt. Bei den wichtigen Bürgermeisterwahlen in Seoul diesen Herbst haben sich die Wähler für einen progressiven Kandidaten entschieden. Beobachter sehen darin ein Signal, dass auch der nächste Präsident nicht mehr ein Konservativer sein könnte. Das würde wiederum eine neue Phase der Entspannungspolitik mit dem Norden ermöglichen.

Welche Rolle spielen die USA und Japan?

Die Vereinigten Staaten sind der engste Verbündete Südkoreas, das machten die USA auch nach dem Tod Kim Jong Ils klar: "Der Präsident wurde informiert und wir stehen im engen Kontakt mit unseren Verbündeten in Südkorea und Japan", heißt es in einer Mitteilung des Weißen Hauses. Die USA engagierten sich weiterhin für Stabilität auf der Koreanischen Halbinsel und "für Freiheit und Sicherheit unserer Verbündeten".

Neben dem Hass auf die US-Yankees ist die Feindschaft zu Japan ein wichtiger Bestandteil der nordkoreanischen Ideologie. Japan hatte Korea bereits vor dem Ersten Weltkrieg als Kolonie annektiert und ausgebeutet. Nordkoreas atomare Drohungen richten sich auch gegen Tokio. 2009 hat das Land eine Rakete über Japan hinwegfliegen lassen, die auch nukleare Sprengköpfe transportieren kann. Japan ist wie Südkorea nach dem Tod des Diktators nun in Alarmbereitschaft.

Wie weit ist das nordkoreanische Atomprogramm?

Nordkorea behauptet, bereits zwei Mal Atomwaffen getestet zu haben: 2006 und 2009. Auch haben sie Langstreckenraketen abgeschossen, die solche Sprengköpfe tragen könnten. Seit Jahren blockt Nordkorea jede diplomatische Bemühung ab, die Nuklearanlagen im Land von internationalen Beobachtern untersuchen zu lassen. Pjöngjang hatte alle Gespräche darüber abgebrochen. Zuletzt war etwas Bewegung in die Beziehungen gekommen: Seit Sommer hatten Sechs-Parteien-Gespräche in Genf stattgefunden. Nordkorea verhandelt dabei mit China, Russland, den USA, Japan und Südkorea. Wenn Nordkorea mit der Urananreicherung aufhört, könnten die USA Energie und Nahrungsmittel liefern. Derweil ging der Bau des Leichtwasserreaktors in Nordkorea in den vergangenen Monaten jedoch zügig weiter, das legen Satellitenbilder nahe. Zuletzt gab es direkte Verhandlungen zwischen den USA und Nordkorea. Unklar ist, ob der Test einer Kurzstreckenrakete an diesem Montag ein routinemäßiger Test war oder ein geplantes Signal nach innen: Der Sohn zeigt, dass er auch Raketen testen kann.

Sind die Herrscher in Pjöngjang unberechenbar?

Nein, sagen jedenfalls Politikwissenschaftler. Indem sie sich Nuklearwaffen gesichert haben, wurden sie zwar weltweit geächtet und isoliert - handelten aber aus ihrer eigenen Sicht sehr rational. Die Atomwaffen sind ein Schutzschild gegen die ansonsten übermächtigen USA. Schließlich will das nordkoreanische Regime nicht wie die gestürzten arabischen Despoten enden.

Es handelt also immer aus den Erfahrungen seiner eigenen Geschichte und Ideologie: Nordkorea ging 1948 aus der sowjetischen Besatzungszone hervor, die nach dem Zweiten Weltkrieg gebildet wurde. Der Koreakrieg von 1950-53 besiegelte diese Trennung. Grundlage des nordkoreanischen Systems ist eine sozialistische Wirtschafts- und Staatsform, die vom moskautreuen Staatsgründer Kim Il Sung eingeführt wurde. 1995 wurde die Staatsideologie durch die Militarisierung der Gesellschaft ergänzt.

Zwar garantiert die nordkoreanische Verfassung Rechte wie Religions- und Pressefreiheit, doch in dem autoritär regierten Land unterliegen alle Organisationen dem Staat. Den Nordkoreanern sind Reisen ins Ausland mit sehr wenigen Ausnahmen verboten, auch innerhalb des Landes bedarf es einer Genehmigung. Besonders reglementiert ist der Zuzug in die Hauptstadt Pjöngjang. Informationen von außen werden systematisch von den Bürgern ferngehalten.

Gelingt der Machtwechsel zu Kim Jong Un?

Seit einem Jahr wurde der jüngste Sohn Schritt für Schritt in die Öffentlichkeit gebracht. Trotzdem ist kaum etwas von ihm bekannt, nicht mal sein genaues Alter. Wahrscheinlich ist er Ende Zwanzig. Es gibt noch keinen Personenkult um ihn wie bei seinem Vater und Opa. Bislang wurde ihm nur der Titel "der große Nachfolger" zuteil.

Die Frage ist, ob er das mächtige Militär hinter sich sammeln kann. Bislang sorgte sein Vater dafür, dass er einen Posten nach dem anderen übernehmen konnte, um im Hintergrund Erfahrung zu sammeln. Der plötzliche Tod von Kim Jong Il hat eine gut vorbereitete Machtübernahme nun verhindert.

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