Helmut Kohl war streitbar. Während seiner 16 Jahre Kanzlerschaft und auch danach. Er hat gegen schärfste Kritik den Nato-Doppelbeschluss durchgesetzt; er hat gegen die Rechtsaußen in der eigenen Partei an der Ostpolitik seiner Vorgänger festgehalten; er hat vehement mit Franz Josef Strauß gestritten und mit Verve für die Einheit und den Euro gerungen. Immer gab es Freunde und Gegner, immer Kontroversen. Für Kohl war das Teil des politischen Lebens. Daran änderte auch der CDU-Spendenskandal wenig, bei dem er trotz schärfster Kritik die Namen der Geldgeber für sich behielt.
So gesehen passt die schwierige Suche nach einem angemessenen Trauer- und/oder Staatsakt zu seinem Leben. Völlig unangemessen aber ist es, dass um die Frage, wie Europa und Deutschland ihn würdig verabschieden, nun giftige Gerüchte schwelen. Sie haben das Potenzial, genau das kaputt zu machen, was er verdient hat. Streit und Gift sind keine Begleiter für solch einen Abschied.
Wenn stimmt, was "der Vertraute" Kohls berichtet, ist das ganz besonders schmerzlich
Laut gesetzlicher Regelungen gibt am Ende der Bundespräsident die Entscheidung bekannt; das letzte Wort haben die Angehörigen. Und das ist nicht schlecht, es ist gut so. Umso wichtiger ist es, dass sie für Klarheit sorgen, was sie sich wünschen. Und im schönsten Fall arbeiten sie und die Regierung dann eng zusammen, um die Herzenswünsche und organisatorischen Möglichkeiten unter einem Dach zu vereinen. Bei aller Streitbarkeit des Helmut Kohl - es wäre dem Kanzler der Einheit und der europäischen Einigung würdig und angemessen, wenn nach seinem Tod kein neuer Streit ausbricht.
Seit Dienstag aber ist eher das Gegenteil der Fall. Das zeigt ein Bericht der Bild-Zeitung, der angesichts der ungewöhnlichen Nähe des früheren Bild-Chefredakteurs Kai Diekmann eine besondere Bedeutung hat. Das Blatt zitiert einen Kohl-Vertrauten, der nicht nur begründet, warum es ein europäischer Trauerakt werden soll. Er liefert auch Gründe, warum es den für jeden Kanzler üblichen deutschen Staatsakt ausgerechnet für den Kanzler der Einheit nicht geben soll.
Von Verärgerung ist da die Rede, von Kohls Zorn über Berichte direkt nach Ende seiner Kanzlerschaft, Mitarbeiter von ihm hätten im Kanzleramt massenweise Akten zerstört. Tatsächlich hatte es von Rot-Grün harsche Kritik an den sogenannten "Bundeslöschtagen" gegeben. Rechtlich relevant belegt wurden die Vorwürfe aber nie. Und schließlich heißt es in der Zeitung auch noch, Kohls Witwe Meike Kohl-Richter habe Bedingungen für den Ablauf und die Gästeliste gestellt, die für die Organisation eines offiziellen deutschen Staatsaktes schwer umsetzbar gewesen wären.
Nun mag es sein, dass die Vorstellungen zwischen Familie und Staat auseinandergehen. Es mag sogar sein, dass es auch zwischen der Witwe und den Söhnen unterschiedliche Wünsche gibt. Und es ist nicht unwahrscheinlich, dass viele von Jean-Claude Junckers Idee überrascht wurden, alles in einem europäischen Trauerakt zu bündeln. Doch was jetzt geschieht - transportiert über eine in Kohl-Fragen besonders familiennahe Zeitung - ist merkwürdig, bedauerlich und unangemessen. Egal, von welcher Seite diese leisen Vergiftungen kommen, sie verhindern selbst jetzt eine Versöhnung.
Wenn stimmt, was "der Vertraute" Kohls auch noch berichtet, dann ist das ganz besonders schmerzlich. Kohl nämlich, so heißt es, habe sich gewünscht, als "deutscher Europäer" und als "europäischer Deutscher" seinen "letzten Weg" zu machen, und zwar: versöhnlich und friedlich. Das kann nur heißen, dass sich alle Beteiligten, die Familie und die Politik, schnell zusammenfinden. Sonst wird der Trauerakt zum Trauerspiel. Das wäre kein schöner, kein vertrauensvoller Umgang mit diesem großen Erbe.