Nach dem Scheitern von Rot-Grün in Berlin:"Kein Grüner wird das der SPD vergessen"

Die Koalitionsverhandlungen in Berlin sind gescheitert und SPD und Grüne geben sich gegenseitig die Schuld daran. Während die Sozialdemokraten schon mit der CDU planen, sind die geschassten Grünen sauer: Sie werfen dem einstigen Verhandlungspartner vor, "Kapitulationsverhandlungen" geführt zu haben - und drohen mit Konsequenzen auf Bundesebene.

Nach dem raschen Ende der rot-grünen Koalitionsverhandlungen in Berlin geben sich beide Parteien gegenseitig die Schuld am Scheitern. Während die Grünen dem Berliner Bürgermeister Klaus Wowereit vorwarfen, eine Koalition mit ihnen nie gewollt zu haben, kritisiert die SPD die Haltung der Grünen als wirtschaftsfeindlich.

Pressekonferenz Grüne

Künast ist sauer: Die Ex-Spitzenkandidatin in Berlin wirft der SPD vor, an einer Koalition nie ernsthaft interessiert gewesen zu sein.

(Foto: dpa)

Hauptgrund für den misslungenen Auftakt der Koalitionsverhandlungen mit den Grünen waren die unüberbrückbaren Meinungsverschiedenheiten bezüglich der Verlängerung der Stadtautobahn A 100 um 3,2 Kilometer. Der SPD-Landesvorstand beschloss am Mittwochabend einstimmig, nun mit der CDU über eine Koalition zu sprechen. SPD-Landeschef Michael Müller kündigte an, die Vorgespräche mit der CDU sollten möglichst schon in der kommenden Woche beginnen.

Die Christdemokraten sind nach den Worten ihres Landes- und Fraktionsvorsitzenden Frank Henkel dazu bereit. "Sollte es ein Verhandlungsangebot der SPD geben, werden wir uns dem nicht verschließen", sagte Henkel. Bereits nach der Wahl hatte es eine erste Sondierungsrunde mit der CDU gegeben. Danach hieß es von beiden Seiten, es gebe keine unüberbrückbaren Hindernisse.

In Reaktion auf die abgebrochenen Koalitionsverhandlungen kritisierte Parteichefin Claudia Roth die Haltung der SPD. Die Grünen hätten sich auch bei ihrem Kernanliegen, dem Nein zum Autobahn-Ausbau, kompromissbereit gezeigt. Wowereit habe jedoch jede Verhandlung darüber abgelehnt, sagte Roth der Frankfurter Rundschau: "Rot-Grün scheitert also nicht an der A 100, sondern an Wowereits fehlender Bereitschaft, überhaupt auf einen potenziellen Partner zuzugehen und uns auf Augenhöhe zu begegnen."

Die frühere Spitzenkandidatin der Grünen für die Berliner Abgeordnetenhauswahl, Renate Künast, verwies auf die Werte ihrer Partei: "Grüne denken an die Glaubwürdigkeit." Zugleich geht Künast von nachhaltigen Folgewirkungen der gescheiterten Verhandlungen für die Zukunft von Rot-Grün insgesamt aus. "Ich bin mir sicher, kein Grüner wird das der SPD vergessen", was mit Wowereit in Berlin passiert sei, drohte Künast in einem Interview mit der Leipziger Volkszeitung.

"Denen ist diese Stadt doch völlig egal, während sich die Grünen um eine Idee für die gesamte Stadt gekümmert haben", sagte Künast. Bereits bei den Sondierungen zwischen SPD und Grünen sei während der Kompromisssuche zur strittigen Autobahn-Fortführung Wowereit ein verräterischer Satz herausgerutscht: "Das ist alles gar nicht verhandelbar."

Künast sieht dies als Teil einer Strategie bei den Gesprächen, deren einziges Ziel es gewesen sei, die Grünen aus der Koalitionsbildung herauszutreiben. Sie habe den Eindruck gehabt, Wowereit führe "Kapitulationsverhandlungen eines potenziellen Partners und nicht Koalitionsverhandlungen", sagte Künast im ZDF-Morgenmagazin. Sie befürchtet auch Auswirkungen auf künftige Koalitionen: "Das Signal in den Bund ist nicht unbedingt positiv."

Der grüne Co-Vorsitzende Cem Özdemir sagte den Ruhr Nachrichten: "Wowereit fürchtet offenkundig um die Mehrheit in den eigenen Reihen." Die Grünen seien eben "keine Abnicker wie die Linkspartei", sondern selbstbewusst: "Das ist für Wowereit offenbar schon zu viel." Der grüne Bundestagsabgeordnete Christian Ströbele warf Wowereit "Trickserei" vor.

"Züge eines Religionskriegs"

Der Parlamentarische Geschäftsführer der grünen Bundestagsfraktion, Volker Beck, sieht in der Entscheidung Wowereits eine Gefahr für den erhofften Regierungswechsel im Bund. "Das ist keine kluge Entscheidung im Hinblick auf die Ablösung von Schwarz-Gelb im Bund", sagte er dem Kölner Stadt-Anzeiger. Er fügte hinzu: "Ein Mobilisierungsschub für die SPD wird aus diesem Manöver nicht."

Landesvorstandssitzung der Berliner SPD

Nach den gescheiterten Koalitionsverhandlungen mit den Grünen wollen Bürgermeister Klaus Wowereit und der Landesvorsitzende Michael Müller nur mit der CDU sprechen.

(Foto: dapd)

Wowereit sieht in den geplatzten Koalitionsbestrebungen mit den Grünen dagegen keinen Nachteil für die Bundespolitik. "Das hat keine Auswirkung auf die Bundesebene. Da ist eine andere Situation", sagte Wowereit dem RBB-Inforadio. Die SPD wolle weiterhin die schwarz-gelbe Bundesregierung ablösen und sehe dazu mit den Grünen die besten Chancen.

Der Berliner Bürgermeister erhält für den Abbruch der Koalitionsverhandlungen mit den Grünen auch Rückendeckung aus der Bundes-SPD. Der SPD-Vorsitzende Sigmar Gabriel nannte das Nein der Grünen zur Autobahn 100 in Berlin unverständlich und rief die Grünen auf, ihre Haltung zu Verkehrsprojekten generell zu überdenken. Eine moderne wirtschaftsfreundliche Infrastruktur sei die Grundlage des Wohlstands in Deutschland, dazu gehörten auch Autobahnen, Schienenwege, Stromtrassen und Pipelines, sagte Gabriel der Hannoverschen Allgemeinen Zeitung.

Es sei ein großer Irrtum der Grünen, wenn sie meinten, das alles sei im 21. Jahrhundert nicht mehr so wichtig. "Es geht nicht um die Zerstörung von Naturschutzgebieten durch überflüssige Autobahnen, sondern um eine moderne Verkehrsinfrastruktur für eine moderne und dynamische Großstadt." Auch beim Streit um Stuttgart 21 treffe er auf eine Haltung, die man mit den Worten umschreiben könne: Ich will zwar Wohlstand, aber nicht die damit verbundenen Belastungen.

In die gleiche Richtung zielt die Kritik des Münchner Oberbürgermeisters Christian Ude: Er wirft den Grünen fundamentalistische Opposition gegen Verkehrsprojekte mit "Zügen eines Religionskriegs" vor. "Es scheint ein Hobby der grünen Partei zu sein, Verkehrsprojekte fundamentalistisch abzulehnen, so dass am Ende kein Spielraum mehr für Kompromisslösungen ist", sagte der voraussichtliche SPD-Spitzenkandidat für die Landtagswahlen in Bayern. Ude bezog seine Kritik auch auf das Nein der Grünen zur dritten Startbahn des Münchner Flughafens und zu Stuttgart 21.

Der Hamburger Bürgermeister Olaf Scholz bekräftigte, bei Koalitionen sei Verlässlichkeit eine unverzichtbare Bedingung. "Offenbar war das nicht der Fall", sagte er der Berliner Zeitung.

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