Süddeutsche Zeitung

Nach dem Referendum:"Griechen droht entsetzliche Notlage"

Lesezeit: 3 min

Wirtschaftsminister Stathakis bittet die EZB um neue Milliardenkredite, doch die Währungshüter versagen Athen weitere Hilfen.

Nach dem klaren "Nein" beim Referendum verschärft sich die ökonomische Misere in Griechenland. Die griechischen Banken bleiben auch Dienstag und Mittwoch geschlossen. Die Schlangen vor den Geldautomaten werden immer länger, Supermärkte bezahlen Lieferanten bereits mit Schuldscheinen, internationale Bezahldienste über Internet funktionieren nicht mehr. Der griechische Wirtschaftsminister Giorgos Stathakis warnte am Montag in Athen, dem Land drohe eine "entsetzliche Notlage"; er bat die europäische Zentralbank (EZB)

um einen weiteren Milliardenkredit. Doch der EZB-Rat, der am Abend tagte, entsprach dieser Bitte nicht. Stathakis hatte die EZB zuvor aufgefordert, die Finanzinstitute des Landes für mindestens zehn Tage liquide zu halten. In dieser Zeit wolle Griechenland Fortschritte in der angestrebten Einigung um ein neues Rettungspaket erzielen. Dazu wären weitere drei Milliarden Euro an Nothilfen nötig. Anderenfalls würden die Banken nur bis Freitag überleben. Der EZB-Rat hält jedoch weiter an dem Limit von rund 89 Milliarden Euro fest. Bundeswirtschaftsminister Sigmar Gabriel warnte in Berlin davor, dass Griechenland demnächst zahlungsunfähig werden könnte.

Er forderte die EU-Mitgliedstaaten zu humanitärer Hilfe auf. Am Sonntag haben 61 Prozent der griechischen Wähler gegen ein weiteres Spar- und Reformprogramm gestimmt. Nach dem deutlichen Votum will Regierungschef Alexis Tsipras mit einer neuen Mannschaft in die Gespräche mit den europäischen Kreditgebern gehen. Dabei ist er zu Zugeständnissen bereit. Das zeigt der Rücktritt von Finanzminister Yanis Varoufakis am Montag. Tsipras sei zu dem Schluss gekommen, sein Rücktritt könne "potenziell hilfreich für ihn" sein, um bei den Verhandlungen im Schuldenstreit eine Einigung zu erzielen, sagte Varoufakis. Sein Nachfolger Euklid Tsakalotos, bisher Chefunterhändler in Brüssel, sollte noch am Abend vereidigt werden, um an weiteren Verhandlungen mit den Gläubigern teilnehmen zu können. Tsipras forderte am Montag die Chefs aller großen Parteien bei einem Treffen im Amtssitz von Staatspräsident Prokopis Pavlopoulos auf, zusammenzustehen, um zu einer "lebensfähigen Lösung" für das Land zu kommen. Verteidigungsminister Panos Kammenos sagte anschließend, "wir haben dem Ministerpräsidenten den Auftrag erteilt, nach Brüssel zu reisen und im Namen des gesamten griechischen Volkes zu verhandeln".

Am Montag begann ein Beratungsmarathon der Euro-Partner. Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble und sein französischer Ressortkollege Michel Sapin berieten am Rande eines Treffens in Warschau. Schäuble geht offenbar davon aus, dass Griechenland Mitglied der Euro-Zone bleibt, aber vorübergehend eine Parallelwährung einführen könnte. Der Präsident der EU-Kommission, Jean-Claude Juncker, telefonierte am Morgen mit EZB-Chef Mario Draghi und den Spitzen der anderen zuständigen EU-Institutionen. Der Chef der Euro-Gruppe, Jeroen Dijsselbloem, sagte, ohne ein klares Reformpaket nach dem Referendum sei ein Verbleib Griechenlands in der Eurozone "sehr fraglich".

Die Euro-Gruppe trifft sich am Dienstagmittag in Brüssel, um den für den Abend geplanten Sondergipfel der Staats- und Regierungschefs vorzubereiten. Am Montagabend traf Bundeskanzlerin Angela Merkel Frankreichs Präsident François Hollande in Paris, um einen Ausweg aus der Krise abzustimmen. Im Gegensatz zu Berlin tendiert Paris zu einer Überbrückungsfinanzierung für Griechenland, um die Verhandlungen über ein neues Hilfsprogramm abschließen zu können. Nach dem Treffen riefen beide Regierungschefs den griechischen Premier dazu auf, noch in dieser Woche neue Vorschläge für ein Rettungsprogramm zu präsentieren. Beide Politiker betonten, man müsse "ein Gleichgewicht zwischen Solidarität und Verantwortung" in Europa finden. Merkel warnte, momentan seien "die Voraussetzungen für Verhandlungen" über neue Notkredite des europäischen Rettungsschirms ESM "nicht gegeben". In Paris zeigt man sich deutlich flexibler als in Berlin. Wirtschaftsminister Emmanuel Macron warnte, Europa dürfe Athen nicht mit überharten Forderungen und einer Art "Vertrag von Versailles" abstrafen. Finanzminister Sapin sagte, Paris sei - klarer als Berlin - bereit, auch über eine Entlastung Griechenlands beim Schuldendienst zu reden: "Gespräche über die Schulden sind kein Tabu." Premier Tsipras hatte noch in der Nacht zum Sonntag zuerst Hollande angerufen und um neue Verhandlungen ersucht. Das Umfeld des Präsidenten verbreitete Details des Telefonats, darunter die Aufforderung der französischen Regierung an den Griechen, neue Kompromissbereitschaft zu beweisen: "Ich bin bereit, dir zu helfen - aber du musst mir helfen, dass ich dir helfen kann." Merkel telefonierte am Montag mit Tsipras. Er soll zugesichert haben, auf dem Euro-Sondergipfel neue Vorschläge für eine Einigung im Schuldenstreit vorzulegen.

Bestens informiert mit SZ Plus – 4 Wochen kostenlos zur Probe lesen. Jetzt bestellen unter: www.sz.de/szplus-testen

URL:
www.sz.de/1.2553168
Copyright:
Süddeutsche Zeitung Digitale Medien GmbH / Süddeutsche Zeitung GmbH
Quelle:
SZ vom 07.07.2015 / SZ
Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über Süddeutsche Zeitung Content. Bitte senden Sie Ihre Nutzungsanfrage an syndication@sueddeutsche.de.