Süddeutsche Zeitung

Nach dem gewonnenen Präsidenten-Poker:FDP sehnt Gauck-Effekt herbei

Hoffen auf die Trendwende: Nachdem die Liberalen Joachim Gauck als designierten Bundespräsidenten durchgesetzt haben, keimt Zuversicht in der arg lädierten Regierungspartei. Der Parteivorstand zeigt sich stolz, lobt den Mut des Vorsitzenden Philipp Rösler und erzählt sich, wie wütend die Kanzlerin auf Indiskretionen in der Union reagierte.

Oliver Das Gupta

Das Umfrageinstitut Forsa meldet an diesem Morgen für die FDP mal wieder einen Katastrophenwert: Auf gerade mal zwei Prozent bringt es die Regierungspartei bundesweit demnach. Und trotzdem reagiert mehr als ein halbes Dutzend FDP-Vorstandsmitglieder, mit denen Süddeutsche.de spricht, glaubhaft gelassen. "Die Leute wurden doch in der vergangenen Woche befragt", heißt es wie im Chor, "also bevor wir Joachim Gauck durchgesetzt haben".

Man verweist auf zwei andere Umfragen, die nach Gaucks Nominierung erhoben wurden: Sowohl im ZDF-Politbarometer als auch einer anderen Forsa-Erhebung befürworteten etwa zwei Drittel seine Kandidatur. "Ohne die FDP gäbe es den Bürgerpräsidenten Gauck nicht", sagt der stellvertretende Parteichef Holger Zastrow mit Stolz in der Stimme. Man habe sich bewusst so entschieden und wisse die Mehrheit des Volkes hinter sich.

Seit vergangenem Sonntag, als die Liberalen sich zuerst überraschend klar für den eigentlich rot-grünen Kandidaten Joachim Gauck als Nachfolger aussprachen und ihn dann gegen den Widerwillen der Kanzlerin und CDU-Chefin Angela Merkel durchsetzten, hat sich das Binnenklima in der arg ramponierten FDP verändert.

Manch wortgewandtem Spitzenliberalen verschlug es buchstäblich die Sprache, als die Nachricht vom Nachgeben Merkels und der Nominierung Gaucks bekannt wurde. Nun, an Tag drei nach diesem denkwürdigen Abend, ist die Überraschung einem anderen Gefühl gewichen: Optimismus.

Nominierung Gaucks "wie ein Befreiungsschlag"

Der Spott der politischen Gegner, die Häme der Medien, das Herumdümpeln in demoskopischen Tiefen: All das könnte jetzt enden, heißt es aus dem Parteivorstand. Der Fall Gauck sei "wie ein Befreiungsschlag", sagt FDP-Vize Zastrow zur SZ: "Das ist die Wende". Es tue gut, endlich als "erster Sieger vom Platz zu gehen", sagt ein namhafter Liberaler, der Fraktionschef Rainer Brüderle nahesteht. Das gebe Auftrieb, der sich hoffentlich auch in Umfragen niederschlage und den Respekt gegenüber den Liberalen wiederherstelle.

"Es ist gut, der Union gezeigt zu haben, dass wir nicht alles abnicken", sagt der euroskeptische Abgeordnete Frank Schäffler, der ebenfalls zur erweiterten Parteispitze zählt. Und Lasse Becker, der Chef des Parteinachwuchses Junge Liberale, sekundiert: "Die Gauck-Entscheidung kann als Schwungrad dienen." So könne man "mit neuem Elan erfolgreich liberale Sachpolitik durchsetzen". Ein FDP-Vorstand spricht davon, dass die standfeste Haltung von Parteichef Philipp Rösler bei der Kanzlerin "eine Art Turn-Around" darstellen könne: Die FDP sehnt förmlich einen Gauck-Effekt herbei.

Philipp Röslers Position ist gestärkt

Fakt ist: Die Position des Vorsitzenden ist gestärkt. Es scheint, dass nicht nur die Kanzlerin, sondern auch einige seiner Parteifreunde Philipp Rösler nicht zugetraut haben, Gauck gegen Merkels Widerstand durchzusetzen. Für den Parteichef, dessen politische Karriere wohl von der Landtagswahl in Schleswig-Holstein im Mai abhängen dürfte, ist das ein wichtiger Punktgewinn zur persönlichen Arbeitsplatzsicherung. Nachdem ihm sein Generalsekretär Patrick Döring im Dezember attestiert hatte, eher ein "Wegmoderierer" und "kein Kämpfer" zu sein, hat Rösler am Sonntag das Gegenteil bewiesen. Er verfüge über eine "Kämpfernatur", ließ er gestern demonstrativ wissen.

Für seine Nervenstärke erntet er unter Parteigranden Anerkennung: Der Wirtschaftsminister, der kein Bundestagsmandat habe, hätte "größte persönliche Risiko getragen" und sei trotzdem "nicht umgefallen", lobt ein Vorstand. Ein anderer Liberaler, der nicht zu den größten Fans Röslers gehört, attestiert ihm, sich "emanzipiert" zu haben von der Kanzlerin. Der Wirtschaftsminister habe "das am Sonntag wirklich gut gemanagt". Und Horst Meierhofer, Abgeordneter und ebenfalls Vorstandsmitglied erklärt im Gespräch mit der SZ: "Wir können stolz sein auf unsere Partei und unseren Parteivorsitzenden".

Die zur Schau gestellte Wut einiger Unionsleute über den Gauck-Coup trübt die positive Stimmung in der FDP nicht. Man genießt lieber, "in einer schwierigen Situation das Richtige getan zu haben", wie Parteivorstand Johannes Vogel zur SZ sagt. Trimphgeheul bleibt weitgehend aus; einer spricht davon, dass man sich davor hüten solle, Dinge zu "überhöhen", ein anderer meint: "Wir bleiben cool".

Drohungen, bei ähnlichem Auftreten der FDP die Koalition zu beenden, wie sie der Chef der Südwest-CDU Thomas Strobl ausstieß, nehmen die Liberalen nicht wirklich ernst: "In Wahrheit ist Frau Merkel zur schwarz-gelben Koalition verdammt", so Vorstandsmitglied Schäffler. Und ein anderer amüsiert sich über den Unionsinnenpolitiker Wolfgang Bosbach, der der FDP ausrichten ließ, dass man "sich immer zweimal" sehe. Manche in der Union hätten nicht begriffen, dass man sich am Sonntag das zweite Mal gesehen habe - nach all den Situationen, in denen die Union die FDP gedemütigt hatte - wie zuletzt beim Platzenlassen der Saar-Koalition.

"Mutti Merkel" wird ein "unglückliches Händchen" attestiert

Trotzdem sprechen die Liberalen weitgehend positiv über die Kollegen von der Unionsfraktion. Man differenziert genau zwischen einzelnen Akteuren und der Union als "natürlichem Partner der FDP". Einige aus den Reihen von CDU und CSU hätten sich auch hinter vorgehaltener Hand für Gauck als neuen Präsidenten ausgesprochen. Es sei vor allem "Mutti Merkel", die nicht eingestehen wollte, dass sie mit der Nominierung von Christian Wulff zum Staatsoberhaupt ein "unglückliches Händchen" bewiesen habe und sich bis zum Ende nicht von ihm lösen konnte.

Bei den Liberalen sprach man in vertraulichen Runden schon im Januar vom Ende der politischen Karriere Wulffs. Tenor: Entweder er tritt demnächst zurück, oder aber der Präsident residiere bis zum Ende seiner Amtszeit als lame duck in Bellevue: "Er ist irreparabel beschädigt", sagte damals ein Freidemokrat und Kabinettsmitglied zu Süddeutsche.de. Seine Wortwahl war auch als Retourkutsche an die Union zu verstehen: Denn mit dem gleichen Satz hatte CDU-Umweltminister Norbert Röttgen die Situation des damaligen FDP-Chefs Guido Westerwelle beschrieben. Kurz darauf trat Westerwelle zurück.

Wie gut die Drähte zwischen einzelnen Unionsleuten und den Liberalen tatsächlich sind, zeigt der turbulente vergangene Sonntag. Nachdem FDP-Chef Rösler auf Gauck als Kandidaten final beharrte, konsultierte Merkel noch einmal ihr Präsidium. Die Koalition stand zu diesem Zeitpunkt auf der Kippe. Die Kanzlerin entschied sich in der Telefonschalte mit ihren Parteifreunden bekanntlich dafür, nachzugeben und Gauck zu nominieren. Allerdings teilte sie diesen Entschluss zunächst nicht den Liberalen mit.

Als sich die Spitzen von Union und FDP dann wiedertrafen, waren die Freidemokraten schon längst informiert: Unionsleute hatten das Einknicken der Kanzlerin vorher durchgestochen, Merkel sei "empört und sehr wütend" über die Indiskretion gewesen. "Aber das", sagt ein Liberaler, "ist nicht unser Problem, sondern das der Kanzlerin".

Mit Material von Reuters.

Der Autor diskutiert bei Twitter unter https://twitter.com/#!/oliverdasgupta

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