Nach dem EU-Sondergipfel:"Mehr war nicht zu erhoffen"

Der Beschluss der EU, keine Sanktionen gegen Moskau zu verhängen, wird in der europäischen Presse als Kompromiss angesehen. Russland sieht sich selbst als Sieger.

Eine Presseschau

Die EU hat Russland auf ihrem Krisengipfel zum Kaukasus-Konflikt massiv verurteilt, aber Diplomatie statt Sanktionen angekündigt. Die internationale Presse reagiert gespalten. Während russische Kommentatoren einen Erfolg für ihr Land verzeichnen, bezeichnen Medien anderer Länder den Beschluss der EU-Mitglieder als Kompromiss auf Grundlage eines Minimalkonsenses.

Nach dem EU-Sondergipfel: Unter der Leitung von Nicolas Sarkozy (rechts) entschied sich die EU für ein diplomatisches Vorgehen im Konflikt mit Russland. Die internationale Presse reagiert gespalten.

Unter der Leitung von Nicolas Sarkozy (rechts) entschied sich die EU für ein diplomatisches Vorgehen im Konflikt mit Russland. Die internationale Presse reagiert gespalten.

(Foto: Foto: afp)

Klar gegen Russland stellten sich polnische Medien. Die linksliberale Warschauer Zeitung Gazeta Wyborcza schrieb: "Russland hat es bislang gut verstanden, die Unterschiede zwischen den EU-Partnern auszuspielen. Die Russen sprachen mit den Starken: Deutschland, Italien oder Frankreich. Sie ignorierten die kleineren Staaten wie Polen oder die baltischen Staaten und warfen ihnen krankhafte Russenfeindlichkeit vor."

Auch für das diplomatische Vorgehen der EU zeigt die Zeitung kein Verständnis: "Russland stellt für uns die Gefahr einer Erpressung mit Raketen und eines Handelsembargos dar. (...) Mit dem Einmarsch in Georgien zeigte sich Russland dem Westen von der schlimmsten Seite, an die in Berlin oder Paris kaum jemand glaubte. (...) Jetzt glauben sie."

"Eine gefährliche Unterlassung"

Auch die polnische Tageszeitung Rzeczpospolita hätte sich von der EU strengere Maßnahmen gewünscht. "Da die scharfe Reaktion des Westens jetzt, direkt nach der russischen Machtdemonstration und Arroganz, ausgeblieben ist, wird es künftig noch schwieriger sein, sich für entschlossene Gesten zu entscheiden. Viele westliche Politiker meinen, dass es unvernünftig wäre, Russland an den Pranger zu stellen. Aus der Sicht der Staaten Mittel- und Osteuropas ist das aber eine gefährliche Unterlassung."

Die links-liberale ungarische Tageszeitung Nepszabadsag schätzt die Lage anders ein. Sie ist der Meinung, dass die EU übertrieben besorgt sei. "Wenn dieser Konflikt in einen Abbruch der vielfältigen Beziehungen zu Russland münden würde, fände die Mehrheit dies mindestens ebenso 'unverhältnismäßig' wie die EU-Mitgliedsstaaten - ohne Ausnahme - die russische Vergeltung des georgischen Angriffs auf Südossetien empfinden. (...)

Im Übrigen kann die Tatsache, dass die EU seit dem furchtbaren Angriff auf New York vom 11. September 2001 jetzt zum ersten Mal wieder ein Sondergipfeltreffen abgehalten hat, ebenfalls als Irrtum hinsichtlich der Verhältnismäßigkeit gelten, wenn man die russischen Schritte im Kaukasus nicht mit ebenso viel Argwohn beurteilt wie vormals Breschnews Invasion in Afghanistan. Wenn doch, dann ist Georgien wirklich der Lackmustest unseres Bedrohungsgrads."

Währenddessen sehen russische Medien in dem EU-Beschluss einen Erfolg für ihr Land. In der Moskauer Zeitung Kommersant ist zu lesen: "Die Erklärung von Brüssel ist zwar für Russland so hart ausgefallen wie noch nie eine zuvor. Aber die Europäische Union hat es nicht geschafft, irgendwelche Sanktionen zu beschließen. Immerhin haben vor dem Gipfel Politiker und Diplomaten der Russischen Föderation mit ernsthaften Konsequenzen gedroht."

Verschiedene Gruppen von "Russenhassern"

Die russische Zeitung Iswestija konstatierte Uneinigkeit in der Europäischen Union. "Der Gipfel hat gezeigt, wie gespalten die EU ist. Vergeblich versuchten die Teilnehmer, demonstrative Einheit zu zeigen. Doch es gibt verschiedene Gruppen der 'Russenhasser' - von Polen und den baltischen Staaten bis zu Tschechien, Ungarn und Rumänien", schrieb das Blatt.

In der Moskauer Regierungszeitung Rossijskaja Gaseta wurde die Wichtigkeit der Beziehung zwischen Russland und der EU betont: "Zu guten Beziehungen zwischen Russland und der Europäischen Union gibt es keine Alternative. Das hat der EU-Gipfel wieder einmal bestätigt."

Einige europäische Medien betrachten den Beschluss des EU-Gipfels als Kompromiss. So schrieb die Wiener Zeitung Die Presse: "Die EU hat sich, anders als zu befürchten war, wenigstens dazu durchgerungen, die Verhandlungen über das neue Partnerschaftsabkommen mit Russland auf Eis zu legen. (...) Damit hat die EU mit dem Anflug einer Strafmaßnahme zumindest ihr Gesicht gewahrt. Mehr war nicht zu erhoffen. Es wäre ein schwerer Fehler gewesen, Russland nach seinen Völkerrechtsbrüchen im Georgien-Krieg lediglich mit einer matten Rüge davonkommen zulassen."

Das Luxemburger Wort zeigt sich verhalten, aber zufrieden. Die Zeitung sieht in dem Beschluss eine konstruktive Vorlage für das weitere Vorgehen: "Selbst die Falken in London und Warschau haben eingesehen, dass die Forderung nach strikter Einhaltung des von den Präsidenten Medwedew, Sarkozy und Saakaschwili unterzeichneten Sechs-Punkte-Plans der geeignetste Weg ist, um die Spannungen zwischen Russland, seinen europäischen und zentralasiatischen Nachbarn und der EU abzubauen."

Europa kann nur wenig tun

In der Neuen Zürcher Zeitung ist von einem "typischen Kompromiss" die Rede, "der sowohl die harschen Kritiker Russlands aus den neueren Mitgliedstaaten, aus Grossbritannien und aus den nordischen Staaten zufriedenstellt als auch jene Staaten, die sich wie Deutschland, Frankreich und Italien traditionell für Verständigung und Partnerschaft mit Russland einsetzen."

Auch die US-amerikanischen Medien berichten über den Krisengipfel. Die New York Times glaubt, dass Europa die Hände gebunden seien: "Während Europäische Regierungschefs sagten, dass die Prinzipien von territorialer Integrität und nationaler Souveränität respektiert werden müssen, scheint es, dass Europa nur wenig tun kann, um Russlands Ablehnung der Anerkennungs Georgiens Herrschafts über Südossetien und Abchasien zu überwältigen. "

Die Washington Post kommentiert das Ergebnis in Hinblick auf einen zweiten Kalten Krieg: "Nach der schwachen EU-Entscheidung auf Russlands Aggression zu urteilen, scheinen immer noch viele Europäische Führungspersonen dem russischen Botschafter Vladimir Chizhov glauben zu wollen, der behauptet, es gäbe in der heutigen Zeit keinen Nährboden für einen zweiten Kalten Krieg, weil dieser auf Ideologien basiere. Was in Georgien passiert, gründet aber auf Ideologien und je länger die Europäer etwas anderes annehmen, desto größer wird der Schaden sein, den sie kontrollieren müssen."

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