Nach dem Eklat in Davos:Erst Ausbruch, dann Einbruch

Nach dem Eklat in Davos feiern die Türken ihren Premier. Aber es ist ein billiger Triumph, der ihn und sein Land noch teuer zu stehen kommen könnte.

Kai Strittmatter, Istanbul

Da begegneten sich zwei Männer voller Respekt, die einander eigentlich nicht grün sind. Da wurde eine Brücke geschlagen über die Gräben einer uralten Feindschaft. Nüchtern und pragmatisch wurde an der Lösung eines jahrzehntealten, emotionsbeladenen Konfliktes gearbeitet.

Nach dem Eklat in Davos: Der Staatsmann machte Platz für den Hitzkopf: Erdogan nach seiner Rückkehr in die Türkei.

Der Staatsmann machte Platz für den Hitzkopf: Erdogan nach seiner Rückkehr in die Türkei.

(Foto: Foto: AFP)

In Davos machte der türkische Ministerpräsident Tayyip Erdogan vor, wie das geht: Zum ersten Mal sprach der türkische Premier mit dem armenischen Präsidenten, Sersch Sarkissjan. Bald, munkelt man, solle die Grenze zwischen beiden Ländern geöffnet werden. Eigentlich eine Sensation.

Für Sensationen aber war keine Zeit, weil nur wenige Minuten später der andere Tayyip Erdogan auf die Bühne trat. Der Staatsmann machte Platz für "den Mann aus Kasimpasa", wie die liberale Zeitung Radikal schrieb. Kasimpasa ist der Istanbuler Vorort, in dem Erdogan aufwuchs.

In Istanbul ist das Viertel ein Synonym für Hitzköpfe und Machotum. Für Männer, die sich nichts gefallen lassen. Davos hatte seinen Eklat. Erdogans Istanbuler Anhängern gefiel, was sie live aus Davos zu sehen bekamen: Einer, der es den Israelis und ihren Freunden im Westen mal gezeigt hat. Sie haben ihren Premier gefeiert bei seiner Wiederkehr, als neuen "Weltführer".

Echte Empörung

Die Hamas schickte ein Glückwunsch-Telegramm. Und es schien, als genösse Erdogan den Erfolg bei den Seinen zu Hause. Aber es ist ein billiger Triumph, der den Premier und sein Land noch teuer zu stehen kommen könnte.

Die Türkei pflegt als einziges muslimisches Land enge Bande zu Israel, daran änderte auch der aus dem politischen Islam stammende Erdogan nichts, als seine Partei 2002 die Macht übernahm. Seit der Gaza-Offensive Israels aber kritisiert er das Land so scharf wie kaum ein anderer.

Gründe für seinen Ärger gibt es viele: echte Empörung über das Blutvergießen; das Gefühl, die Israelis seien ihm in den Rücken gefallen gerade als er zwischen ihnen und Syrien - auch zum Thema Hamas - vermittelt hatte; und nicht zuletzt der Wahlkampf in der Türkei. Selten war die antiisraelische Stimmung im Volk so stark wie in den letzten Wochen.

Wahrscheinlich suchte Erdogan gerade wegen der guten Beziehungen seiner Regierung zu Tel Aviv, diese Flanke zu decken. Die Schärfe aber, in der er das tat, überraschte Beobachter genauso wie sein theatralischer Auszug aus der Podiumsdiskussion in Davos.

Nun hatte Erdogan durchaus Anlass, verstimmt zu sein: Der israelische Präsident Schimon Peres bekam für seine selbstgerechte Rede alle Zeit, und er durfte Erdogan mehrmals persönlich angehen. Erdogan hingegen wurde das Wort abgeschnitten. Und dennoch reagierte er für einen Staatsmann dilettantisch und schadete seiner Sache.

Die türkische Regierung verfolgt in ihrer Außenpolitik primär zwei miteinander verflochtene Ziele: Das Land soll seine Rolle als neue Regionalmacht festigen, und zweitens wird die Mitgliedschaft in der EU angestrebt. Deshalb hat die Türkei zuvor nie gesehene diplomatische Aktivitäten entwickelt.

Erdogan blieb angesichts des innenpolitischen Stillstands als einzige Entfaltungschance eine aktive Außenpolitik. Da bricht er Tabus, arbeitet an der Aussöhnung mit alten Feinden wie den Kurden Nordiraks oder den Armeniern. Zum anderen wurde die Türkei als Vermittler aktiv und nutzte ihre Sonderstellung gerade im Falle Israels. Für Israel vermittelte die Türkei insgeheim mit Syrien, aber auch mit dem Libanon. Selbst mit der Hamas gab es Gespräche.

"Ich kann niemandem erlauben, dem Ruf und der Würde meines Landes zu schaden", verteidigte Erdogan den Dilettantismus von Davos. Es lässt sich darüber streiten, was Ruf und Würde ausmachen, über eines aber wohl nicht: dass man die Interessen seines Landes nicht übersehen sollte. Als Vermittler hat sich Erdogan fürs Erste jedenfalls grandios disqualifiziert.

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