Nach dem Brexit:Zollunion und Binnenmarkt

Was Großbritanniens Ankündigungen für Europas Wirtschaft und seinen Finanzmarkt bedeuten.

Von Björn Finke, London

Am gemeinsamen Binnenmarkt will Großbritannien nach dem Austritt aus der EU nicht mehr teilnehmen. Und an der Zollunion wohl auch nicht, sagte Premierministerin Theresa May in der Rede zu ihren Verhandlungszielen. Aber in jedem Fall solle es ein "kühnes und ehrgeiziges" Freihandelsabkommen geben. Doch was bedeutet das alles konkret für den Handel zwischen Festland und Königreich? Antworten auf die wichtigsten Fragen.

Werden Zölle eingeführt für den Handel mit Großbritannien?

Theresa May will ein Freihandelsabkommen mit der EU abschließen. Solche Verträge hat die Union mit mehr als 50 Ländern unterschrieben, darunter Staaten in der Nachbarschaft wie Albanien oder weit entfernte Länder wie zuletzt Kanada. Die Abkommen schaffen Zölle ab. Im Fall von Großbritannien würde so ein Vertrag verhindern, dass Zölle für Im- und Exporte neu eingeführt werden.

Was ist dann diese Zollunion?

Die Zollunion geht einen Schritt weiter als ein bloßes Freihandelsabkommen. Eine Zollunion schafft nicht nur Zölle zwischen den Mitgliedsstaaten ab. Zugleich vereinheitlicht sie die Zölle für Einfuhren aus Drittländern. Es gibt also keinen deutschen oder französischen Zoll für Importe brasilianischen Rindfleischs. Es gibt nur den einheitlichen EU-Zoll. Die Türkei ist nicht Mitglied der EU, aber der Zollunion. Doch Theresa May will diesem Beispiel nicht folgen. Schließlich träumt die britische Regierung davon, schnell viele Freihandelsabkommen mit Staaten in Amerika und Asien abzuschließen. May hat mit Liam Fox dafür extra einen Handelsminister ernannt. Bleibt Großbritannien in der Zollunion, könnte Fox nur Däumchen drehen, denn das Königreich dürfte nicht aus dem Einheitszoll ausscheren.

Hätte ein Austritt aus der Zollunion denn Nachteile?

Ein Austritt würde Geschäfte mit Europa mühsamer machen. Schließt Großbritannien nur ein Freihandelsabkommen mit der EU ab, nimmt aber nicht an der Zollunion teil, müssten im Hafen von Calais oder an der Grenze zu Nordirland wieder Zöllner britische Lastwagen kontrollieren. Zwar würden keine Zölle auf britische Produkte erhoben, doch die Grenzer müssten prüfen, ob nicht Waren aus anderen Staaten im Laderaum versteckt sind, etwa aus den USA oder Brasilien. Denn wenn Handelsminister Fox fleißig ist, wird er mit vielen Staaten Verträge abschließen, die zollfreie Einfuhren nach Großbritannien vorsehen. Die EU-Grenzbeamten müssen dann verhindern, dass diese Produkte zollfrei in die Union gelangen, sonst würden über den Umweg Großbritannien die EU-Zölle ausgehebelt. Umgekehrt müssen britische Grenzer Laster aus der EU kontrollieren.

Zollkontrollen bedeuten mehr Aufwand und Verzögerungen. Misslich für die Industrie: So beziehen britische Autofabriken viele Zulieferteile vom Festland. Die Teile in den Lagern der Werke reichen nur für wenige Produktionsstunden. Die Unternehmen sind darum auf stete und zuverlässige Lieferungen angewiesen. Werden Lastwagen demnächst in den Häfen untersucht, wird das nicht mehr funktionieren.

Und was ist mit dem Binnenmarkt?

Freihandelsabkommen schaffen Zölle ab, um Geschäfte über Grenzen zu vereinfachen. Der gemeinsame Binnenmarkt der EU vereinfacht Geschäfte, indem er bürokratische Hürden schleift. Dank des Binnenmarktes können Firmen und Banken in jedem Mitgliedsstaat Produkte verkaufen oder Filialen eröffnen, ohne dass sie vor Ort Genehmigungen einholen müssen. Eine Zulassung reicht für alle Länder. Auch Standards vereinheitlicht Brüssel. Das ist äußerst bequem für die Wirtschaft, führt jedoch aus Sicht Mays zu einem unerträglich großen Verlust an Souveränität.

Schließlich beschränkt dieses Prinzip den Spielraum nationaler Wirtschaftspolitik. Zudem ist bei Streitfällen der in London sehr unbeliebte Europäische Gerichtshof zuständig. Und Brüssel beharrt darauf, dass Mitglieder des Binnenmarktes unbegrenzt Einwanderung aus der EU akzeptieren müssen. Deswegen soll Großbritannien nach Mays Willen nicht dem Beispiel Norwegens folgen, einem Land, das nicht in der EU, aber im Binnenmarkt ist.

Ziehen nun Londons Banker nach Frankfurt um?

Die Banken an Europas größtem Finanzplatz London bedienen Kunden auf dem ganzen Kontinent. Verlässt Großbritannien den Binnenmarkt, können sie das nicht länger mit ihrer britischen Lizenz von London aus machen. Sie müssen Abteilungen - und vielleicht Zehntausende Jobs - in Euro-Staaten verlagern und bei der dortigen Aufsicht eine Genehmigung einholen. Frankfurt, Paris, Dublin oder Luxemburg könnten profitieren. May ist sich dieser Bedrohung bewusst. Daher kündigte sie in ihrer Rede an, sie wolle für wichtige Branchen wie die Finanz- und Autoindustrie Sonderregeln aushandeln, dank derer die Vorteile des Binnenmarktes hier weiter gelten. Ob sich die EU darauf einlässt, ist eine ganz andere Frage.

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