Süddeutsche Zeitung

Nach dem Attentat von Arizona:Die Verschwörerischen Staaten von Amerika

Der Attentäter von Arizona wird als Verrückter abgetan. Doch die politischen Ansichten von Jared Loughner werden nicht nur von Randgruppen geteilt - Millionen Amerikaner denken genauso.

J. Häntzschel

Amerikas rechte Agitatoren haben Jared Loughners Massaker unisono verurteilt. Nun hoffen sie darauf, dass er offiziell für verrückt erklärt wird, damit sie den Verdacht abschütteln können, es selbst zu sein. Gleichzeitig geht es ihnen darum, den Vorwurf der Komplizenschaft loszuwerden: dass sie nämlich mit ihrer Ikonographie der Fadenkreuze und ihrer Rhetorik des "nicht nachgeben, nachladen!" (Sarah Palin) Loughner zu seiner Tat erst angestiftet haben. Roger Ailes, der CEO von Fox News, bezeichnete es zwar als "Bullshit", eine Verbindung zwischen Loughners Tat und den von seinem Sender rund um die Uhr abgesetzten Kampfparolen herzustellen, wies seine Moderatoren aber dennoch an, sich zu mäßigen: "Macht mal halblang."

Die Frage nach Loughners Geisteszustand, die wohlfeile Absage an Gewalt und die Debatte um den Stil in der politischen Auseinandersetzung sind wichtig. Doch über diesen Distanzierungsmanövern wurde vergessen, dass Millionen Amerikaner, die nicht alle verrückt sein können, sofort unterschreiben würden, was Loughner vor dem Massaker in seinen YouTube-Videos verbreitet hat.

Auf den ersten Blick erinnern die kryptosophistischen Parolen in Loughners mit angenehmen Hintergrund-Beats unterlegten Powerpoint-Videos an die Monologe verwirrter Passanten oder an die bekrakelten Zettel, die man an Laternenmasten findet: "Lest die Verfassung, um alle gegenwärtigen verräterischen Gesetze zu verstehen", schrieb er: "Jeder Polizeibeamte in den Vereinigten Staaten von Amerika arbeitet verfassungswidrig"; "die Regierung wendet Hirnkontrolle und Gehirnwäsche am Volk an"; "Nein! Ich zahle keine Schulden mit einer Währung, die nicht durch Gold und Silber gedeckt ist"; und schließlich, am seltsamsten: "Die Regierung kontrolliert eure Grammatikstruktur!"

Tatsächlich jedoch bezieht er sich damit auf die zentralen Punkte im Überzeugungssystem des oft ein wenig leichtfertig als "lunatic fringe" abgetanen rechten "Spinnerrands" der amerikanischen Gesellschaft: die kultische Verehrung der Verfassung, der die Korruptheit der Gesetze gegenübergestellt wird; der Hass auf die Regierung und ihre Organe und eine paranoide Angst vor der angeblichen Unterdrückung und Überwachung durch sie. Und die Überzeugung, der Staat benütze das Finanzsystem, um seine Bürger unbemerkt zu versklaven. All das ist eingebunden in die Erzählung von einem stetigen gesellschaftlichen Niedergang, dessen katastrophisches Finale, das offizielle Ende der bestehenden Freiheitsordnung und die Installierung einer Diktatur jeweils unmittelbar bevorstehe.

Teils lassen sich diese Ängste natürlich durch die Erfahrungen der frühen, vor religiöser Verfolgung in die Neue Welt geflohenen Einwanderer und aus dem Kampf um die amerikanische Unabhängigkeit erklären.

Von Illuminaten, Freimaurern und Juden

Doch während der gesellschaftliche Mainstream darauf vertraut, dass das amerikanische Staatsexperiment mit den Bedrohungen von außen und innen fertig werden kann und zu starke Abweichungen von den Idealen der Gründerväter stets korrigieren werde, halten die Ultrarechten den politischen Wellengang für ein Täuschungsmanöver, mit dem eine dämonische Machtelite, die sich über Jahrhunderte im Machtzentrum der Gesellschaft festgesetzt hat, von ihrer Existenz ablenkt.

Viele dieser Metaerzählungen, mit denen sich alles Unerfreuliche und Frustrierende erklären lässt, waren und sind auch in Europa geläufig: Die Illuminaten, die Freimaurer und natürlich die Juden sind es, die bis heute gerne hinter der Verschwörung vermutet werden. In der McCarthy-Ära, als die Kommunisten diese Rolle spielten, wurde die Verschwörungstheorie offizielle Staatsdoktrin. Das Ziel der im Verborgenen agierenden Bösen ist immer dasselbe: die Gründung einer "Neuen Weltordnung" mit einer Weltregierung, unter der die Amerikaner ihre nationale Souveränität und ihre individuellen Freiheiten verlören. Für die Anhänger dieser Verschwörungstheorie ist die Realisierung dieser globalen Diktatur weit fortgeschritten: die Gründung der Vereinten Nationen, der Weltbank, der Nato und die Einführung des Euro markieren ihren Fortschritt.

Deshalb steht hinter dem radikalen Antietatismus der Rechtsextremen mehr als nur Freiheitsliebe und Missbehagen an staatlicher Ineffizienz. Sie sind überzeugt, dass Vorbereitungen für einen Staatsstreich im Gange sind, der im Zwangsanschluss der USA an das neue globale System münden wird. Obamas neues Gesundheitssystem, schärfere Waffengesetze, GPS-Funktionen an Handys, RFID-Chips im Supermarkt: All das soll dazu dienen, die Voraussetzungen für eine Totalkontrolle der Bürger und einen Polizeistaat zu schaffen. Für viele Mitglieder des Patriot Movement, dem unter anderem Timothy McVeigh und Terry Nichols angehörten, die Attentäter, die 1995 in Oklahoma ein Bundesgebäude in die Luft sprengten und dabei 168 Menschen töteten, legitimiert diese Bedrohung den bewaffneten Kampf.

Eine andere Verschwörungstheorie auf die Loughner anspielt, ist die sogenannte Redemption Theory, auf die sich das rechtsanarchistische "Sovereign Citizen Movement" beruft. Deren Anhänger behaupten die Existenz einer goldenen Frühzeit der amerikanischen Geschichte ohne Steuern, Gesetze und Gerichte. Nach und nach sei diese Gemeinschaft freier Bürger jedoch durch ein unterdrückerisches und illegitimes System von Gesetzen und Regularien und Steuerpflichten durchdrungen worden, aus deren Netz es keine Rettung mehr gab. Mit der Mitgliedschaft in der Sozialversicherung, mit der Unterschrift im Führerschein oder der Fischlizenz besiegelte der einstige Souverän seine Degradierung zum Untertan. Das bizarrste Element der "Redemption Theory" besteht in der Annahme, dass die 1933 abgeschaffte Golddeckung des Dollar durch eine "Bürgerdeckung" ersetzt worden sei. Jeder neugeborene Amerikaner diene der Regierung als eine Art Pfand, für das sie sich Geld leihen könne.

Die Idee, der Staat kontrolliere seine Subjekte durch "Gedankenkontrolle und Grammatik" hat Loughner unzweifelhaft von David Wynn Miller, dem bizarrsten Vertreter des Sovereign Citizen Movement. Miller, der sich als "Bevollmächtigter Richter", Genie, Botschafter, Banker und König von Hawaii bezeichnet, hat das "Mathematische Interface für Sprache" erfunden. Miller glaubt unter anderem, er entkomme der Steuerpflicht, wenn er seinen Namen mit Satzzeichen durchsetze, sich also ":David-Wynn: Miller." schreibe. Seine Privatsprache könnte man getrost als Zeitvertreib eines Durchgeknallten ignorieren, würden nicht Tausende, darunter ganz offensichtlich Loughner, Sinn in Sätzen wie diesem finden: "~13 FOR THE FLAG OF THESE C.-S.-S.-C.-P.-S.- L.-STATES-WORLD-CORPORATION IS WITH THESE CLAIMS OF THE 1 X 1.9: RED, WHITE AND BLUE AND WITH THESE COPYRIGHT/COPYCLAIM~24~JULY~1999 ~UNITED-NATIONS-NYC WITH THE C.-S.-S.-C.-S.-M. (FOR THE FIRST-TIME-EVER) OF THESE CONTRACTS, TREATIES, CONSTITUTION AND TRUSTS WITH THESE C.-S.-S.-C.-P.-S.-L.-STATES-WORLD-CORPORATION."

Codewort "Sozialismus"

Doch die Zeiten, da die Verschwörungstheorien allein im rechten Sumpf Abnahme finden, sind vorbei. Am deutlichsten zeigt das die auf der Linken wie auf der Rechten verbreitete Überzeugung, der Anschlag auf das World Trade Center sei von der Regierung selbst organisiert worden. "Fusion Paranoia" nennt Michael Kelly von der Washington Post dieses Phänomen. Verschwörungstheorien und das ihnen zugrundeliegende Denken sind auch außerhalb des politischen Diskurses überall: im Internet und im Talk Radio, im Antirationalismus von New Age oder in der Popkultur (X-Files, The Matrix). Microsoft war im Volksmund so lange das "evil empire", bis ein anderer Konzern, Google, ihm den Rang ablief, der sich mit dem Motto "Don't be evil!" rechtzeitig gegen ähnliche Zuschreibungen wappnete.

Auch das, und nicht nur die Verunsicherung des Publikums durch Obamas Hautfarbe, Herkunft und Politik und der desolate Zustand der Wirtschaft machten es den rechten Agitatoren von Fox News leicht, parallel zur Tea Party ausgewählte Versatzstücke des rechtsextremen Verschwörungsgebräus in die politische Debatte einzuschleusen, mit großartigen Effekten für die Quote. Natürlich kommen sie meist in verbrämter Form daher: Die Neue Weltordnung läuft bei Fox unter dem Codewort "Sozialismus", die Gold-Obsession wird als Investitionstipp verkleidet, und der apokalyptische Millenarismus kommt als Stakkato furchteinflößender Warnungen vor Schneestürmen oder Sittenverfall oder als Weinkrampf des Star-Moderators Glenn Beck über das bittere Schicksal seines Landes daher. Doch nachdem man am Verschwörungssirup einmal gesaugt hatte, ließ sich der Fluss nicht mehr stoppen. John McCain rief den Mann, der "Kill Him!" schrie, als er im Wahlkampf über Obama sprach, noch zur Ordnung. Als ein Regierungshasser vor einem Jahr ein Sportflugzeug in das Finanzamt in Austin lenkte und dabei einen Angestellten tötete, scherzte der republikanische Senator Scott Brown: "Niemand zahlt nun mal gerne Steuern."

Nun ist genau der Fall eingetreten, vor dem die US-Heimatschutzbehörde vor zwei Jahren gewarnt hatte. Ein damals veröffentlichter Bericht bezeichnete die zunehmende Existenz von "einsamen Wölfen und kleinen Terroristenzellen, die gewalttätige, rechtsextreme Ideologien vertreten" als die "gefährlichste terroristische Drohung im Inland". Nachdem die Republikaner, darunter auch der Sprecher des Repräsentantenhauses John Boehner das Papier als "Propaganda" verurteilten, zog ihn die Heimatschutzchefin Janet Napolitano zurück, baute die verantwortliche Abteilung um und beteuerte: "Wir beobachten keine ideologischen oder politischen Überzeugungen und werden dies niemals tun."

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SZ vom 13.01.2011
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