Nach dem Anschlag in Tunesien:Leben nach der Schande
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Die Touristen sind weg. Doch was wird jetzt aus denen, die in Tunesien auf sie angewiesen sind?
Von Thierry Backes, Sousse
Eigentlich müsste Mohamed Methnani, 39, jetzt nicht hier sitzen, er könnte zum Strand fahren und baden. Methnani aber hockt lieber auf einem Plastikstuhl vor seinem Geschäft in der Medina und wartet auf Kundschaft aus Europa. Er wartet vergebens. Seit dem Anschlag auf ein Hotel in Port El Kantaoui mit 39 Toten hat er nichts mehr verkauft, im Sinne von: gar nichts.
"Der Attentäter hat nicht nur Touristen getötet, sondern auch Tunesier", sagt er und meint Leute wie sich selbst, die vom Fremdenverkehr leben, bis zu 600 000 Menschen - und ihre Familien. Methnani wird vorerst keine Poloshirts und keine Wasserpfeifen mehr verkaufen, "wie ich meine Frau und beiden Kinder ernähren soll, weiß ich nicht". Auf die Demokratie aber lässt er nichts kommen. 80 Prozent der Tunesier wollten sie, sagt er, "auch wenn sie teuer ist. Wir müssen teuer dafür bezahlen, und wir werden vielleicht noch mehr dafür bezahlen. Trotzdem würde ich mein Leben dafür geben, dass meine Mädchen in Freiheit leben können."
Es gilt jetzt zusammenstehen gegen die Feinde der Demokratie, das ist auch das Echo in den tunesischen Medien. "Wir werden den Krieg gegen die Finsternis und all die gewinnen, die nicht an ein demokratisches, prosperierendes und stabiles Tunesien glauben", schreibt etwa La Presse in ihrem Leitartikel. "Letztere haben immer noch nicht verstanden, dass das tunesische Volk die Diktatur des (ehemaligen Präsidenten) Ben Ali nicht verscheucht hat, um sich mit der Diktatur der Terroristen segnen zu lassen."
"...das ist nicht der Islam, den ich lebe"
Jalel Gritci, 52, sagt, er sei ein Optimist: "Die Touristen lieben Tunesien, sie werden wiederkehren." Er führt wie Methnani einen Laden in der Medina von Sousse, beliebt ist er bei seinen Kollegen allerdings nicht. Er soll mit der gemäßigten islamistischen Regierungspartei Ennahda sympathisieren und zu dem Anschlag zumindest eine ambivalente Einstellung haben, meinen sie. Und das, obwohl es ihm selbst die Lebensgrundlage entziehe. Einem westlichen Journalisten sagt Gritci das natürlich nicht. Er verurteilt die Gewalt, "das ist nicht der Islam, den ich lebe".
Wen man in Sousse auch anspricht, alle verfluchten den Terrorismus, oft hört man das Wort "Schande". Aber das Leben, das soll, das muss ja irgendwie auch weitergehen. Samstagabend an der Avenue du 14 janvier, der vierspurigen Küstenstraße, die an die Vertreibung Ben Alis Anfang 2011 erinnert: Die Jugend versammelt sich rund um Eisbecher und Milkshakes, grell erhellt von den Leuchtreklamen der vielen Cafés. Kaum ein Stuhl, der nicht besetzt wäre, und auch auf Straße stehen sie, lachen, quatschen. Als wäre nichts passiert.
Gegen Mitternacht wird es dann plötzlich laut. Ein Zug von mehreren Hundert Tunesiern kommt aus der Innenstadt, sie erheben ihre Stimme gegen die Tat eines Einzelnen, skandieren "Wir sind stärker als die Terroristen!" oder "Die feigen Terroristen werden uns niemals Angst einjagen!" Auf den Terrassen stehen einige auf und rufen die Parolen mit, einige reihen sich sogar ein - und kehren nach ein paar Minuten zu ihrem Becher zurück.
Vom Eingang der leergefegten Medina sind es vielleicht dreihundert Meter bis zum Strand, kaum ein Mensch ist am Sonntagnachmittag auf der Straße, nichts Ungewöhnliches im Ramadan. Am Strand aber spielen die Jugendlichen Fußball, während die Kinder im Meer planschen und die Eltern sich die Haut brutzeln. Nichts weist auf die Anschläge ein paar Kilometer weiter nördlich hin, außer einem Schild mit dem Schriftzug "#Sousse never die", aufgebaut neben einem Surfbrett.
"Das Geschäft ist komplett tot"
Auf der Promenade läuft ein Typ vorbei, auf seinem Batik-Shirt steht: "Place à la bonne humeur", "Platz für gute Laune". Gute Laune, für Chokri Ben Boujafar Lahlali, 50, und Lotfi Abboud, 49, ist das ein Fremdwort in diesen Tagen. Eigentlich schon seit dem Anschlag auf das Bardo-Museum in Tunis Ende März.
Sie fläzen in einer Pferdekutsche, mit der sie sonst Touristen herumfahren, die große Tour für 20 Dinar, gut neun Euro. Also theoretisch. "Das Geschäft ist komplett tot", sagt Lahlali, entsprechend sehen auch die Pferde in der Sonne aus: komplett ausgemergelt. Aber was sollen die Kutscher auch tun? Sie gehen ihrem Job seit 31 und 20 Jahren nach.
Während sie über ihre Leid klagen, fährt hinter ihnen ein Touristenzug auf Rädern vor. Er ist bis auf einen Platz leer.
Mitarbeit: Marwa Abayed