Süddeutsche Zeitung

Nach dem Amoklauf von Newtown:Scheinkrieg am Bildschirm

Lesezeit: 4 min

Sind gewaltverehrrlichende Videospiele schuld an Amokläufen? Die Diskussion kommt der Waffenlobby sehr gelegen. Sie versucht, die Verantwortung für solche Gräueltaten auf die Hersteller von Ballerspielen abzuwälzen - ein zynisches Spiel nach dem Tod von 20 Erstklässlern.

Von Moritz Koch, New York

Seitdem sich in den frühen Siebzigerjahren die ersten Pixelblöcke über die Bildschirme von Heimcomputern schoben, haben sich Programmierer dem Ziel verschrieben, die Grenzen zwischen realer und virtueller Welt aufzuheben. Schatten, Schwerkraft, Sonnenlicht - inzwischen ermöglicht es moderne Rechenleistung, den Eindruck täuschender Echtheit zu erschaffen, die fast perfekte Illusion. Der Realismus gilt vor allem bei Kriegsspielen als Verkaufsargument - und die Hersteller begnügen sich nicht mehr damit, es nur auf dem Bildschirm krachen zu lassen.

Als der Unterhaltungskonzern Electronic Arts (EA) im Sommer dieses Jahres sein aufwendig produziertes Ballerspiel "Medal of Honor: Warfighter" auf den Markt brachte, ließ er eine Webseite erstellen, die als virtueller Showroom für die Hersteller sehr realer Kriegsausrüstung diente. Der Waffenhersteller McMillan konnte ein Scharfschützengewehr mit dem Slogan anpreisen: "Schieß, um zu gewinnen." Magpul, ein Fabrikant von Großmagazinen, warb mit dem knappen Spruch "unfairer Vorteil" für sich. Die Firma SOG vertrieb auf der EA-Seite sogar eine eigens für Warfighter produzierte Handaxt. Das "Voodoo Tomahawk" kommt im Spiel als Mordinstrument zum Einsatz. Ein paar Klicks genügten, um aus dem virtuellen Raum waffenstarrend in die Wirklichkeit hinüberzutreten.

"Project Honor" nannte EA die Marketingmasche. Die meisten Spielefans fanden die Website jedoch nicht ehrenhaft, sondern geschmacklos. Die Foren füllten sich mit Beiträgen, die sich darüber beklagten, dass EA all jenen in die Hände spiele, die ein Verbot brutaler Ballerspiele forderten. Und genauso kam es. Nach dem Massenmord von Newtown, bei dem ein Amokläufer erst 20 Kinder und sieben Erwachsene und schließlich sich selbst erschoss, sind nicht nur die Waffenfabrikanten in die Defensive geraten. Auch die Hersteller von Computerspielen stehen am Pranger. EA hat inzwischen reagiert. Die Webseite ist verschwunden. Was bleibt, ist die Debatte um die Ursachen der Gewalt und die Frage, was zu tun ist.

Kein anderes Volk ist so stark bewaffnet wie die Amerikaner

Die Zahlen sind erschreckend. 12.000 Menschen werden jedes Jahr in den USA erschossen. Auch, weil kein anderes Volk der Welt so stark bewaffnet ist wie die Amerikaner. Dennoch wurde in Washington jahrelang nicht über schärfere Kontrollen gesprochen. Erst Newtown brach das Schweigen. Unmittelbar nach dem Amoklauf wurde der Ruf nach strengeren Waffengesetzen laut. Weil die amerikanische Verfassung ihren Bürgern jedoch generell das Recht garantiert, Waffen zu besitzen und zu tragen, beschränken sich die Vorschläge bisher auf ein Verbot von Großmagazinen und Sturmgewehren. Präsident Barack Obama hat sich inzwischen hinter eine entsprechende Initiative seiner Parteifreundin Dianne Feinstein gestellt, die bereits 1994 ein Sturmwaffenverbot durchsetzen konnte, das 2004 jedoch auslief und seither nicht verlängert wurde.

Noch bevor sich der Kongress überhaupt mit Feinsteins Gesetzentwurf beschäftigen konnte, hat Senator Jay Rockefeller, ebenfalls ein Demokrat, einen Antrag eingebracht, mit dem er die National Academy of Sciences beauftragen will, die Verbindung zwischen gewaltverherrlichenden Spielen und Massenmorden zu untersuchen. Die Debatte um die Schädlichkeit von Computerspielen ist so alt wie die Branche selbst. Die Alltagskultur trieft vor Blut und strotzt vor Waffen, auch Kinder werden mit Mord und Totschlag konfrontiert.

Schon 1999, nach dem Massaker an der Columbine High School in Colorado, entbrannte ein Streit um die Rolle von sogenannten Ego-Shootern. Die beiden Täter hatten sich ihre Zeit mit dem damals beliebten Ballerspiel Doom vertrieben. Anders Breivik, der Rechtsterrorist, der in Norwegen 77 Menschen tötete, brüstet sich damit, seine Schusstechnik mit dem Spiel "Call of Duty" erworben zu haben.

Etliche Studien haben sich des Themas angenommen, doch eine direkte Beziehung zwischen Simulationen und Massenmorden ist bis heute nicht erwiesen. Und es ist äußerst fraglich, ob Rockefellers Forschungsauftrag daran etwas ändern wird. In ihrem Buch "Rampage: The Social Roots of School Shootings" bringt die Johns-Hopkins-Professorin Katherine Newman den Stand der Forschung auf den Punkt: "Nur eine winzige Minderheit der Gewaltkonsumenten wird auch gewalttätig. Wenn es eine Verbindung gibt, wirkt sie sich nicht auf alle Kinder gleich stark aus."

Gesetzesinitiativen wie jene von Rockefeller mögen ein Ausdruck von Hilflosigkeit sein, doch sie sind ganz im Sinne der Nation Rifle Association (NRA), der Lobby der amerikanischen Waffennarren, die alles dafür tut, die Diskussion zu verschieben. Bloß weg von sehr konkreten Vorschlägen wie einem Verkaufsverbot für Sturmgewehre und Großmagazine, hin zu einer möglichst abstrakten Diskussion über den kulturellen Nährboden von Mordgelüsten.

Crosspromotion zwischen Waffenfirmen und Unterhaltungsindustrie

Auf einer denkwürdigen Pressekonferenz ließ Wayne Lapierre, Vizepräsident der NRA, einen Clip aus dem abscheulichen Internetspiel "Kindergartenkillers" zeigen. Die Schuld für Gewaltexzesse suchte er bei Programmierern, Regisseuren und Journalisten. Überall, nur nicht bei den Waffenfabrikanten. Die symbiotische Geschäftsbeziehung, die Waffenfirmen und die Unterhaltungsindustrie eingegangen sind, verschwieg der Funktionär.

Crosspromotion nennt sich das Arrangement im Fachjargon. Marketing in Computerspielen ist ein Wachstumsmarkt, und das Product Placement wird immer raffinierter. Jugendliche verbringen heute mehr Zeit mit dem Controller in der Hand als mit der Fernbedienung.

Und der Boom der Spieleindustrie ist nicht vorbei. Die Unternehmensberatung Pricewaterhouse Coopers rechnet damit, dass die Branche im Jahr 2015 mehr als 80 Milliarden Dollar erwirtschaften wird. Schon jetzt wird mit Computerspielen doppelt so viel Geld verdient wie mit Musikalben. Allein Electronic Arts setzt jährlich mehr als vier Milliarden Dollar um und lässt so selbst große Hollywoodstudios verblassen. Es geht also um eine Menge Geld - und nicht nur die Waffenhersteller haben viel zu verlieren.

Es gebe keine einfache Lösung des Gewaltproblems, hat Präsident Obama nach dem Newtown-Massaker gesagt. Er hat eine Kommission einberufen und seinem Vize Joe Biden die Führung übertragen. Im Januar sollen die Vorschläge präsentiert und die Gesetzesinitiativen gestartet werden. Bis dahin wird weitergestritten, weitergeballert. Und weitergemordet. 34 Menschen fallen in den USA Schusswaffen zum Opfer, Tag für Tag.

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Quelle:
SZ vom 29.12.2012
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