Luke O'Dell von der Waffenlobby-Gruppe "Rocky Mountain Gun Owners" hat zum Massenmord in Aurora eine ganz eigene Theorie. Die zwölf Toten könnten womöglich heute noch leben, sagte er der New York Times, hätte das Kino seinen Besuchern nicht verboten, Schusswaffen mit in den Saal zu nehmen. Dann, so die Logik, hätten sich die Angegriffenen wehren können.
Was zynisch klingt, ist in den USA ein gängiges Argument, wenn es um den Besitz von Handfeuerwaffen geht. Der zweite Zusatzartikel der amerikanischen Verfassung gibt den Bürgern das Recht, Waffen zu tragen. Er stammt aus dem Jahr 1791, bislang wurde kaum versucht, zumindest die Abgabe strenger zu kontrollieren.
Der mutmaßliche Aurora-Attentäter James Holmes hatte nach bisherigen Erkenntnissen beispielsweise weder Vorstrafen, noch lag eine Diagnose über eine geistige Erkrankung oder ein Anti-Stalker-Gerichtsbeschluss gegen ihn vor. Unter diesen Voraussetzungen hätte ihm in seinem Bundesstaat Colorado kein Waffenladen die Herausgabe einer der vier Schusswaffen verwehren können, die er für seinen Anschlag nutzte.
Die Demokraten meiden das Thema
Dass die Morde von Aurora die Politik zur Einführung strengerer Waffengesetze bringen, gilt als ausgeschlossen. Zwar forderte New Yorks Bürgermeister Michael Bloomberg die beiden Präsidentschaftskandidaten auf, sich zur Beschränkung von Waffenabgaben zu äußern und eine Lösung für "das Problem, das im ganzen Land existiert" zu finden. Einzig: Sowohl der demokratische US-Präsident Barack Obama, als auch sein republikanischer Herausforderer Mitt Romney vermieden es, das Thema in ihren Beileidsbekundungen anzusprechen.
Obama sicherte den Familien der Toten und Verletzten zu, "alle möglichen Schritte" zu ergreifen, um die Sicherheit der US-Bürger zu garantieren. Doch eine Reform des Waffenrechts sei damit nicht gemeint, erklärte später sein Sprechers Jay Carney: Obama sei der Auffassung, dass "vernünftige Maßnahmen" nötig seien, um das Recht der US-Bürger zu wahren, Waffen zu besitzen und bei sich zu tragen, während sichergestellt werden müsse, dass Menschen, die nach geltendem Gesetz keine Waffe haben sollten, auch keine bekommen.
Romney umschmeichelt die NRA
Vor den Wahlen im November will Obama offenbar niemanden verprellen, anders als in den Neunzigern gibt es in seiner Partei auch keine anderen Politiker mit Einfluss, die sich an das Thema wagen wollen.
Sein Konkurrent Mitt Romney tut ebenfalls alles dafür, die einflussreiche Waffenlobby nicht zu verärgern - hier geht es auch um wichtige Wahlkampfspenden. Im April erklärte er auf einer Veranstaltung des mächtigen Waffenverbands National Rifle Association (NRA): "Das Recht, eine Waffe zu tragen, ist so klar, so unzweifelhaft festgelegt, dass die Liberalen es nicht direkt angreifen können. Stattdessen versuchen sie, es über Tricks auszuhöhlen und zu beschränken."
Die NRA wirft Obama vor, sich für einen Vertrag der Vereinten Nationen zur weltweiten Waffenkontrolle stark zu machen, um damit als Trick letztlich das verfassungsmäßige Recht der US-Bürger auf Waffen einschränken zu können.
Die Aktivisten der anderen Seite geben Obama jedoch schlechte Noten für sein bisheriges Engagement für ein schärferes Waffenrecht. Im US-Bundesstaat Virginia zum Beispiel kann jeder über 18 Jahren Gewehre kaufen, Pistolen ab einem Alter von 21 Jahren - solange der Käufer kein illegaler Einwanderer oder vorbestraft ist. Abgesehen von Maschinengewehren werden Waffen in Virginia, das an die Hauptstadt Washington grenzt, zudem nicht registriert.
Die Anti-Waffen-Aktivisten verweisen deshalb bei ihrem Kampf für schärfere Waffengesetze auf Statistiken: Nach Behördenangaben erleiden in den USA im Laufe eines Jahres rund 100.000 Menschen Schussverletzungen, darunter viele Kinder. Mehr als 31.500 Menschen werden im ganzen Land jährlich durch Waffengewalt getötet.
Keine Mehrheit für Reformen
Auch wenn Medien wie die New York Times, Salon oder der Atlantic Monthly eine Debatte über das Waffenrecht fordern - die Diskussion dürfte keine großen Resultate hervorbringen. Inzwischen gibt es für eine Verschärfung auch keine Mehrheit unter den Bürgern mehr: Sprachen sich Umfragen zufolge 1990 noch 78 Prozent der Amerikaner für eine stärkere Kontrolle des Waffenverkaufs auf, wollten 2011 nur noch 43 Prozent strengere Gesetze.
Statt über Schusswaffen zu sprechen, wird deshalb erst einmal über die Sicherheit in Filmsälen diskutiert. Mehrere Kinos haben ihre Vorkehrungen verschärft. Die Kinokette AMC, eine der größten in den USA, teilte mit, dass in ihren Sälen Gesichtsmasken und Waffenattrappen bis auf weiteres verboten seien.
"Nichts ist passiert"
Damit entwickelt sich die Debatte weg vom Waffenrecht, ähnlich wie nach dem Columbine-Massaker 1999, das nicht einmal 40 Kilometer von Aurora stattfand. Seitdem beschäftigen viele Schulen deutlich mehr Sicherheitspersonal oder greifen auf Hilfsmittel wie Metalldetektoren und Sicherheitskameras zurück, um keine Schusswaffen in die Schule gelangen zu lassen.
Matt Bennett, Mitgründer des Thinktanks "Third Way", zieht deshalb im Gespräch mit der Washington Post ein ernüchterndes Fazit. "Nichts ist passiert, als einer Kongressabgeordneten [Gabrielle Giffords, d. Red.] in den Kopf geschossen wurde. Nichts passiert, wenn ein Dutzend junger Menschen in einem Kino erschossen werden. Das ist eine furchtbare Wahrheit, aber so ist es."