Nach Bürgermeisterwahl in Moskau:Putins gescheiterte Nawalny-Strategie

Wladimir Putin, Moskau, Russland

Wladimir Putin bei der Bürgermeisterwahl in Moskau

(Foto: dpa)

Erst verurteilt Russland den Oppositionellen Alexej Nawalny, dann lässt es ihn antreten. Eine klare Niederlage bei der Moskauer Bürgermeisterwahl hätte ihn seiner Autorität beraubt. Doch jetzt ist es anders gekommen. Und Putin steht vor dem gefürchteten "orangenen Szenario", vor dem der Kreml bei jeder Gelegenheit warnt.

Ein Kommentar von Julian Hans

Manchen erschien es fast wie ein Wunder, dass Alexej Nawalny überhaupt zu den Bürgermeisterwahlen in Moskau antreten durfte. Noch im Juni hatte ein Gericht in Kirow den Kreml-Kritiker zu fünf Jahren Haft verurteilt, weil er einen staatlichen Forstbetrieb schlecht beraten haben soll. Er wurde im Gerichtssaal festgenommen. Einen Tag später war er wieder frei. Mächtige Strippenzieher im Kreml, so berichteten es Moskauer Medien später, hatten offenbar entschieden, dass Nawalny in Moskau nützlicher sei als im Straflager. Seine Kandidatur sollte den Wahlen einen demokratischen Anstrich geben.

Das sah zudem nach einer sicheren Sache aus, denn der Amtsinhaber Sergej Sobjanin führte in allen Umfragen mit großem Abstand. Die Moskauer waren mehrheitlich zufrieden damit, wie sich ihre Stadt entwickelte, seit der Kreml den Technokraten 2010 auf dem Posten platziert hatte. Ein Sieg schien auch ohne große Fälschungen gewiss zu sein. Eine klare Niederlage Nawalnys aber hätte den Kopf der Opposition seiner Autorität beraubt. Nawalny hätte seine Chance gehabt und hätte seine Strafe als Wahlverlierer antreten müssen. Wer kann da dem Kreml noch Vorwürfe machen, er schalte seine Kritiker aus?

Nun ist alles anders gekommen. Nawalny hat überraschend stark abgeschnitten. In den Hochrechnungen bekommt der Anti-Korruptions-Aktivist fast doppelt so viele Stimmen wie erwartet. Sobjanin entgeht wohl nur knapp einer Stichwahl. Und sollte die staatliche Wahlkommission den Amtsinhaber doch mit knappem Ergebnis als Sieger in der ersten Runde ausrufen, wollen die Unterstützer des Bloggers wieder auf die Straße gehen, so wie sie es nach seiner Verurteilung in Massen getan haben.

Putins Plan ist gescheitert

Ein knappes Wahlergebnis und eine gut organisierte Opposition, die dagegen protestiert - das ist das gefürchtete "orangene Szenario", vor dem der Kreml bei jeder Gelegenheit warnt. Die Ereignisse in der Ukraine 2004, als die Opposition um Julia Timoschenko von den Massen getragen den Wahlfälscher Viktor Janukowitsch davonjagte, sind das Schreckensszenario Moskaus. Man muss davon ausgehen, dass die Strategen des Kremls darauf vorbereitet sind und mit neuen Repressionen antworten werden.

Das haben schon andere zu spüren bekommen, die Putins Aufruf an die Demonstranten gefolgt sind, sich doch bitte im Rahmen des normalen politischen Prozesses zu engagieren. Denn Wahlfälschung ist nur eines unter vielen Werkzeugen, mit denen Putins Machtvertikale stabil gehalten wird. Sie werden ergänzt durch das staatlich gelenkte Fernsehen und die gelenkte Justiz. Nicht einmal auf kommunaler Ebene werden unabhängige Politiker geduldet. Mit mehr als 70 Prozent der Stimmen wählten die Bürger der Stadt Jaroslawl an der Wolga im vergangenen Jahr den Kandidaten Jewgenij Urlaschow zu ihrem Bürgermeister und verpassten Putins Favoriten eine krachende Niederlage.

Allein, Urlaschow konnte das Amt gerade einmal ein halbes Jahr ausüben, bis ihn ein Gericht absetzte: Er soll bestechlich gewesen sein. Es war der gleiche Tag, an dem das Urteil gegen Nawalny fiel. Auch Jewgenij Roisman, der durch seine Stiftung "Stadt ohne Drogen" bekannt wurde und am Sonntag als Sieger aus der ersten Runde in Jekaterinburg hervorging, wurde schon während seines Wahlkampfs von einem TV-Sender mit kriminellen Gruppen in Verbindung gebracht, die Staatsanwaltschaft ermittelt.

Hätte Sobjanin wie erwartet klar gesiegt, die Protestbewegung wäre womöglich bis auf Weiteres erledigt gewesen. Der Plan ist nicht aufgegangen, Nawalny ist gestärkt und seine Anhänger sind nach dem Wahlkampf besser organisiert als je zuvor. Der Kreml hatte gehofft, ein Problem elegant loszuwerden. Nun hat er ein neues.

Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: