Süddeutsche Zeitung

Nach Anschlag in Kunming:Soziale Medien setzen Peking unter Druck

Die Verdächtigen des Anschlags von Kunming sind gefasst, doch die chinesischen Behörden veröffentlichen bislang keine Details zur Tat. Früher war solche Intransparenz normal, doch im Zeitalter der sozialen Medien werden Chinas Bürger ungeduldig. Die Regierung versucht gegenzusteuern.

Von Kai Strittmatter, Peking

Zwei Tage nach dem Terroranschlag am Bahnhof von Kunming, bei dem 33 Menschen starben, hat die Polizei die drei flüchtigen Verdächtigen gefasst. Die Nachrichtenagentur Xinhua meldete am Montagabend, eine "aus acht Mitgliedern bestehende Terrorbande" habe das Massaker verübt, zu den Gefassten gehöre der Anführer der Gruppe, Abdurehim Kurban.

Vier der Täter waren am Tatort von der Polizei erschossen worden, eine fünfte Täterin wurde schwer verletzt gefasst. Schon am Wochenende hatte die Regierung erklärt, uigurische "Separatisten" aus der Unruheprovinz Xinjiang stünden hinter dem Massaker.

Soziale Medien verändern das Tempo

Bislang hat die Regierung ihre Belege dafür nicht vorgelegt. Verschleppte und intransparente Berichterstattung bei großen Zwischenfällen sind für Chinas Behörden und Staatsmedien nichts Neues, neu jedoch ist, dass solches Vorgehen im Zeitalter der sozialen Medien bei der eigenen Bevölkerung zunehmend auf Ungeduld stößt.

Der Anschlag von Kunming ist ein Beispiel dafür, wie die sozialen Medien in den letzten fünf Jahren China verändert haben und unter welch neuen Umständen Chinas Parteipresse und Zensoren nun arbeiten.

Den Anschlag selbst konnten Nutzer landesweit praktisch live miterleben über die Mikroblog-Feeds und Messaging-Dienste Weibo und Weixin, wo Menschen ihre Flucht, ihre Todesangst beschrieben. Die Trauer darüber fand bald ihren Niederschlag in virtuellen Kerzen. Und die öffentliche Debatte zum Anschlag und dem Verhältnis zwischen Chinesen und Uiguren entspinnt sich seither ebenso auf diesen Diensten.

Informationsbüro verlangt Zurückhaltung

Schon ihre Existenz führt dazu, dass Chinas Staatsmedien schneller und ausführlicher berichten als früher. Aber bei so heiklen Fällen wie Kunming hat das seine Grenzen. Eine Verordnung des Informationsbüros des Staatsrates - Chinas oberste Zensurbehörde - verlangte von den Redaktionen landesweit, sich bei allen Artikeln über Kunming "streng an Xinhua" zu halten, es dürfe "keine großen Schlagzeilen" geben.

Viele Zeitungen hielten sich daran - und lösten konsternierte Reaktionen bei ihren Lesern aus. Ein Nutzer namens Kang Shaojian beklagte sich: "Wie kann das sein, dass zu einem so historischen Ereignis kein großes Medium irgendetwas zu sagen hat? Jeder von uns fühlt den Horror, aber wir kennen nicht einmal die Gründe für unsere Furcht und unseren Zorn. Wie können wir darauf hoffen, sicher zu sein?" Der Beitrag auf dem Mikroblogging-Dienst Weibo wurde schnell gelöscht.

Chinas Staatsmedien konzentrierten sich stattdessen am Montag darauf, eine Breitseite gegen "westliche Scheinheiligkeit" abzufeuern. Presseorgane wie CNN, die BBC, die New York Times oder die Washington Post gerieten deshalb ins Kreuzfeuer, weil sie den Anschlag nicht gleich eine "Terrorattacke" nennen wollten.

Eine "schändliche Doppelmoral" sei das, hieß es in einem Kommentar der amtlichen Nachrichtenagentur Xinhua, "abscheulich" nannte es das Parteiblatt Volkszeitung: "Diese Medien sind immer die Lautesten, wenn es um (Amerikas) Krieg gegen den Terror geht, aber bei der terroristischen Gewalt im Kunminger Bahnhof verloren sie ihre Stimme, sie machen die Menschen wütend."

Im Internet kursierte eine Infografik der Volkszeitung, wo verglichen wurde, wie zum Beispiel der Anschlag auf den Bostoner Marathon einerseits und der Anschlag in Kunming andererseits in westlichen Medien beschrieben wurden. Die Nutzer empörten sich zuhauf. "Wir haben uns lange an die Dreistigkeit der ausländischen Medien gewöhnt", schrieb Yunmumum2009 auf Sina Weibo: "Werden die Separatisten in Xinjiang nicht ohnehin von ihnen unterstützt?" Hinweise von der BBC und der Nachrichtenagentur Reuters, man verwende den Begriff "Terrorist" weltweit grundsätzlich nur in Anführungszeichen, verhallten ungehört.

Gelöschte Kommentare zeigen andere Sicht

Wie sehr die Partei versucht, die Kontrolle über die Debatte zu behalten, kann man zum Beispiel bei dem in China gesperrten Portal Freeweibo nachsehen, einer Webseite, die von der Zensur gelöschte Weibo-Kommentare für die Nachwelt erhält. Das sind naturgemäß oft Beiträge, die das Narrativ der Regierung in Frage stellen.

Zu den Gelöschten gehört der Schriftsteller Murong Xuexun: "Schon aus Selbstschutz müssen wir doch fragen: Kann sich so etwas wiederholen?", und: "Was ist es, das die Täter so verrückt und unmenschlich macht? Woher kommt der Hass? Können wir ihn auflösen?" Oder der Kommentar des Pekingers Fu Zhibin: "Jetzt haben sie Xinjiang 60 Jahre lang regiert und das Resultat bringt Katastrophe über das ganze Land. Können sie das Volk die Wahrheit über die Lage wissen lassen, sie an der Diskussion über Xinjiangs Zukunft teilhaben lassen? Wenn sie die Dinge nicht im Griff haben, sollen sie nichts mehr vertuschen."

Gemeinsam mit dem ersten Foto, das die gefasste verletzte Täterin auf der Intensivstation zeigt, machte der Kommentar der Journalistin Liu Xiangnan die Runde: "Egal wie viele Menschen schimpfen, ich glaube fest, dass wir die Geschichte dieser Mörderin kennen müssen. Sie hacken mit langen und kalten Messern auf einfache Menschen ein, sie sind böse Schlächter geworden. Ich glaube nicht daran, dass sie von Geburt an böse waren. Warum sind sie zu dem geworden? Das zu untersuchen ist viel wichtiger, als 'Tötet sie!' zu rufen."

Zu viel Nachdenklichkeit für Chinas Bürger? Auch diesen Kommentar löschten die Zensoren.

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SZ vom 04.03.2014/joba
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