Nach Anschlag auf Bundeswehrsoldaten:SPD-Linke zweifeln am Afghanistan-Einsatz

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In Politik und Bundeswehr wird der Ruf nach einer Debatte über den Sinn der Afghanistan-Mission laut. Bislang fordern nur Linke und WASG einen Rückzug - doch auch SPD-Linke wollen den Einsatz überprüfen.

Nach dem tödlichen Anschlag auf Bundeswehrsoldaten fordern Politiker und Vertreter der Bundeswehr, sich Gedanken über den Sinn des Afghanistan-Einsatzes zu machen.

Der Einsatz der Bundeswehr in Afghanistan wird hinterfragt (Foto: Foto: ddp)

"Man muss die Sinnfrage nach dem Einsatz in Afghanistan noch deutlicher stellen - so deutlich, dass sie nicht mehr überhört wird. Wenn es nicht eine radikale Änderung der Gesamtstrategie gibt, dann laufen wir Gefahr, in Afghanistan zu scheitern."sagte der Vorsitzende des Bundeswehrverbands, Bernhard Gertz, in der Mitteldeutschen Zeitung.

SPD-Verteidigungspolitiker Rainer Arnold forderte mit Blick auf die Entscheidung über die Verlängerung des Afghanistan-Mandats im Herbst "eine breite Debatte über die deutsche Verantwortung in der Welt". Generell verteidigte er aber in der Frankfurter Rundschau den Einsatz.

Der SPD-Linke Ottmar Schreiner forderte, den Afghanistan-Einsatz zu überprüfen. "Meine Zweifel am Sinn der Mission sind eher gewachsen", sagte er der Bild-Zeitung. "Ich sehe keine tragfähige Zukunftsperspektive im zivilen Bereich, wodurch weitere militärische Interventionen gerechtfertigt werden können." Der gesamte Auftrag müsse dringend auf den Prüfstand.

"In terroristische Aktionen verwickelt"

Der Linken-Fraktionschef im Bundestag, Oskar Lafontaine, warf der Bundeswehr vor, in Afghanistan durch den Tornado-Einsatz "mittelbar in terroristische Aktionen verwickelt zu sein." In der ARD-Talkshow "Sabine Christiansen" sagte Lafontaine, Terror sei durch die rechtswidrige Anwendung von Gewalt definiert.

Bundesverteidigungsminister Franz Josef Jung (CDU) bezeichnete Lafontaines Äußerungen in der Sendung als "unverantwortbar und absurd". Die Soldaten leisteten in Afghanistan "mit Risiko für Leib und Leben" einen wichtigen Einsatz für den Wiederaufbau des Landes.

In einem Interview im Deutschlandfunk warb der CDU-Politiker für eine Ausweitung der deutschen Strategie auf ganz Afghanistan, das militärische Vorgehen mit humanitärer Hilfe zu verbinden und den Kontakt zur Bevölkerung zu suchen. Nach den Worten Jungs wird die Bundeswehr alles daran setzen, die Drahtzieher des Anschlags zu finden. Es müsse die Strategie für Afghanistan sein, solche perfiden Morde künftig zu verhindern.

Warnung vor einer Debatte über den Einsatz

Die Äußerungen Lafontaines nannte auch SPD-Außenpolitiker Niels Annen in der "Christiansen"-Sendung "absurd". Allerdings äußerte er die Ansicht, dass der Bundestag die Debatte um die Fortsetzung der Beteiligung der Bundeswehr am Anti-Terror-Einsatz "Enduring Freedom" ergebnisoffen führen solle.

Der stellvertretende Grünen-Fraktionsvorsitzende Jürgen Trittin sagte in der Sendung, die USA gefährde mit ihren Militäroperationen den Erfolg der internationalen Schutztruppe ISAF. Er erwarte deshalb von der Bundesregierung, dass sie sich bei ihren Verbündeten dafür einsetze, dass auf dem Einsatzgebiet der ISAF keine militärischen Aktionen mehr stattfänden. Trittin sprach sich allerdings gegen eine Beendigung des deutschen Einsatzes aus, weil dies den Krieg nicht beende.

"Wir sind seit längerer Zeit der Meinung, dass wir die Gesamtstrategie ändern müssen", erläuterte Grünen-Chef Reinhard Bütikoferim Sender n-tv die Position seiner Partei. "Der Akzent muss wesentlich stärker auf den zivilen Aufbau gelegt werden." Auch müsse über die Art und Weise des militärischen Vorgehens nachgedacht werden.

Außenminister Frank-Walter Steinmeier (SPD) riet von einer Debatte über ein Ende des Einsatzes, wie es die Linkspartei und die WASG verlangt hatten, ab. "Es darf keinen aktuellen Rückzug geben", sagte er in der ARD.

Vor "populistischen Forderungen" nach einem Rückzug warnte auch der Wehrbeauftragte des Bundestages, Reinhold Robbe (SPD) in der Thüringer Allgemeinen.

"Wenn wir nicht wollen, dass wir scheitern, werden wir hier präsent bleiben müssen. Sonst würden wir die geleistete Arbeit ad absurdum führen", sagte der Sprecher der Bundeswehr in Kundus, Oberstleutnant Günter Schellmann, im ZDF.

Steigende Gefahr von Anschlägen

Auch der SPD-Fraktionsvize Walter Kolbow sagte in der Berliner Zeitung : "Die Bundeswehr muss auch aus deutschem Interesse am Hindukusch bleiben." Wenn die Taliban wieder die Macht in Afghanistan übernähmen, gäbe es dort auch wieder Ausbildungslager für Terroristen. "Damit würde auch die Terrorgefahr in Deutschland steigen."

Ähnlich äußerte sich auch der Außenpolitik-Experte der Union, Eckart von Klaeden (CDU): "Wir dürfen das Land jetzt nicht im Stich lassen und damit unsere bisher geleistete Aufbauhilfe in Frage stellen", sagte er der Rheinischen Post. Sonst bestehe die Gefahr, das Afghanistan wieder zu einem Rückzugsraum des transnationalen Terrorismus werde. "Das würde auch unsere Sicherheitslage in Deutschland erheblich verschlechtern."

Die Gefahr von Selbstmord-Anschlägen auf Bundeswehrsoldaten in Afghanistan wird nach Expertenmeinung weiter zunehmen. Bereits seit Monaten habe sich abgezeichnet, dass es im Norden unruhiger werde, sagte die Afghanistan-Spezialistin der Stiftung Wissenschaft und Politik, Citha Maaß, der Thüringer Allgemeinen.

Aufgrund von Hinweisen aus der Bevölkerung seien bereits mehrere Attentate verhindert worden. Die Taliban versuchten nun jedoch, den Guerilla-Krieg aus dem Süden auch in den Norden auszuweiten.

Der Anschlag vom Samstag war der schwerste auf die Bundeswehr in Afghanistan seit 2003. Ein Selbstmordattentäter hatte am Samstag in Kundus drei deutsche Soldaten und fünf afghanische Zivilisten mit in den Tod gerissen. Fünf Soldaten wurden verletzt. Die radikal-islamischen Taliban bekannten sich zu dem Selbstmordanschlag.

Vier der fünf verletzten Soldaten wurden mit einem Lazarett-Flugzeug nach Deutschland ausgeflogen. Sie landeten am Sonntagabend in Köln-Bonn und wurden von dort ins Bundeswehrkrankenhaus Koblenz gebracht. Drei von ihnen waren erheblich verletzt, weil der Selbstmordattentäter seine Bombe mit Nägeln gefüllt hatte. Nach der Überführung der Leichen nach Deutschland ist Jung zufolge am Mittwoch auch ein Trauergottesdienst geplant.

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